Donnerstag, 28. März 2024

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Große Waffengeschäfte mit Saudi-Arabien sind "durchaus problematisch"

Medienberichten zufolge will Deutschland bis zu 800 Kampfpanzer nach Saudi-Arabien liefern. Doch nur ein kleiner Kreis scheint Genaueres darüber zu wissen. Das kritisiert auch Rainer Stinner, außenpolitischer Sprecher der Liberalen im Bundestag und fordert, derartige Rüstungsgeschäfte vorab im Bundestag zu diskutieren.

Rainer Stinner im Gespräch mit Dirk Müller | 21.06.2012
    Dirk Müller: "Das wäre Wahnsinn!" So wird Burkhart von Braunbehrens im "Stern" zitiert, ein Unternehmer und Miteigentümer des Rüstungskonzerns Kraus-Maffei Wegmann. Das wäre Wahnsinn, meint der Unternehmer, falls Kampfpanzer nach Saudi-Arabien geliefert werden würden. So richtig bestätigen will dies ja niemand in der Bundesregierung, aber nach gleichlautenden Medienberichten ist das offenbar geplante Waffengeschäft mit dem Königreich im Nahen Osten viel größer, als noch vor Monaten angenommen. Inzwischen soll es sich um 600 bis 800 Kampfpanzer vom Typ Leopard II handeln – Kostenpunkt geschätzte zehn Milliarden Euro.

    Umstrittener können Waffenlieferungen kaum sein, auch in der Regierungsfraktion - ausgerechnet nach Saudi-Arabien, ausgerechnet in eine Krisenregion, ausgerechnet im verblassenden Arabischen Frühling. Und warum regen wir uns dann über zwei, drei U-Boote für Israel auf, fragen sich zahlreiche Kritiker.

    Der andere äußerst prekäre Punkt dabei: Niemand außer einem kleinen erlauchten Kreis weiß Genaueres darüber – unser Thema jetzt auch mit FDP-Politiker Rainer Stinner, außenpolitischer Sprecher der Liberalen-Fraktion im Bundestag. Guten Morgen.

    Rainer Stinner: Guten Morgen!

    Müller: Herr Stinner, ich muss das fragen: Was wissen Sie?

    Stinner: Ich gehöre leider nicht zu diesem erlauchten Kreis. Ich weiß nämlich nur das, was ich aus der Presse erfahre. Das heißt, ich kann weder bestätigen, noch dementieren, dass es eine Anfrage und dass es eine eventuelle Genehmigung für diese Panzerlieferung an Saudi-Arabien gibt.

    Müller: Ist das zufriedenstellend als Abgeordneter?

    Stinner: Nein, das ist nicht zufriedenstellend. Ich glaube, wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass Waffengeschäfte in diesen Größenordnungen hoch politische Akte sind, und deshalb sollten wir überlegen, ob wir nicht auch in Deutschland eine Veränderung herbeiführen, dass der Deutsche Bundestag nicht erst mit circa einem Jahr Zeitverzug nachträglich und insgesamt kursorisch über die Waffenlieferungen informiert wird, sondern bei solchen hoch brisanten Dingen durchaus wir es "wagen", einen politischen Diskurs zu führen, denn in der Tat sind die Überlegungen, die zu möglichen Waffenlieferungen führen, höchst komplex, und dabei spielen ganz unterschiedliche Aspekte eine Rolle, und ich möchte gerne, dass wir diese öffentlicher diskutieren.

    Müller: Um das noch mal für die Hörer festzuhalten: Auch Sie, außenpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, erfahren über dieses mögliche Waffengeschäft Saudi-Arabien, hoch brisant, höchst prekär, erst nach einem Jahr davon?

    Stinner: Jawohl!

    Müller: Das sind ägyptische Verhältnisse.

    Stinner: So würde ich das nicht bezeichnen. Wir erfahren es ja immerhin. Aber wie gesagt: Die ganze Diskussion, die wir jetzt hatten - das Saudi-Thema kommt zum zweiten Mal hoch, wir hatten das Thema Israel mit den U-Booten -, hat so hoch politische Brisanz, das ist, wie ich empfinde, genauso wichtig für Abgeordnete wie die Frage, ob wir irgendein Bündnis oder irgendeinen Vertrag mit jemand schließen, über den wir ja auch diskutieren, dass ich glaube, dass wir als Abgeordnete – und ich spreche ja hier ausdrücklich als Abgeordneter des Deutschen Bundestages – dafür sorgen sollten, dass wir hier eine Veränderung der Situation herbeiführen.

    Müller: Ich frage deshalb auch noch mal danach: Beim Euro-Rettungsschirm und anderen Dingen, die den Euro betreffen, da machen wir ein Riesentheater, hat das Bundesverfassungsgericht jetzt gesagt, so geht das nicht, der Bundestag muss ganz, ganz, ganz frühzeitig mit eingebunden sein. Warum dann nicht bei diesem fragilen Thema?

    Stinner: Nun, es gibt einen Unterschied, ob die Bundesregierung, wie es in dem Fall war, der gerade jetzt entschieden ist, ihren Informationspflichten nicht umfänglich nachgekommen ist, die festgelegt sind in der Verfassung, oder ob es sich um ein solch Politisches handelt, wo es ja keine Regelungen gibt, gegen die die Bundesregierung verstößt, sondern ich bin eben der Meinung, dass wir gemeinsam überlegen sollten, in aller Ruhe, wie wir hier eine politische Diskussion über hoch brisante, politisch hoch brisante Rüstungsgeschäfte führen können. Das ist völlig unabhängig davon, ob es sinnvoll ist oder nicht, Rüstungsexporte zu betreiben. Das heißt, der inhaltliche Komplex ist davon völlig unabhängig.

    Müller: Da wollen wir aber jetzt auch noch mal von Ihnen wissen, ob Sie das grundsätzlich unterstützen würden, würden Sie davon frühzeitig erfahren.

    Stinner: Lassen Sie mich kurz noch mal eine Argumentationskette auffächern. Ich glaube, es ist unbestritten, dass diese Bundesregierung und dieser Außenminister das Thema der militärischen Zurückhaltung ganz oben ansiedelt auf seiner Politik. Das ist, glaube ich, unbestritten, kann auch die Opposition nicht bestreiten.

    Zweitens: Für mich unbestritten ist, wir brauchen eine Bundeswehr. Drittens: Für mich unbestritten ist, dass es sinnvoll ist, dass die Bundeswehr nicht nur mit ausländischen, sondern mit deutschen Waffen ausgerüstet wird. Das heißt – auch für mich unbestritten -, wir brauchen eine leistungsfähige deutsche wehrtechnische Industrie. Diese wehrtechnische Industrie kann nur leistungsfähig sein, wenn sie in bestimmten Stückzahlen produziert, und wenn die Bundeswehr diese nicht abnehmen kann, was wir nicht können und wollen, weil wir den Verteidigungsetat ja eher zusammenstreichen, als ihn auszubauen, dann ist in der Tat das Thema Rüstungsexporte ein Thema, an dem wir nicht vorbei kommen.

    Das ist für manche eine vielleicht ethisch problematische Alternative, aber wir müssen als Politiker häufiger unangenehmen Entscheidungen ins Auge schauen. Von daher bin ich für eine leistungsfähige deutsche Rüstungsindustrie, und dazu gehört eben auch die Frage der Rüstungsexporte.

    Müller: Ich hatte Sie aber gefragt, Herr Stinner, ob Sie für Rüstungsexporte, für Panzerlieferungen nach Saudi-Arabien sind.

    Stinner: Ich halte das für durchaus problematisch, und es ist ein Abwägungsprozess. Die Rüstungsexport-Richtlinien geben hier verschiedene Richtungen vor. Es wird auf der einen Seite gesagt, Rüstungsexporte sind nur dann zu genehmigen, wenn die außen- und sicherheitspolitischen Interessen der Bundesrepublik Deutschland dies erfordern, oder dass die dadurch befördert werden, andererseits wird gesagt, dass in Spannungsgebiete nicht geliefert werden darf, und diese Abwägung muss die Bundesregierung jeweils durchführen, und ich bin bei den Bundessicherheitsratssitzungen nicht dabei, ich weiß nicht, ob das bisher diskutiert worden ist, und ich weiß nicht, wie es abgewogen worden ist.

    Müller: Gibt es einen schlimmeren Staat als Saudi-Arabien?

    Stinner: Darüber könnte man jetzt, über die "Schlimmheit" von Staaten könnte man lange philosophieren. Aber in der Tat – das will ich ja gar nicht verschweigen und verschweige es ja auch gar nicht – halte ich ein Rüstungsgeschäft in dieser Größenordnung mit Saudi-Arabien in der gegenwärtigen Zeit für durchaus problematisch und es müssen sehr gute, sehr, sehr gute außen- und sicherheitspolitische Gründe dafür sprechen, ein solches Rüstungsgeschäft zu genehmigen.

    Müller: …, die Sie aber auch jetzt noch nicht kennen, diese sehr guten Gründe?

    Stinner: …, die ich im Augenblick nicht kenne. Was bekannt ist und worüber wir ja reden ist, dass wir natürlich in eine Konfliktsituation, eine potenzielle, hineinkommen zwischen Saudi-Arabien und eventuell Iran, eine ganz furchtbare Perspektive, die wir ja verhindern wollen unter allen Umständen. Worüber diskutiert wird, ist, dass natürlich Saudi-Arabien im Kampf gegen El Kaida auf der einen Seite jedenfalls Stabilisierungsinstrument ist. Auf der anderen Seite wissen wir auch, dass Saudi-Arabien – in welchem Umfang von der Regierung gefördert, kann ich jetzt nicht sagen -, dass aus Saudi-Arabien heraus jedenfalls auch durchaus problematische islamistische, aggressiv-islamistische Kräfte gestützt und gefördert werden. All das ist ein sehr bunter Strauß und wie gesagt ein sehr schwieriger Abwägungsprozess, den die Bundesregierung machen muss.

    Müller: Ist Saudi-Arabien aufgrund des wirtschaftlichen Potenzials, aufgrund des Öls in der gesamten Politik – wir hatten ja auch viele Zwischenfälle, in Spanien, in der Schweiz beispielsweise, immer wieder auch in den USA – viel, viel stärker, viel, viel mächtiger, als es das sein dürfte?

    Stinner: Selbstverständlich. Es wäre doch naiv zu behaupten, dass wir ein Land und die Beziehung zu einem Land in einem gesamten Kontext betrachten und dass wir ein Land wie Saudi-Arabien nicht in dem gleichen Maße betrachten, wie wir ein Land, mit dem wir ganz andere Beziehungen, keine Beziehungen, wenig Beziehungen haben, ein unbedeutendes kleines Land haben. Auch das ist vielleicht unter ethischen oder normativen Fragestellungen nicht gut zu heißen, aber das ist die politische Realität. Es ist gar keine Frage, dass natürlich Länder, mit denen uns intensive wirtschaftliche Beziehungen verbinden und die außerdem noch in der Region eine große Rolle spielen, wir mit denen andere politische Beziehungen pflegen als in anderen Ländern.

    Müller: Herr Stinner, wir könnten also festhalten: Die Bundesregierung ist gerade dabei, einen ganz großen Fehler zu machen?

    Stinner: Das habe ich so nicht gesagt. Das möchte ich ausdrücklich sagen, das habe ich so nicht gesagt. Erstens: Ich weiß wirklich nicht, das kann ich nach bestem Wissen und Gewissen sagen -, ob überhaupt eine Anfrage besteht und wie die behandelt wird. Ich weiß auch nicht, wie die Bundesregierung gegenwärtig abwägt, das kann ich alles nicht sagen. Und ich weiß auch nicht, wie die Bundesregierung diese verschiedenen Argumente, die ich jetzt nur ganz kurz auflisten konnte, gegeneinander abwägt. Das ist ein schwieriger Abwägungsprozess.

    Und aus diesem Grunde plädiere ich ja dafür, dass wir in einer Form, wo ich noch keine endgültige Form dafür habe, über diese schwierigen, politisch sehr schwierigen und sehr bedeutsamen Fragestellungen durchaus auch im Deutschen Bundestag diskutieren. Die Amerikaner, die haben ein völlig anderes Prinzip, dort wird der Kongress durch das Arms Export Control Act von vornherein einbezogen, der Kongress kann die Rüstungsexporte, die der Präsident zu verantworten hat, durch Einspruch verhindern.

    Müller: Das hört sich nach Demokratie an!

    Stinner: Das hört sich jedenfalls nach Mitbeteiligung und nach Offenheit des Prozesses an. Ich würde nicht sagen, dass in jedem Fall jede Mitentscheidung des Bundestages bei administrativen Akten dann automatisch mehr Demokratie ist, aber in diesem Falle jedenfalls ist es so, dass in Amerika diese Dinge offen diskutiert werden, allerdings – auch das gehört zur Wahrheit -, dass natürlich in der amerikanischen Gesellschaft eine völlig andere Einstellung zu diesem Thema Rüstung und Militär besteht als in Deutschland.

    Und ich vermute mal, dass historisch bedingt die Regelung, die wir jetzt über viele Jahre ja haben – das hat mit der jetzigen Regierung ja gar nichts zu tun -, über viele Jahre und Jahrzehnte haben, dass diese Regelung auch geschuldet ist einer mentalen Verfassung der deutschen Gesellschaft, sich mit militärischen Dingen eher weniger gerne zu beschäftigen.

    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk der FDP-Politiker Rainer Stinner, außenpolitischer Sprecher der Liberalen im Bundestag. Vielen Dank und auf Wiederhören.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.