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Große Verwirrung um kleine Zellen

Biologie.- Die Forschung an embryonalen Stammzellen sorgt nicht nur in Europa für scharf geführte Debatten. In den USA hatte US-Präsident Barack Obama 2009 die Richtlinien für staatliche Förderung der Stammzellenforschung gelockert. Nun hat ein Gericht Obama auf diesem Weg gestoppt.

Wissenschaftsjournalist Volkart Wildermuth im Gespräch mit Katrin Zöfel | 24.08.2010
    Katrin Zöfel: Stammzellforscher in den USA haben es nicht leicht. Seitdem es dem US-Forscher James Thomson 1998 gelungen war, erstmals menschliche embryonale Stammzellen herzustellen, ändern sich die Regeln für Stammzellforscher alle paar Jahre. Präsident George Bush setzte dieser Forschung enge Grenzen. Barack Obama hat eben diese Grenzen als eine seiner ersten Amtshandlungen wieder aufgehoben. Und jetzt hat ein Richter eine einstweilige Verfügung erlassen, die besagt: Die US-Bundesregierung darf die Forschung an embryonalen Stammzellen nicht länger finanzieren. Mein Kollege Volkart Wildermuth berichtet schon lange über dieses Thema. Herr Wildermuth, worum geht es in diesem Urteil?

    Volkart Wildermuth: Das ist einfach der letzte Schritt einer wirklich langen Auseinandersetzung. Die embryonalen Stammzellen werden ja von den einen als die Basis einer regenerativen Medizin der Zukunft bejubelt. Die soll mal Parkinson, die Zuckerkrankheit, Querschnittslähmung heilen. Die anderen verdammen genau die gleiche Forschung, weil diese ES-Zellen ja letztlich aus menschlichen Embryonen gewonnen werden, die dabei zerstört werden. Diese beiden Positionen - Forschungsoptimismus auf der einen Seite, moralische Bedenken auf der anderen - bestimmen in den USA wie auch hier in Deutschland die Debatte. Aber was sich wirklich grundsätzlich unterscheidet, sind die rechtlichen Rahmenbedingungen. In Deutschland gibt es das Embryonenschutzgesetz. Das stellt die Stellt die Zerstörung von Embryonen schlicht und einfach unter Strafe. Das ist hier verboten. Die USA kennen das in dieser Form nicht. Dort geht es um die Finanzierung der Forschung, konkret um die Frage: Darf der Staat mit Steuergeldern die Forschung an diesen embryonalen Stammzellen bezahlen? Und da hat dieser Richter gesagt: Nein, ganz klar, das darf er nicht.

    Zöfel: Das heißt, privat geförderte Forschung mit Stammzellen wäre weiterhin möglich?

    Wildermuth: Ja, das ist in den USA völlig legal. Da gibt es mehrere Firmen, die auf dem Gebiet aktiv sind. Es gibt Stiftungen, die das finanzieren. Der Bundesstaat Kalifornien hat ein eigenes Förderprogramm zu den Stammzellen aufgelegt. Auch das wird einfach weiterlaufen. Es geht wirklich hier nur um die Gelder, die der Bundesstaat verteilt über die National Institutes of Health, diese Gesundheitsforschungsbürokratie NIH. Und die haben in ihren Förderrichtlinien argumentiert, dass sie zwar nicht die Herstellung von ES-Zellen, die die Zerstörung von Embryonen beinhaltet, fördern, wohl aber die Forschung, wenn diese dann hergestellt worden sind. Das ist also eine gewisse Spitzfindigkeit, die hier gemacht worden ist. Der US-Kongress hat einmal in einer Entscheidung gesagt, dass die Herstellung von ES-Zellen eben nicht gefördert werden darf. Aber das NIH sagt: Wir fördern nicht die Herstellung, sondern nur die Forschung. Wenn das dann mal passiert ist und der Richter hat jetzt schlicht und einfach gesagt, das ist mir zu spitzfindig, wenn der Kongress sagt, ich will nicht dafür bezahlen, dass Embryonen zerstört werden, dann gilt das nicht nur für den Akt der Zerstörung selbst, sondern auch für die Forschung an den ES-Zellen, die dann eben auf diesem Weg hergestellt worden sind.

    Zöfel: Und wer hatte jetzt geklagt?

    Wildermuth: Da war eine ganze Reihe von christlichen Organisationen. Unter anderem Nightlight, die vermittelt Adoptionen von Embryonen, die bei der künstlichen Befruchtung sozusagen übrig bleiben. Es hatten auch Paare geklagt, die solche Embryonen adoptieren wollten. Es haben zwei Forscher adulten Stammzellen geklagt und diese bunte Mischung hat im ersten Versuch keinen Erfolg gehabt. Da hat der Richter nämlich gesagt, die sind ja gar nicht betroffen von dieser Förderrichtlinie. Da gibt es keinen Grund für die, zu klagen. Die beiden Stammzellforscher, die an den erwachsenen Stammzellen arbeiten, sind dagegen in Berufung gegangen. Und dann hat das Berufungsgericht gesagt: Ja, die sind tatsächlich beeinträchtigt. Denn das Geld, das in die Richtung embryonale Stammzellforschung fließt, fließt ja nicht in Richtung adulte Stammzellforschung. Die haben also einen konkreten Nachteil. Das heißt, der Richter musste sich erneut mit dem Thema beschäftigen, diesmal tatsächlich in die Sache einsteigen. Und er hat dann in dieser einstweiligen Verfügung erklärt: Ja, es gibt gute Chancen, dass diese beiden Stammzellforscher auch in der Hauptverhandlung Recht bekommen, weil das eben so spitzfindig ist, wie die NIH da argumentieren. Auf der anderen Seite haben sie tatsächlich einen Nachteil: nämlich die nicht verwirklichten Forschungsvorhaben, und deshalb hat er diese einstweilige Verfügung erlassen.

    Zöfel: Eine einstweilige Verfügung - was heißt das genau?

    Wildermuth: Gute Frage. Also ich habe das Urteil vorhin noch einmal gelesen und ich habe es letztlich nicht verstanden. Wie mir geht es auch den Forschern in den USA, es geht den Politikern so. Da heißt es, der Status Quo soll wieder hergestellt werden. Aber welcher Status Quo? Also heißt es: Jetzt gilt die Regelung Bush wieder - Bestimmte Stammzellen sind erlaubt, die vor einem Stichtag hergestellt wurden? Oder ist jetzt generell das NIH nicht mehr in der Lage, solche Art von Forschung zu finanzieren? Was ist mit den Forschungsvorhaben, die bereits bewilligt worden? Die Gelder, die schon ausbezahlt worden sind - dürfen die weiter verwendet werden? Also ein Stammzellforscher aus Boston hat heute Morgen erstmal seinen Mitarbeitern gesagt: Bitte füttert mir meine embryonalen menschlichen Stammzellen nicht mehr mit Nährstoffen, die ich mit NIH-Mitteln gekauft habe. Also da gibt es eine große Verwirrung. Die Regierung will jetzt wohl gegen diese einstweilige Verfügung Berufung einlegen. Und bevor das nicht passiert ist, wird es wohl keine Klarheit geben. Man darf wirklich gespannt sein, wie das weitergeht.

    Zöfel: Gibt es schon weitere Reaktionen auf dieses Urteil?

    Wildermuth: Die christlichen Organisationen in den USA sind natürlich hoch befriedigt. Die sehen das als einen wichtigen ersten Schritt, um eben die Forschung an diesen embryonalen Stammzellen zurückzudrängen. Auf der anderen Seite sind Forscher und auch Patientenorganisationen sehr besorgt. Die meinen, dass hier wichtige Therapiemöglichkeiten nicht weiter erforscht werden können. Wie gesagt, das stimmt so ganz nicht, weil die privaten Forschungen gehen ja weiter. Und auch in Kalifornien wird es weitergehen. Aber das NIH vergibt eben doch einen großen Batzen Geld und das wird die amerikanische Forschung an den menschlichen embryonalen Stammzellen durchaus zurückwerfen - keine Frage.

    Zöfel: In letzter Zeit war viel von den iPS-Zellen die Rede, von sogenannten iPS-Zellen, die fast genauso vielseitig sein sollen wie embryonale Stemmzellen. Sind Stammzellen überhaupt noch wichtig?

    Wildermuth: Ja, also diese embryonalen Stammzellen sind nach wie vor wichtig, weil was diese iPS-Zellen taugen, das weiß letztlich keiner so genau. Diese Forschungen stehen wirklich noch am Anfang. Es ist ja noch nicht einmal zwölf Jahre her, dass man erstmals diese embryonalen menschlichen Stammzellen isoliert hat. Da kann noch keiner genau sagen, welcher Zelltyp für welche Krankheit welches Potenzial birgt. Das kann man letztlich nicht im Labor klären mit irgendwelchen Vorversuchen, die im Moment laufen, sondern nur in klinischen Studien an Patienten. Die haben begonnen auf einigen wenigen Feldern, zum Beispiel Zuckerkrankheit, Querschnittlähmung beginnt auch etwas. Solche Studien fangen an, aber das wird noch Jahre dauern, bis man das Potenzial wirklich abschätzen kann. Und solange das nicht so ist, kann man weder denen glauben, die sagen, das ist die Zukunft der Medizin, noch denen, die sagen, das bringt sowieso nichts, da muss man weitere Forschung betreiben, ohne geht's nicht.