Dienstag, 16. April 2024

Archiv

Großbritannien
"Boris Johnson ist politisch flexibel"

Die Berufung des Brexit-Befürworters Boris Johnson in die neue britische Regierung kam für Nicolai von Ondarza von der Stiftung Wissenschaft und Politik überraschend. Im Amt werde Johnson nun aber sicher andere Töne anschlagen. Wichtiger als Johnson sei der neue Minister für den EU-Austritt.

Nicolai von Ondarza im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker | 14.07.2016
    Boris Johnson geht eine Straße entlange, im Hintergrund mehrere Männer und Autos
    Der künftige britische Außenminister Boris Johnson auf dem Weg zu seiner neuen Chefin in Downing Street No. 10. (imago / i Images)
    Ann-Kathrin Büüsker: Boris Johnson - was bedeutet diese Personalie jetzt? Darüber möchte ich mit Nicolai von Ondarza sprechen, stellvertretender Forschungsgruppenleiter Europa bei der Stiftung Wissenschaft und Politik. Guten Tag, Herr von Ondarza.
    Nicolai von Ondarza: Hallo!
    Büüsker: Wie sehr hat Sie diese Personalie überrascht?
    von Ondarza: Der Name Boris Johnson hat mich schon überrascht, aber ich habe schon durchaus erwartet, dass Theresa May bei ihrer Umbildung im Kabinett ein Zeichen setzen wird und die Brexit-Befürworter ins Kabinett holen will. Und sie hat ja jetzt auch klar gesagt, nicht nur Boris Johnson, sondern auch David Davis, führende Brexit-Befürworter sollen jetzt den Austritt aus der EU verhandeln.
    Büüsker: Warum hat sie so entschieden? Ist das, um die Partei zu einen?
    von Ondarza: Sie hat sich ja vor dem Referendum vorsichtig für den Verbleib ausgesprochen, musste jetzt also zeigen, dass sie das Votum der Bevölkerung ernst nimmt. Und obwohl sie sich jetzt so schnell in der Partei durchsetzen konnte, will sie damit zeigen, dass diese Hoffnung, die manche auch in Berlin und Brüssel haben, dass der Brexit noch mal abzuwenden ist, dass diese eigentlich gestorben ist, sondern dass man sich klar für den Austritt einsetzen will.
    Büüsker: Das heißt, dieses neue Kabinett ist dann vor allem ein Zeichen in Richtung Brüssel?
    von Ondarza: Es ist ein Zeichen in Richtung Brüssel und auch in Richtung eigene Partei: Ich nehme die Stimmungen wahr, die sich auch gegen Cameron und auch den Finanzminister Osborne gestellt haben, der ja jetzt zurücktreten musste, ernst und nehme diese rechten Stimmungen innerhalb der Partei auf ins Kabinett. Ich glaube, das soll dieses gespaltene Land - das haben wir ja eben auch noch mal gehört - vereinen. Das Land Großbritannien hat sich über dieses Referendum ja förmlich zerfetzt.
    Auch Nigel Farage wird auf die politische Bühne zurückkehren
    Büüsker: Wir haben ja schon geglaubt, dass Boris Johnson erst mal weg vom Fenster wäre. War das sein Plan, so wie es jetzt am Ende rausgekommen ist?
    von Ondarza: Ich glaube nicht, dass es sein Plan war, am Ende "nur" Außenminister zu werden. Aber es ist für ihn sicherlich das zweitbeste Ergebnis. Und ich kann mir vorstellen, dass wir auch andere der Brexit-Befürworter nicht das letzte Mal gehört haben, die mittlerweile zurückgetreten sind, allen voran Nigel Farage, der sicherlich auch wieder auf die Bühne zurückkehren wird.
    Nigel Farage mit geschlossenen Augen und zusammengekniffenen Lippen.
    Nigel Farage bei der Verkündung seines Rücktritts. (Ben STANSALL / AFP)
    Büüsker: In welcher Form denn vielleicht?
    von Ondarza: Indem er die Regierung immer wieder daran erinnern wird, was die Bevölkerung seiner Meinung nach entschieden hat, und aufs Schärfste gegen jeden Versuch protestieren wird, zum Beispiel die Freizügigkeit weiterhin offenzuhalten.
    Büüsker: Der britische "Telegraph", der sagt: Boris Johnson zu ernennen, war eine exzellente Idee. Er glaubt an den Brexit, aber er ist proeuropäisch. Würden Sie dieser Einschätzung zustimmen?
    von Ondarza: Ich glaube, als proeuropäisch kann man Boris Johnson nur sehr, sehr entfernt bezeichnen. Ich glaube, er ist politisch flexibel. Er arbeitet wie ein Journalist, der immer versucht, eine extreme Meinung einzunehmen, die dann durchaus artikuliert, aber am Ende dann noch versucht, eine pragmatische Einigung zu finden. Und ich kann mir auch vorstellen, dass sozusagen nach den ersten Schreckreaktionen in Brüssel viele sehen werden, dass, wenn er jetzt im Amt ist, er versuchen wird, auch andere Töne anzuschlagen und durchaus versucht, in anderen Bereichen wie der Außen- und Sicherheitspolitik mit anderen europäischen Staaten, vor allen Dingen auch Deutschland zusammenarbeiten wird.
    "Bedeutung von Außenministern ist schon gesunken"
    Büüsker: Jetzt haben Sie gesagt, er arbeitet flexibel. Das könnte man auch als Zickzack-Kurs interpretieren. Ist das die richtige Arbeitsweise für einen Außenminister?
    von Ondarza: Ich glaube, die Bedeutung von Außenministern ist in vielen Bereichen in der Politik schon gesunken. Wir sehen das ja auch in Deutschland. Viele große außenpolitische Fragen werden eher von den Staats- und Regierungschefs ausgehandelt. Theresa May hat ja auch die Aushandlung des Brexit an sich einem speziellen Minister zugegeben. Deswegen glaube ich, dass Boris Johnson mit seinem starken persönlichen Auftreten vielleicht durchaus versuchen wird, gute Stimmung für Großbritannien zu machen, die harten Verhandlungen aber in anderen Dossiers und auch durch die Downing Street geführt werden.
    Büüsker: Das heißt, es wäre auch gar nicht so schlimm, wenn er dann als Person von anderen Außenministern gar nicht so ernst genommen würde?
    von Ondarza: Das wäre sicherlich für das britische Außenministerium an sich schlimm. Ich glaube aber tatsächlich, dass für die Verhandlungen zwischen Großbritannien und der EU die Personalie von David Davis mehr zählt, der der "Secretary of State for Exiting the European Union" geworden ist, und der ist ein wesentlich härterer Brexit-Befürworter als das Boris Johnson jemals war, und ich glaube, mit ihm werden wir eigentlich die richtig harten Verhandlungen führen.
    Büüsker: Wie hart wird es denn mit ihm?
    von Ondarza: Nach seinen ersten Äußerungen hat er zumindest eine klare Vorstellung, dass er Großbritannien nicht weiterhin im Binnenmarkt verankert haben will, sondern am liebsten sofort vollständig aus der EU herausführen will. Und ich glaube, wir haben damit jemanden, der nicht bereit ist, Kompromisse mit der Europäischen Union einzugehen. Und es ist die Frage, wieweit Theresa May ihm da offene Hand geben will. In seinem ersten Beitrag zum Brexit-Verfahren in der letzten Woche hat er zum Beispiel geschrieben, er will sofort in den nächsten zwei Jahren Freihandelsabkommen mit den USA, China und anderen Staaten aushandeln und die EU erst mal an der langen Kante entlangführen und keine Kompromisse mit der EU in Fragen Freizügigkeit oder Geltung von europäischem Recht eingehen.
    David Davis geht eine Straße entlang
    David Davis, der neue "Secretary of State for Exiting the European Union", ebenfalls auf dem Weg zu Premierministerin Theresa May. (imago / i Images)
    Büüsker: Er argumentiert dabei ja auch so, dass die EU immer viel zu lange für Freihandelsabkommen bräuchte - sieht man bei CETA, sieht man auch bei TTIP. Jetzt scheint es im Moment ein bisschen so, als könnte TTIP vielleicht ins Wackeln geraten. Fährt er da vielleicht auch einen ganz realistischen Kurs, der letztendlich für Großbritannien sogar positiv sein könnte?
    von Ondarza: Man kann natürlich sagen, als einzelner Staat wird Großbritannien flexibler sein damit, Freihandelsabkommen auszuhandeln. Es hat aber natürlich auch wesentlich weniger Gewicht. Nehmen wir einfach mal die Verhandlungen mit den USA. Da ist die EU mit dem größten Binnenmarkt auf Augenhöhe. Großbritannien als jetzt nunmehr sechsgrößte Wirtschaftsmacht der Welt ist aber trotzdem noch deutlich unter den USA ausgehandelt. Daher würde ich davon ausgehen, dass man ja vielleicht als Einzelstaat hier schneller ein Abkommen schließen kann, aber wahrscheinlich zu wesentlich ungünstigeren Konditionen als zusammen als Europäische Union.
    "Eine der vielen Überschätzungen der Brexit-Befürwortern"
    Büüsker: David Davis sagt mit Blick auf die EU, das Risiko, möglicherweise einen wichtigen Handelspartner zu verlieren, das wird die EU letztlich zu Zugeständnissen zwingen in den Brexit-Verhandlungen. Für wie realistisch halten Sie das?
    von Ondarza: Das ist eine der vielen, aus meiner Sicht Überschätzungen der Brexit-Befürworter. Großbritannien ist zwar eine große Wirtschaftsmacht für die meisten EU-Staaten, aber nicht der zentrale Handlungspartner. Und was da hinzukommt ist: Großbritannien hat ein großes Defizit im Handel mit Waren mit dem Rest der Europäischen Union, und das kann durch ein einfaches Freihandelsabkommen abgefangen werden, also dass zum Beispiel Deutschland weiterhin seine Autos und Maschinen nach Großbritannien verkaufen kann. Woran die Briten aber ein Interesse haben, das sind die Finanzmarkt-Dienstleistungen und die Aufrechterhaltung des Zugangs zum EU-Binnenmarkt für die City of London. Und das ist wesentlich schwerer zu verhandeln und da, glaube ich, wird die EU einen klaren Riegel vorziehen. Die City of London war in den letzten Jahren der Wachstumsmotor für die britische Wirtschaft, und wenn sie den Zugang verlieren würden, das glaube ich schon, würde das harte wirtschaftliche Einschränkungen für Großbritannien selber bedeuten. Ich sehe die Briten also in diesen Verhandlungen hier in der schwächeren Position.
    Büüsker: Das heißt, David Davis ist eigentlich nicht der Richtige für den Job?
    von Ondarza: Er ist vielleicht der Richtige für die Briten, um erst mal Härte zu zeigen. Ich glaube, es wird aber eine Realitätskur für die Brexit-Befürworter in Brüssel geben, wo sie einsehen werden, dass sie eine klare Wahl treffen müssen: Entweder sie akzeptieren die Konditionen der EU, um weiteren Zugang zum Binnenmarkt zu haben auch für die City of London, das heißt Freizügigkeit und Akzeptanz von EU-Regeln, oder sie gehen ganz auf den Status eines beliebigen Drittlandes zurück wie Brasilien oder andere Staaten. Aber alle wirtschaftlichen Studien sagen, das würde gravierende Folgen für Großbritannien bis hin zu einer schärferen Rezession und hoher Arbeitslosigkeit haben.
    Büüsker: … sagt Nicolai von Ondarza von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Vielen Dank für das Gespräch hier im Deutschlandfunk.
    von Ondarza: Gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.