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Gromyko im Vatikan

Die Beziehungen zwischen dem Heiligen Stuhl und der Sowjetunion waren viele Jahre unterkühlt. Vor 40 Jahren wurde Außenminister Andrej Gromyko als erstes Mitglied einer sowjetischen Regierung im Vatikan empfangen. Die behutsame Ostpolitik von Papst Paul VI. trug Früchte.

Von Henning Klüver | 27.04.2006
    Zdrowas Maryjo, das "Ave Maria" auf Polnisch, erklang im Vatikan, als Papst Paul VI. im Frühjahr 1966 eine Gruppe von Exilpolen empfing. Der Papst wäre gerne anlässlich der 1000-Jahr-Feier Polens nach Tschenstochau zum Gnadenaltar der "Schwarzen Madonna" gepilgert, wie er in einer Ansprache erläuterte.

    "Aber diese Pilgerfahrt wurde uns nicht gestattet, obschon wir respektvoll unsere Absicht kund getan und versichert hatten, dass unsere kurze Reise keinen anderen Charakter als einen religiösen haben würde, und keine andere Absicht, als die 1000-Jahr-Feiern würdig zu begehen."

    Die Zeit für einen Besuch des Oberhauptes der katholischen Christenheit in einem Land des kommunistischen Machtbereiches war noch nicht reif. Paul VI., der seit dem Tod von Johannes XIII. im Jahr 1963 auf dem Stuhl Petri saß, versuchte jedoch, die behutsame Ostpolitik seines Vorgängers aktiv fortzusetzen und einen Gesprächsfaden mit der politischen Führung der Ostblockstaaten zu knüpfen.

    Im Oktober 1965 war es am Rande der UN-Vollversammlung bereits zu einem ersten Gespräch des Papstes mit dem sowjetischen Außenminister Andrej Gromyko gekommen. Wenige Monate später, am 27. April 1966, fuhr dann zum ersten Mal eine schwarze Luxuslimousine mit dem roten Hammer-und-Sichel-Stander im Vatikan vor. Andrej Gromyko selbst hatte um ein offizielles Treffen gebeten. Der Historiker Roland Werner, der an einer Veröffentlichung über die Beziehungen zwischen dem Heiligen Stuhl und der DDR arbeitet, zum Inhalt des Treffens:

    "Die Themen sind im wesentlichen Probleme, die auf der Tagesordnung der Welt stehen, internationale Probleme. Und dann ist es ein großes Anliegen von Papst Paul VI., die Religionsfreiheit in der Sowjetunion anzusprechen. Ein letztes Thema war von Seiten der Sowjetunion das Andeuten einer wie auch immer gearteten Sicherheitskonferenz in Europa."

    In der Folgezeit reiste der für die Außenbeziehungen des Vatikans zuständige Erzbischof und spätere Kardinal Agostino Casaroli mehrfach in die Länder des Ostblocks. Im Vatikan machte derweil der sowjetische Staatspräsident Nikolai Podgorny dem Papst seine Aufwartung, während sich Paul VI. und Andrej Gromyko zwischen 1965 und 1975 insgesamt fünf Mal trafen und einander zuletzt wie alte Bekannte begrüßten. Monsignore Professor Walter Brandmüller, der Leiter der apostolischen Geschichtskommission, erläutert die Ostpolitik des Heiligen Stuhls:
    "Diese Begegnungen sind vor dem Hintergrund der katastrophalen Situation der katholischen Kirche insbesondere im Ostblock zu betrachten. Für den Heiligen Stuhl stellt sich das Dilemma, entweder lautstark zu protestieren oder aber in einen Dialog einzutreten. Paul VI. hat sich damals für den Dialog entschieden, weil er auch jede entfernteste Möglichkeit ausschöpfen wollte, die Lage der Christen im Ostblock zu erleichtern und der Kirche dort wenigstens ein Minimum der Bewegungsfreiheit für die Verkündigung des Glaubens und die Spendung der Sakramente zu ermöglichen."

    Innerhalb der Kirche gab es jedoch Anhänger der früheren, antikommunistischen Grundhaltung von Pius XII., die jeder Annäherung zwischen Rom und Moskau kritisch gegenüberstanden. Mit behutsamer Diplomatie nach innen wie nach außen und unter Ausspielung der moralischen Bedeutung des Heiligen Stuhls gelang es Papst Paul VI. und Kardinal Casaroli schließlich, die Ostpolitik des Vatikans auszubauen. Roland Werner resümiert:

    "Und das wird am allerdeutlichsten, wenn, bezugnehmend auf das Gespräch mit Gromyko 1966 im Vatikan, sieben Jahre später Casaroli als volles Mitglied der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Helsinki auftaucht, und dort als Delegierter von Paul VI. voll einsteigt in die Arbeit. Und er erreicht dort die Aufnahme der Religionsfreiheit als Grundrecht, als Menschenrecht in der Schlussakte von Helsinki."

    Einen Besuch in einem Staat des Ostblocks erlebte Paul VI. allerdings nicht mehr. Das blieb einem seiner Nachfolger, dem polnischen Papst Johannes Paul II., vorbehalten.