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Großbritannien will Kindesmissbrauch mit Führungszeugnispflicht eindämmen

Ab November muss sich jeder britische Erwachsene, der regelmäßig Kontakt zu Minderjährigen hat, ein Führungszeugnis von der Independent Safeguarding Authority ISA ausstellen lassen - außer Blutsverwandte oder Eltern. Damit soll sexueller Missbrauch verhindert werden.

Von Ruth Rach | 26.02.2010
    Sexueller Missbrauch - der jüngste Skandal in der britischen Seifenoper "East Enders", von 16 Millionen Zuschauern auf dem Bildschirm verfolgt. Der Täter ist ein Familienvater: Er wird schließlich von einem seiner Opfer ermordet.

    Weniger dramatisch, aber umso erschütternder ist die Realität.

    Mit elf Jahren wurde Brian in ein Heim in Dublin gesteckt, und dort vom Leiter regelmäßig missbraucht. Sein einziger Trost: dass er nicht, wie seine Mitschüler, auch noch verprügelt wurde.

    Wir konnten uns niemandem anvertrauen, und haben uns so geschämt, dass wir nicht einmal untereinander darüber gesprochen haben, erzählt Robert: Er wurde jahrelang in einer katholischen Reformanstalt in Nordengland missbraucht.

    Die Reformanstalt hat sich bis heute nicht bei Robert entschuldigt.
    Über 12.000 Anrufe gehen jedes Jahr bei Childline ein, der britischen Telefonfürsorge für Opfer von Kindesmissbrauch. In den Medien machen Enthüllungen über Vorgänge in Internaten und Kinderheimen regelmäßig Schlagzeilen. Die Orte des Geschehens reichen von der südenglischen Kanalinsel Jersey bis zur schottischen Insel Lewis. Jahrzehnte später outen sich immer mehr Opfer, unter ihnen der erfolgreiche Rugbyspieler Brian Moore.

    Er habe sein tiefes Trauma nur durch jahrelange Therapie verarbeiten können. Für die Opfer sei es ungemein wichtig, gehört zu werden.

    Ein Fall hat die britische Öffentlichkeit besonders tief erschüttert. Vor sieben Jahren wurden in dem südostenglischen Örtchen Soham zwei kleine Mädchen ermordet. Als Täter entpuppte sich der Hausmeister der Schule. Er war der nordenglischen Polizei wegen sexueller Belästigung bereits bekannt, hatte aber seinen Namen und Wohnort mehrmals geändert. Schon damals wurde der Ruf nach einem besser vernetzten Informationssystem laut.

    Vor eineinhalb Jahren lief in vier britischen Polizeibezirken ein Pilotprogramm an, das sich am sogenannten Megans Gesetz orientiert: In einigen amerikanischen Bundesstaaten muss sich jeder Sexualstraftäter bei der örtlichen Behörde registrieren, diese ist wiederum verpflichtet, die Öffentlichkeit zu warnen. Die britische Variante geht nicht so weit. Die Liste der örtlichen Sexualstraftäter kann nur von einem kleinen Personenkreis eingesehen werden, der direkt betroffen ist, zum Beispiel Nachbarn mit kleinen Kindern. Das Programm ist umstritten.

    Auch er habe zunächst befürchtet, damit würden potenzielle Wiederholungstäter in den Untergrund getrieben, sagt Martin Narey von der britischen Kinderhilfsorganisation Barnardo's. Aber bislang seien gute Ergebnisse erzielt worden.

    Nun geht die britische Regierung gleich mehrere Schritte weiter. Alle Erwachsenen, die regelmäßig Zeit mit Kindern verbringen, mit denen sie nicht verwandt sind, müssen sich künftig bei einer neuen Behörde - ISA - melden. Ein riesiges Unterfangen. Betroffen sind Schulen, Krankenhäuser, Sportvereine, Theater. Nicht nur Lehrer, Ärzte, Pfleger, sondern auch Eltern, Gastfamilien, und Ehrenamtliche. Insgesamt neun Millionen Namen sollen in der neuen Datenbank erfasst werden.

    Was aber wenn die Daten in die falschen Hände geraten, fragen Kritiker. Andere wiederum monieren, dass man die neue Behörde ISA auch dann kontaktieren kann, wenn nur ein vager Verdacht besteht. Könnten sich damit nicht auch Schüler oder Eltern an einem völlig unschuldigen Lehrer rächen, und seinen Namen durch den Schmutz ziehen? Eine unbegründete Sorge, unterstreicht ISA-Leiter Sir Roger Singleton.
    Der Fall wird untersucht, der Betroffene persönlich vorgeladen, und erst dann trifft das ISA-Expertengremium in Zusammenarbeit mit Sachbearbeitern eine Entscheidung.

    Die neue Regelung sei enorm aufwendig, sagen freiwillige Organisationen. Damit würden kreative Initiativen abgewürgt, die auf ehrenamtliche Mitarbeiter angewiesen sind. Etliche Theater hätten bereits angekündigt, dass sie künftig überhaupt nicht mehr mit Kindern zusammenarbeiten.

    Im November wird die Registrierung bei der neuen Behörde gegen Kindesmissbrauch Pflicht. Manche Kritiker sagen, Wachsamkeit sei wichtiger als Bürokratie. Ein wichtiger Täterkreis werde mit dem neuen System ohnehin nicht erfasst. Viele Fälle von Kindesmissbrauch passierten im engsten Kreis der Familie.