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Großbritannien
Schottland will keine Atomwaffen mehr

Abschaffen oder modernisieren? Die britische Nuklear-Flotte ist zum Problem geworden. Nicht nur ist sie in die Jahre gekommen, auch gehen die Meinungen darüber auseinander, ob sie überhaupt noch gebraucht wird. Im schottischen Parlament mehren sich die Gegenstimmen. Und das schottische Votum hat Gewicht.

Von Friedbert Meurer | 04.11.2015
    Demonstranten halten Plakate hoch, auf einem ist zu lesen: "Scotland will be heard", zu deutsch: Schottland wird erhört werden.
    Demonstration im April in Glasgow gegen das Atomprogramm: Auch in der Bevölkerung mehren sich Stimmen gegen das Trident-Atomprogramm (Andy Buchanan / AFP)
    Eine Gefechtsübung auf einem U-Boot der britischen Marine. In wenigen Augenblicken wird eine Interkontinentalrakete vom Typ Trident gezündet. Der Kapitän und seine Offiziere im Inneren ihres atom-getriebenen U-Boots der sogenannten Vanguard-Klasse wirken angespannt und hoch konzentriert.
    "Permission to fire! Ten seconds. Missile away!"
    "Missile away", Rakete abgefeuert. Die britische Marine selbst hat diese seltenen Aufnahmen eines Tests der Trident-Raketen vor etwa drei Jahren veröffentlicht. Auch um für neue U-Boote zu werben. Seit 40 Jahren patrouilliert immer und zu jeder Tages- und Nachtzeit an 365 Tagen im Jahr ein britisches U-Boot die Meere - mit Nuklearraketen vom Typ Trident in den Geschützrohren. Die vier Vanguard-U-Boote sind inzwischen in die Jahre gekommen - nach 2020 sollen neue angeschafft werden.
    Marinebasis mit Atom-U-Booten liegt an der schottischen Westküste
    Das schottische Parlament gestern Nachmittag in Edinburgh. Die Abgeordneten debattieren über das kostspielige Rüstungsprojekt. Am Wochenende hat die schottische Labour-Party einen bemerkenswerten politischen Kurswechsel vorgenommen. Anders als der offizielle Labour-Kurs in London sprechen sich die Sozialdemokraten im Norden der Insel jetzt gegen das Rüstungsprogramm aus.
    "Wenn diese Waffen zum Einsatz kommen, verursachen sie unvorstellbare Schäden und Tote," warnt eindringlich die Labour-Abgeordnete Clair Baker. "Keine Demokratie darf sie anwenden. Außerdem sind die Kosten viel zu hoch."
    "Trident kostet nicht 100 Milliarden Pfund", rechnet Christina McKelvie von der SNP vor. "Auch nicht 120 Milliarden, sondern atemraubende 167 Milliarden Pfund."
    John Lament von den Konservativen kontert, diese astronomischen Summen kämen nur zustande, wenn man sie auf 40 Jahre auslegt. Das Atomprogramm mache nur sechs Prozent des britischen Verteidigungshaushalts aus. Dann muss die schottische Nationalistin McKelvie einräumen, dass Tausende von hoch qualifizierten Jobs auf dem Spiel stehen.
    "Die Fähigkeiten, die hinter dieser wahnsinnigen Technologie stecken, die präzise Ingenieurskunst, die Komplexität des Systems - in meinen Augen sollte man sie auf andere Bereiche verlegen."
    Die betroffenen Beschäftigten fragen allerdings: in welche Bereiche denn? Die Marinebasis mit den U-Booten liegt in Faslane im Firth of Clyde, einem Meeresarm an der schottischen Westküste. Ein führender Gewerkschafter wirft Labour und SNP eine Politik wie in "Alice im Wunderland" vor. Die versprochenen Alternativ-Jobs seien reine Luftschlösser.
    Konsens der nuklearen Abschreckung bröckelt
    Bezogen auf ganz Großbritannien liegen die Befürworter des Atomprogramms auch recht deutlich vorne: 53 zu 37 Prozent. Labour-Chef Jeremy Corbyn, ein Pazifist, zog unlängst heftige Kritik auf sich, als er die Frage mit Nein beantwortete, ob er als Premierminister bereit sei, notfalls auf den roten Knopf zu drücken.
    Über Jahrzehnte gab es in Großbritannien einen Konsens der beiden großen Parteien für eine Politik der nuklearen Abschreckung. Der bröckelt jetzt. Allerdings ist Labour in der Frage gespalten zwischen Schottland und England. Corbyn hat die offizielle Parteilinie, die "Pro Trident" lautet, noch nicht verändern können.
    Der Plenarsaal in Edinburgh war gestern erstaunlich schwach gefüllt. Einige Redner meinen achselzuckend, die meisten Schotten hätten wohl andere Probleme. Es sei ja noch etwas hin bis zur Neu-Anschaffung. Außerdem gilt: Die Entscheidung über die Modernisierung der U-Boote fällt sowieso in Westminster und nicht hier in Schottland.