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Große nordägäische Unbekannte
Die vergessene Insel Limnos

Von den Etruskern bis Homer, vom Trojanischen bis zum Ersten Weltkrieg – auf Limnos wurde Weltgeschichte geschrieben. Und doch ist die Insel selbst bei Griechen weitgehend unbekannt. Dabei gibt es hier nicht nur geschichtlich einiges zu entdecken: unter anderem unberührte Strände und ungewöhnliche Unterkünfte.

Von Marianthi Milona | 09.12.2018
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    Bei Sonnenuntergängen auf Limnos bietet der Berg Athos eine beeindruckende Kulisse (imago stock&people/Yannis Kourtoglou)
    Von den Etruskern bis Homer, vom trojanischen bis zum Ersten Weltkrieg – auf Limnos wurde Weltgeschichte geschrieben. Und doch ist die Insel selbst bei Griechen weitgehend unbekannt. Dabei gibt es hier nicht nur geschichtlich einiges zu entdecken: unter anderem unberührte Strände und ungewöhnliche Unterkünfte.
    Wer kennt heute noch die Sage vom griechischen Gott Hephaistos? Dieser eigensinnige und mutige Sohn von Hera und Zeus, schlug sich bei einem Streit zwischen seinen Eltern auf die Seite seiner Mutter. Zeus missfiel sein Verhalten so sehr, dass er Hephaistos am Fuß packte, ihn im Kreis drehte und vom Olymp hinaus in die Ägäis schleuderte. So fiel Hephaistos auf Limnos herab, heißt es in der griechischen Mythologie. Und an der Stelle, wo er den Boden von Limnos berührte, soll später die heilende Limnos-Erde entstanden sein. Der Gott des Feuers lernte die Insel Limnos lieben und entschied sich von nun an seine Schmiedewerkstätten auf der Insel zu eröffnen.
    Ihm zu Ehren gründeten die Einwohner die antike Stadt Iphestia. Mit der Zeit verschwand Zeus Wut auf den Sohn und er wollte ihn zurück auf den Olymp haben, doch dieser verweigerte dem Vater den Gehorsam. So schickte Zeus Dionyssos nach Limnos, den Gott des Weines. Dionyssos machte Hephaistos betrunken, setzte ihn dabei auf einen Esel und ließ die hübschen Menaden um ihn herum tanzen. Hephaistos verfiel dem Wein und den Weibern und wusste nicht was ihm geschah. Aber nur so hatte man es geschafft ihn von Limnos wieder zurück auf den Olymp zu bringen.
    Die meisten Besucher sind schicksalshaft mit Limnos verbunden
    Das alles erfährt man bei einer Reise auf Limnos. Doch ist diese Insel auch in den folgenden Jahrhunderten so geschichtsträchtig gewesen, dass jetzt die Zeit gekommen ist, sie in all ihrem Facettenreichtum bekannt zu machen, glauben seine Inselbewohner. Marianthi Milona wusste nicht warum sie eigentlich der Einladung der Limnosväter gefolgt war, doch sie weiß jetzt, warum sie in jedem Fall die Insel wieder besuchen möchte.
    Die Klänge einer Musikkapelle und ein militärischer Gruß auf einem Soldatenfriedhof, das ist kein typisches Szenario, auf einer griechischen Insel. Auf Limnos aber schon. Im äußersten Nordosten der Ägäis, praktisch auf gleicher geographischer Länge mit den Dardanellen, befindet sich die neuntgrößte griechische Insel Limnos und es scheint mir beinah so, als wäre sie auch im Jahr 2018 noch nicht aus ihrem jahrhundertelangen Dornröschenschlaf erwacht. Da helfen auch keine sphärischen orthodoxen Priestergesänge oder laute militärische Trommelschläge, um sie zu erwecken. Viel mehr ist historisches Vorwissen erforderlich, um zu verstehen, warum diese Insel bisher kaum als Reiseziel von fremden Gästen und Reiseanbietern anvisiert worden ist.
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    Myrina, der Hafen von Limnos - von hier kann man zum griechischen Festland und auf andere Inseln übersetzen (imago stock&people/Yannis Kourtoglou)
    Nun ja, zirka 80.0000 Gäste haben Limnos im vergangenen Jahr schon besucht. Die meisten davon in den Sommermonaten. Aber nicht etwa, um Strandurlaub zu machen. Dafür gibt es dort immer noch zu wenige Hotels und Restaurants. Die meisten Fremden, die aus der ganzen Welt nach Limnos kommen, sind bisher schicksalshaft mit dieser Insel verbunden. Sie sind Mitglieder des Vereins der Ansac. Ausgeschrieben und zu Deutsch heißt das: Australisch-neuseeländisches Armeecorps. Das erweckte meine Neugier. Auf dem Friedhof von Moudros, einem der insgesamt vier großen Soldatenfriedhöfe, liegen ihre Vorfahren. Und sie reisen an, um alljährlich eine Kranzniederlegung zum Gedenken an die Gefallenen des Ersten Weltkriegs zu zelebrieren.
    Unberührte Naturlandschaften – leere Strände
    Ich erkundige mich beim Griechen Stelios Mantzaris danach. Seines Zeichens Leiter eines kleinen Hotelierverbands auf Limnos. Und Begründer des Vereins der "Freunde der Ansac". Stelios Mantzaris: "Es handelt sich um einen jungen Verein, der erst 2014 entstand, um die Rolle der Insel im Ersten Weltkrieg hervorzuheben und sie einer breiteren Öffentlichkeit bekannt zu machen. Wir wollen damit die Bedeutung, die Limnos in der Weltgeschichte einnimmt, hervorheben. Sie ist bisher kaum bekannt. Die Idee dazu kam von einer Gruppe australischer Politiker, die 2012 auf Limnos waren und den Wunsch nach einer Zusammenarbeit zwischen Australiern und unserer Gemeinde äußerten. Das Ziel sollte sein, die Geschichte der Insel ins Bewusstsein der Menschen zurückzubringen."
    Und sicher auch, um die Insel touristisch dafür umzurüsten, denke ich mir. Denn Limnos hinkt den anderen griechischen Insel in Sachen Tourismus weit hinterher. Das griechische Militär, obwohl im Alltag nicht spürbar präsent, hat auf der Insel eine wichtige Basis aufgrund der Nähe zur Türkei. Und stand bisher den touristischen Ausbauplänen im Wege. Inzwischen erfolgte ein Sinneswandel. Die Gemeinde Limnos und das griechische Verteidigungsministerium, wollen in Sachen Geschichtsforschung und Tourismus enger zusammenarbeiten. Die historischen Ereignisse sollen Grund genug sein, um auf Limnos Urlaub zu machen.
    Die Insel bietet mit ihren spürbar unberührten Naturlandschaften ein interessantes Beobachtungsterrain für Vogelexperten. Auf den größtenteils leeren Sandstränden und romantisch anmutenden Buchten hört man die Delfine singen. Auf anderen wird gesurft und auf Wellen geritten. In der Bucht von Makri Gialos, unterhalb der prähistorischen Siedlung Poliochni, in der nachweislich das erste Parlament gegründet wurde, haben vor ein paar Jahren sogar die Dreharbeiten zum Film Troja mit Brad Pitt in der Rolle des Achill stattgefunden. Und immerzu gibt der starke Wind aus Nord-Nordost den Ton an und sorgt immer für kühlende Erfrischung.
    Immer im Mittelpunkt der Geschichte
    Für Stelios Matzaris soll durch die Förderung eines, wie er es nennt, "militärischen Tourismus", ein wichtiger Bereich auf seiner Wahlinsel erschlossen werden. Geschichtstourismus soll mit Kultur-Tourismus verknüpft werden. Deshalb hat er in diesem Jahr einen historischen Kongress organisiert. Geschichte belegt durch Quellennachweise kann so auch für die nächsten Generationen überleben, glaubt er.
    Der Grund warum die meisten Historiker und Militärexperten gekommen sind, ist ein runder Geburtstag. Hundert Jahre ist es her, dass auf Limnos ein wichtiger Vertrag unterzeichnet wurde. Im "Friedensvertrag von Moudros" vereinbarten die Länder der Entente mit dem Osmanischen Reich einen Waffenstillstand. Ein kleiner Vorgeschmack auf das, was nur wenige Tage später in Westeuropa zwischen Frankreich und Deutschland besiegelt wurde und den Ersten Weltkrieg beendete.
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    Unberührte Naturlandschaften und Strände - noch hat der Massentourismus Limnos nicht entdeckt (imago stock&people)
    Stelios Mantzaris: "Wir finden auf Limnos Spuren von Menschen aus vielen Ländern: Großbritannien, Irland, Schottland, Kanada, Australien, Neuseeland, Russland, Deutschland, Italien, dreiviertel aller Länder Afrikas, Türkei und Indien. Zeitgeschichte ist auf Limnos etwas, dass überall gegenwärtig ist. Diese Soldaten sind hier gefallen oder beigesetzt worden. Die ganze Insel erzählt von den Ereignissen des Ersten Weltkrieges. Man braucht sich dafür nur die Karte von Limnos anzuschauen, um festzustellen, dass es immer im Mittelpunkt der Ereignisse gestanden hat. Von den Etruskern bis zu Homer, vom trojanischen Krieg bis zu den Deutschen, Italienern und Türken. Sie alle haben die Insel als geostrategische Basis zu nutzen gewusst."
    Tatsächlich kann man sich auf Limnos der historischen Ereignisse kaum verschließen. Allein bei der Schlacht der Dardanellen 1915/16 kamen 50.000 Soldaten der Entente ums Leben, die zum Teil auf der Insel beigesetzt sind.
    Die Spezialitäten: Thymianhonig, Pasta – und Urkorn
    Doch wenn man schon auf Limnos ist, stellt man auch andere Besonderheiten fest. Die Insel ist nicht grün, besitzt aber ein mildes Klima. Das Landschaftsbild ist harmonisch, es wird von einer sanften Hügellandschaft geprägt, in der im Sommer die Ockertöne vorherrschen. Ausgedehnte Kornfelder erzählen, womit sich die Bauern bis heute vorwiegend beschäftigen. Limnos besitzt noch eigene Urkornarten und wird deshalb gerne zu Forschungen der Ernährungswissenschaft genutzt. Die Erde ist vulkanischen Ursprungs und erlaubt ebenso einen erfolgreichen Anbau von Wein, Gemüse und Kräutern. Pasta und Thymianhonig sind zwei Spezialitäten der Insel.
    Von einer jungen Archäologin höre ich im Bus zum ersten Mal etwas über die heilende Wirkung der Insel-Erde: "Die Limnoserde ist das erste offizielle Naturmedikament der Welt. Mit einem eigenen Markenstempel. Diese Erde wurde einmal im Jahr vom Berg nach einem bestimmten Ritual abgebaut. Und von der Antike bis in unsere christliche Zeitrechnung in Tablettenform verabreicht. In der Antike hatten die Tabletten verschiedene Tierformen, später wurden sie in Formen von christlichen Symbolen gepresst. Gänzlich verschwand die Limnoserde als Heilmitte erst mit dem Einzug der Pharmaindustrie. Behandelt wurden damit Fieberanfälle und Allergien. Sie wurde auch zur Behandlung der Pest eingesetzt und als Creme bei Hauterkrankungen verabreicht."
    Ein Hotel erweckt ein Dort zu neuem Leben
    Doch es sind nicht nur Historiker, Geschichtsfreunde und Archäologen, die sich über die Zukunft der Insel Gedanken machen. Um Tourismus auf der Insel zu etablieren braucht es genügend Unterkünfte. Viele davon gibt es noch nicht. Doch die wenigen überraschen mit ungewöhnlichen Konzepten. Wie im Fall eines Hotels in der Ortschaft Varos.
    "Mein Vater hat historische Häuser im Ort aufgekauft, die im ganzen Dorf Varos verstreut liegen. Jedes einzelne davon hat seine eigene Geschichte. In einem Gebäude, in dem heute unsere Suiten sind und Familien darin wohnen, ist um 1830 die Hebammenstation gewesen, in der praktisch alle Kinder der Insel zur Welt gekommen sind. Andere Schlafzimmer waren einst Kornkammern und Windmühlen. Der Ort besaß früher zwölf Mühlen, sechs auf unserer Seite und sechs auf der anderen Seite des Hügels", erzählt Lena Liaska über das Hotel, dass ihr Vater 2010 eröffnete.
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    Seit Jahrhunderten nutzen die Menschen auf Limnos die Kraft des Windes für ihre Arbeit (imago stock&people)
    Die Familie hatte die Insel vor vielen Jahren im Urlaub kennen und lieben gelernt. Kostas Liaskas Traum war es, den traditionellen Ort Varos wieder neu aufzubauen, der mit der Landflucht dem Aussterben nahe stand. Für Lena Liaska liegt in jedem dieser Hotelhäuser eine eigene Geschichte verborgen: "Die Hebammen- und Krankenstation nennen wir heute das Steinhaus und gegenüber im Archondiko, dem fürstlichen Haus, wohnte früher der Inselarzt. Das andere Hotelhaus auf dem Hügel, das imposant aus der Ferne zu erkennen ist, haben wir Kloster genannt, weil es in seiner Architektur an ein Kloster erinnert. Wenn sie den idyllischen Innenhof betreten, sehen sie die Zimmerordnung, die wie die Mönchszellen eines Klosters nebeneinander angeordnet sind."
    Umständliche Anreise
    Sechs Häuser gehören zu diesem ungewöhnlichen Hotel in Varos: die Limnos Erde, das traditionelle Kafenion, das Maulbeerbaum Haus, das Steinhaus, das Fürstenhaus und das Kloster. Und sie geben ein gutes Beispiel, wie man sanften Tourismus auf einer Insel betreiben kann. Wer einmal auf Limnos gewesen ist, der möchte gerne wieder kommen. Vom Ausland ist die Anreise noch etwas umständlich. Man muss in Thessaloniki oder Athen zwischenlanden und dann auf einer kleinen Propellermaschine weiterfliegen. Von Thessaloniki beträgt der Flug allerdings dann nur noch 50 Minuten. Erstaunlich finde ich, dass die Insel Limnos bis heute für die Nordgriechen noch immer als große nordägäische Unbekannte gilt.