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Große Ziele, kleine Schritte

Die CDU ringt um ihr Profil, die CSU-Minister sind in der Regierung kaum wahrnehmbar und Kanzlerin Angela Merkel führe angeblich nicht, sondern moderiere nur. Konfus und diffus zugleich wirkt das Erscheinungsbild der Schwesterparteien. Die Lage im Land ist jedenfalls beträchtlich besser als die Stimmung innerhalb der Union. Die meisten Bürger haben den Eindruck, als hätten sich CDU und CSU im Dickicht der eigenen Debatten verheddert. Die SPD wirkt dagegen geradezu geschlossen, wie ein monolithischer Block. Parteichef Kurt Beck hat die Genossen geeint, und Vizekanzler Franz Müntefering kann ohne kakophonisches Stimmengewirr aus der Partei die Politik der Großen Koalition wesentlich prägen. Zumindest hat es den Anschein, als wären die Ministerpräsidenten der Union die Bremser und die Sozialdemokraten die Anschieber der Großen Koalition.

Von Wolfram Stahl | 29.09.2006
    " Die Verantwortung, die wir haben, ist die für das Land. Da darf man sich nicht ständig umkucken, da darf man nicht nervös werden, wenn es hie und da Umfragen gibt, die ungünstig sind, sondern die Menschen haben die berechtigte Erwartung an uns, dass wir die Probleme lösen und die Probleme sind groß genug. Wir können das ja. Wir haben ja auch Erfolge, was den Arbeitsmarkt angeht und andere Bereiche, weshalb sollten wir das nicht auch bei der Gesundheitsreform hinbekommen."

    So oder so ähnlich klingen in den letzten Wochen Franz Münteferings beschwörende und stets wiederkehrende Aufforderungen an den Koalitionspartner. Die Reformen gestalten, sie handwerklich gut umsetzen und darauf vertrauen, dass sich dann die Erfolge auch einstellen und die Umfragewerte wieder besser werden, lautet der Appell des SPD-Politikers an Bundeskanzlerin Angela Merkel.

    " Sicherlich sind Umfragen dabei auch Indizien, aber sich nach Umfragen zu richten wäre vollkommen falsch. Die Dinge, die wir angepackt haben sind richtig. Und ich glaube, wir werden als Große Koalition dann erfolgreich sein, wenn wir auch das, was wir tun, ehrlich benennen, ein Stück Sicherheit den Menschen auch geben. Und dann bin ich ganz überzeugt davon, dass die Politik der Großen Koalition, im übrigen zum Wohle beider Partner, eine erfolgreiche Politik sein kann."

    Kanzlerin Angela Merkel will auf die Stimmung in der Bevölkerung Rücksicht nehmen, muss aber auch die elf Ministerpräsidenten der Union beachten. Zu den Kritikern der politischen Ziele, die sich CDU und CSU gesetzt haben, gehört auch der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Jürgen Rüttgers.

    " Das ist eine Kampagne der SPD, die versucht das, was sie selber da durchsetzen will, jeweils immer auf der Folie zu diskutieren, dass in der Union, etwa von den Ministerpräsidenten Länderinteressen vorgetragen werden. In der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist mit Recht gesagt worden, dass es einfach klug ist zur Kenntnis zu nehmen, dass Deutschland ein föderaler Staat ist und dass man für viele Gesetze die Zustimmungen der Länder braucht. Das heißt, man stimmt sich besser vorher ab, als einfach was auf den Tisch zu legen und dann erst was nachträglich zu diskutieren. Da hat die CDU/CSU-Bundestagsfraktion Recht."

    Rüttgers Behauptung von einer gezielten SPD-Strategie wirkt wenig glaubwürdig. Ein Teil seiner gegenwärtigen Kritik richtet sich intern gegen eine "unsoziale Politik der Union". Sie verfolge eine viel zu unternehmerfreundliche und gleichzeitig arbeitnehmerfeindliche Politik. Rüttgers beklagt die fehlende soziale Balance.

    " Es ist natürlich bei den Wahlergebnissen zu spüren, wenn die Wählerinnen und Wähler das Gefühl haben, dass nicht auf alle Seiten geachtet wird. Das hat übrigens auch was mit der Reformfähigkeit zu tun. Wer glaubt, er könne Reformen, die unbeschreibbar notwendig sind, durchführen, wenn er nicht die Leute mitnimmt, der hat sich geirrt. Dann gibt es eben keine sinnvollen Reformen, die Deutschland dann auch weiter bringen."

    Der Widerstand mehrerer Ministerpräsidenten bleibt zumindest bei der Gesundheitsreform nicht ohne Folgen. Erstens ist der Gesundheitskompromiss immer noch nicht gefunden, und zweitens die Einführung der Reform verschoben. In den Koalitionsfraktionen herrscht deshalb zuweilen ein ruppiger Umgangston, so etwa zwischen SPD-Fraktionschef Peter Struck und CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla.

    " Die Union muss lernen, was es heißt zu regieren. Es gibt eine gewisse Nervosität wegen der Meinungsumfrageergebnisse, das kann ich alles nachvollziehen. In der Opposition ist es immer leichter, aber ich bin der Überzeugung, dass wir Erfolg haben werden in dieser Koalition, übrigens bis zum Jahr 2009."

    " Herr Struck ist Herr Struck, und Herr Struck ist einfach gestrickt. Und immer, wenn Herr Struck Probleme hat, greift er die anderen an, und irgendwann, da muss er aufpassen, geht es auch nach hinten los."

    Die komplexe Materie der Gesundheitsreform hat sich schon fast zu einem unbeweglichen Klumpen verdichtet. Für die Menschen im Staat nur noch schwer zu durchschauen. Die Union wünscht sich Zugeständnisse von der SPD. Und die SPD erinnert die Union stets an getroffene Abmachungen, die bereits von den Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers, Edmund Stoiber, Günther Oettinger und Peter Müller torpediert werden. Das Durcheinander innerhalb der Union zeigt sich an der ganz unterschiedlichen Einschätzung der Kritiker Oettinger und Müller. Der eine sieht die Lösung des gesamten Problems in einem Detail, der andere hat jede Hoffnung auf eine große Gesundheitsreform aufgeben.

    " Keine Sorge, die Länder haben Interessen. Wir werden die Gesundheitsreform mit Sicherheit konstruktiv voran bringen. Ich glaube, dass sie bis zum Jahresende stehen wird."

    " Diese Gesundheitsreform wird nicht die letzte Gesundheitsreform in Deutschland sein. Die Grundsatzfragen werden nicht entschieden werden können. Dafür gibt es kein hinreichendes Maß an Gemeinsamkeit zwischen den Koalitionspartnern."

    Die gegenwärtige Situation ist der Beweis für ein altes Problem der Union. Immer wenn CDU/CSU an der Bundesregierung beteiligt sind, muss sie sich mit dem schier unbändigen Egoismus unionsregierter Landesregierungen herumschlagen. Politikwissenschaftler Richard Stöss von der Freien Universität Berlin sieht darin momentan das Hauptproblem der Großen Koalition.

    " Die Landesfürsten waren sehr mächtig, und es war nur einem sehr starken Bundeskanzler vergönnt, die immer auch im Zaum zu halten. Wenn wir uns mal an die Frühzeit von Helmut Kohl erinnern, so ist ihm das auch nicht erst immer gelungen. Er hat erst seine Stellung im Laufe der Zeit so stark ausbauen können, dass ihm da vom innerparteilichen Föderalismus her keine Gefahr mehr gedroht hat."

    Die Große Koalition besitzt mit über 72 Prozent eine satte Mehrheit im Bundestag. Gepaart mit der Entscheidungsgewalt der Union im Bundesrat ergibt sich eine unglaubliche Machtfülle. Bildungsministerin Annette Schavans Analyse kommt jedoch zu dem verblüffenden Ergebnis, dass dieses Übergewicht eher zusätzliche Probleme für die Parteidisziplin mit sich bringt.

    " Am diszipliniertesten geht es in einer Partei zu, wenn man eine hauchdünne Mehrheit hat. Wenn der Eindruck entsteht, es kann ja sowieso nichts passieren, weil da sind ja immer noch Reservebänke, die da auch eine Rolle spielen, dann gibt es schon die Gefahr der Disziplinlosigkeit und eine Geschwätzigkeit, wo man denkt, hättest du geschwiegen, wäre der Tag auch gut zu Ende gegangen."

    Die größten Feinde der Union sitzen gegenwärtig in den eigenen Reihen. Ein Gesundheitsgesetz hätte der Bundestag einigermaßen schnell verabschieden können, dafür wäre es aber im Bundesrat vermutlich ebenso schnell gescheitert. Im Vermittlungsverfahren hätten dann nicht Gegner, sondern die Beteiligten der Großen Koalition miteinander verhandelt. CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer hält es darum für durchaus statthaft, dass sich die Länderchefs bereits im Vorfeld der Gesetzgebung einmischen.

    " Es ist natürlich, dass die Ministerpräsidenten, die ja auch für die Bundespolitik in Anspruch genommen werden, ein Wörtchen mitreden wollen. Ich halte das schon für legitim."

    Die Tatsache, dass Edmund Stoiber, Jürgen Rüttgers und andere die Beratungen der Koalitionsfachleute in Berlin massiv stören, erregt deutlichen Unmut bei Franz Müntefering und der gesamten SPD.

    " Es liegt ja daran, dass einzelne Ministerpräsidenten offenbar in Verkennung ihrer Funktion sich da einmischen zu einem Zeitpunkt, wo das nicht angemessen ist. Wir müssen die Reihenfolge beachten."

    Zwangsläufig erwecken solche Vorgänge den Eindruck, dass Kanzlerin Angela Merkel keine Durchsetzungsfähigkeit besitze, erklärt Politikwissenschaftler Richard Stöss von der Freien Universität Berlin.

    " Ich glaube, dass es eine richtige Beobachtung ist, dass Frau Merkel sich gerade nicht durchsetzen kann. Aber ich glaube nicht innerhalb der Großen Koalition, sondern innerhalb der Unionsparteien. Und deswegen scheint mir das eigentlich kein typisches Problem für eine Koalition zu sein. Also sie wird innerhalb ihrer eigenen Partei zunächst einmal für Konsens sorgen müssen, bevor die Große Koalition handlungsfähig ist."

    Aus den SPD-regierten Bundesländern verlautet zur Gesundheitsreform bislang allenfalls leise Kritik, während manche Unions-Ministerpräsidenten permanent mit lautem Donnergrollen zu vernehmen sind. Der SPD-Vorsitzende Kurt Beck hat zwar einerseits seine Ministerpräsidenten diszipliniert, andererseits würde er als rheinland-pfälzischer Landeschef natürlich keine Entscheidungen schlucken, die er in Mainz nicht wirklich vertreten könnte.

    " Wir wollten von Anfang an diesen Fonds nicht. Das war nicht unsere Idee, aber er war der Union ganz wichtig. Sie hat gesagt, wir wollen darüber Transparenz schaffen, und das ist für uns ein wichtiges Instrumentarium, dann haben wir das geschluckt. Dass jetzt ausgerechnet die Union, neben Problemen, die es auch bei uns gibt, aber zentral jetzt die Union das in Frage stellt, das macht mich schon besorgt und sehr nachdenklich. Ich hoffe, dass es sich da im Vordergrund nicht um einen Machtkampf innerhalb der CDU handelt, weil dafür wird das Thema zu wichtig."

    Anfang Juli haben der SPD-Parteivorsitzende Kurt Beck, Vizekanzler Franz Müntefering, Bundskanzlerin Angela Merkel und der CSU-Vorsitzende Edmund Stoiber die Eckpunkte der Gesundheitsreform beschlossen. Der bayerische Ministerpräsident muss damals etwas verschlafen haben, will er doch heute von dem Beschluss nichts mehr wissen. Seine Kritik zielt auf Gesundheitsministerin Ulla Schmidt.

    " Ich meine, die Regierung muss sich in der Tat als ein Gesamtunternehmen und als eine Mannschaft begreifen. Wenn sie das nicht tut, wird das schwierig, Erfolge zu erzielen. Und meine Kritik ist eben, das ist hier keine singuläre Kritik, ist letzten Endes das Papier, der Entwurf ja auf vielfältige Vorbehalte stößt, weil viele sagen, die Eckpunkte sind ja nicht umgesetzt, das, glaube ich, muss jetzt korrigiert werden und wird wohl auch korrigiert werden."

    Mit fast stoischer Gelassenheit erträgt Gesundheitsministerin Ulla Schmidt die schon seit Jahren anhaltende heftige Kritik der CSU.

    " Es gibt immer Widerstand. Damit muss man rechnen, aber das muss man aushalten."

    Vizekanzler Franz Müntefering sieht nur noch geringe Differenzen.

    " Wir werden es schaffen, wir sind nahe genug beieinander. Ich bin sicher, das löst sich alles auf."

    Und von der Kanzlerin Angela Merkel kommt die Versicherung, sie stehe sowohl zur Ministerin als auch zum Eckpunktepapier.

    " Die Bundesgesundheitsministerin hat bei der Umsetzung dieser Eckpunkte meine volle Unterstützung. Und die Basis dafür ist klar."

    Allein der CSU-Vorsitzende und bayerische Ministerpräsident bleibt bei seiner unnachgiebigen Haltung gegenüber der Gesundheitsreform und seiner personifizierten Kritik.

    " In der Großen Koalition muss sich immer der verantwortliche Minister oder Ministerin, wenn etwas vereinbart ist, als Treuhänder der gesamten Anlage betrachten und kann nicht in eine Richtung arbeiten lassen, also in die eigene Richtung, was man für vernünftiger hält, dann wird das schwierig."

    Soviel Hickhack um eine Reform hinterlässt natürlich eine verheerende Wirkung in der Öffentlichkeit. Die Bürger sind vor allem von der Union enttäuscht. In der Gunst der Bevölkerung ist die Partei fast so weit abgesackt wie in den Zeiten des CDU-Parteispendenskandals am Ende der Ära Kohl. In der Sonntagsumfrage der verschiedenen Meinungsforschungsinstitute dümpelt die Union um die 30-Prozent-Marke.

    Mann: " Die Frau Merkel hat für mich kein richtiges Rückgrat in dem Sinne, sie kann sich nicht durchsetzen."

    Frau: " Ich wünsche, dass sie auch in der öffentlichen Wahrnehmung einfach mehr Biss zeigt, nicht nur diplomatisch weich verpackt redet, sondern auch wirklich den Biss zeigt, den sie hat, und ich halte sie für eine intelligente, zuverlässige Frau."

    Mann: " Jetzt bei der Gesundheitsreform, da sind die Standpunkte so weit auseinander, ich weiß nicht, wie man das irgendwie zusammenbekommen soll."

    Frau: " Eine Große Koalition ist meiner Meinung nach immer ziemlich wenig konstruktiv und produktiv, weil die Quadratur des Kreises irgendwie angegangen werden muss."

    Mann: "Wenn man jetzt zum Beispiel sieht, was mit der Föderalismusreform, Bildung, wo es wirklich in Deutschland im Argen liegt, jetzt völlig an die Länder überwiesen wird, ohne dass die wiederum mit innovativen Konzepten aufwarten können, dann ist das schon eine ziemlich Enttäuschung. Denn die beiden großen Parteien hätten es ja mit ihrer Mehrheit in der Macht, hier wirklich eine Neuordnung herbeizuführen. Und ebenso ist es mit der Gesundheitsreform so, dass es absehbar ist, dass in einigen Jahren wieder die nächste Reform kommen muss."

    Die Unternehmerverbände hatten sich nach der Bundestagswahl eigentlich keine Große Koalition gewünscht. Inzwischen scheint auch noch der ohnehin geringe Vertrauensvorschuss verspielt - wenn man den Präsidenten des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Jürgen Thumann, mit seinen Äußerungen hört.

    " So langsam werden wir, der BDI und seine Mitglieder, wir Unternehmer, etwas ungeduldig. Ungeduldig angesichts der politischen Debatte in Deutschland, die bislang weitgehend folgenlos ist, angesichts vieler politischer Entscheidungen, die ich, die wir für falsch halten."

    Am Anfang ihrer Regierungszeit vor fast genau einem Jahr hatten Union und SPD noch ein überwältigend großes Vertrauen der Wähler in ihre gemeinsame Arbeit besessen. Im Gegensatz zur großen Mehrheit der Bevölkerung findet Politikwissenschaftler Stöss das bisher geleistete Pensum eigentlich gar nicht so übel.

    " Viele Dinge, die die Große Koalition auf den Weg gebracht hat oder auch noch auf den Weg bringen wird, werden sich erst über längere Zeit hin als Erfolg erweisen. Bis dahin ist die Bevölkerung natürlich unzufrieden, weil eben eine Große Koalition ewig debattiert und weil die Konflikte da sind. Aber die Koalition hat bitteschön vier Jahre Zeit und sollte man ihr eigentlich auch geben. Also ich denke, in der Mitte der Legislaturperiode wird man sagen können, ob sich das, was man von der Großen Koalition erwartet hat, auch wirklich einstellt."

    Bisher verspüren die Bürger keinerlei Erleichterung. Stattdessen hat die Große Koalition die Mehrwertsteuererhöhung beschlossen, schnell noch etliche Steuervergünstigungen gestrichen und zudem die Rente ab 67 eingeführt. Das aufgelegte Konjunkturprogramm in Höhe von 25 Milliarden Euro ist neben der vorrangigen Sanierung der Staatsfinanzen komplett untergegangen.

    " Wir haben zu Beginn unserer Regierungsarbeit unsere Arbeit dem Dreiklang untergeordnet - sanieren, reformieren, investieren - das ist richtig, und das muss auch über die nächsten Monate sehr konsequent fortgesetzt werden. Die Richtung stimmt unserer Regierungsarbeit, dieses Land kann vieles, und das wollen wir durch unsere politische Arbeit auch unterstreichen und den Menschen in diesem Lande möglich machen."

    Kanzlerin Merkel klingt so herrlich optimistisch. Die Menschen würden sich nur zu gern auch an solch vielversprechenden Aussichten laben. Doch bisher mussten alle harte Einschnitte hinnehmen und weitere Kostensteigerungen stehen erst noch bevor:

    " Wir werden als Koalition von manchen gemessen von beiden Seiten oder von allen Seiten an dem, was in Wahlkämpfen gesagt worden ist. Das ist unfair, weil da hat es ja ein Ereignis gegeben zwischendurch, nämlich die Bundestagswahl und eine Koalition, die daraus entstanden ist. Es kommt in der Tat darauf an, dass man uns misst an dem, was wir als Koalition aus dem Wahlergebnis an Möglichkeiten heraus entwickeln konnten."

    Franz Müntefering meint die wachsende Wirtschaft, das steigende Steueraufkommen, neue sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse und die sinkende Arbeitslosigkeit. Trotz hoffnungsvoller ökonomischer Parameter verunsichern die Politiker die Menschen in ihrer Wahrnehmung so sehr, dass sie die Union eher fürchten als ihr trauen.

    Mann: " Die Große Koalition ist immer ein bisschen ein Problem. Sie haben gegensätzliche Meinungen, und die bringen sie meiner Meinung nach nicht so zueinander, dass sie sich das einig werden auf ihre Themen und ihre Fragen. Ich weiß nicht, wie man das irgendwie zusammenbekommen soll. Ich meine also, dass sie nicht so erfolgreich ist."

    Frau: " Also ich wünsche mir Disziplin innerhalb der einzelnen Fraktionen und dann auch, was die Ministerpräsidenten angeht. Wenn man etwas zu meckern hat, dann soll man es vorher tun hinter verschlossenen Türen und nicht in der Öffentlichkeit losmeckern, wenn Entscheidungen schon getroffen wurden."

    Mann: " Es ist halt so, dass die Berge kreißen, und es wird immer wieder ein Mäuschen geboren."

    Auf die Koalitionsfraktionen und die Regierung wartet ein arbeitsintensiver Herbst. Große, gewichtige Brocken sind zu wälzen. Die Gesundheitsreform, die Unternehmenssteuerreform, die Überprüfung der Hartz-Gesetze, sowie die Debatte um Kombi- und Mindestlöhne. Politikwissenschaftler Stöss sieht darin neuen Stoff für neue Konflikte.

    " Also Unternehmenssteuerreform ist mindestens genauso umstritten wie die Gesundheitsreform, wir werden die Diskussion über Mindestlöhne bekommen, und auch wird es große Konflikte geben."

    Allein schon die Ankündigungen von SPD-Arbeitsminister Franz Müntefering, von CSU-Wirtschaftsminister Michel Glos und CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla bergen politischen Sprengstoff.

    " Löhne von vier Euro in der Stunde sind aus meiner Sicht sittenwidrig. Deshalb muss man da auch als Politiker versuchen, wie man das ändern kann."

    " Ich halte von gesetzlich festgelegten Mindestlöhnen überhaupt nichts, weil im Mittelpunkt bei uns in Deutschland, in der Situation, wo wir stehen, doch sein muss, alles, was Arbeitsplätze schafft, sinnvoll ist."

    " Einen gesetzlichen Mindestlohn wird es mit der Christlich Demokratischen Union nicht geben. Da können sich Gewerkschaften und SPD an uns die Zähne ausbeißen."

    Die Uneinigkeit der Große Koalition lässt für die vielen Reformen, die sie sich für den Herbst vorgenommen hat, nichts Gutes erwarten - eher Streit und noch langwierigere Debatten. Es gibt wahrlich viel zu tun, zu entscheiden und zu beschließen. Nur: durch gegenseitige Vorwürfe, geschwätziges Reden in Talkshows und das Gezänk um politische Grundsätze ist bekanntlich noch nie wirklich Wichtiges entschieden worden - und gewinnt auch keine Anerkennung bei den Wählern zurück.