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Großer Ansturm auf "1378 (km)"

Das neue Computerspiel "1378 (km)" ist umstritten, weil es an der früheren innerdeutschen Grenze spielt. Die Spieler können in die Rolle des Grenzsoldaten schlüpfen, der auf Flüchtlinge schießt. Der Erfinder Jens Stober will damit den Jugendlichen dieses Kapitel der Geschichte näherbringen.

Von Marie-Dominique Wetzel | 13.12.2010
    Das Computerspiel "1378 (km)" ist ein Rollenspiel, das zu mehreren gespielt werden muss. Die Spieler können wählen, ob sie in die Rolle eines DDR-Grenzsoldaten oder eines Republikflüchtlings schlüpfen wollen. Der Entwickler des Spiels, der 24-jährige Medienkunst-Student Jens Stober, kennt sich in der Computerspiel-Szene bestens aus und weiß, dass viele sicher erst einmal drauf losballern werden und erwarten, dafür belohnt zu werden. Doch da hat der Spielentwickler Jens Stober einen Kniff eingebaut:

    "Die User, denen es vordergründig nur ums Ballern geht, die werden sich dann mehr oder weniger die ganze Zeit im Gerichtssaal wiederfinden anstatt auf dem Spielfeld."

    Denn wenn die Spieler als Grenzsoldaten schießen, müssen sie sich in einem Mauerschützenprozess verantworten und der außenpolitische Druck steigt - das alles kostet Punkte. Deswegen können die Grenzsoldaten das Spiel nur gewinnen wenn sie Flüchtlinge nicht erschießen, sondern "lediglich" verhaften.
    "1378(km)" ist kein "Killerspiel" auch wenn es auf der Technik der sogenannten Ego-Shooter-Spiele beruht, betont Jens Stober. Er habe mit dem Spiel die Gewalt an der innerdeutschen Grenze weder verharmlosen noch verherrlichen wollen. Im Gegenteil, er erachte dieses Kapitel deutscher Geschichte für sehr wichtig und wolle es Jugendlichen begreifbar machen.

    "Ich selbst hab's am eigenen Leib erfahren: In der Schule wird das Thema nicht großartig behandelt. Und da war es mir einfach ein wichtiges Anliegen, das in die Erinnerung der Jugendlichen oder einer jungen Generation zu rufen - mit ihrem Leitmedium"

    Und deren bevorzugtes Leitmedium sei nun eben das Computerspiel. Doch genau mit diesem Medium haben viele Menschen über 30 ihre Probleme, für sie sind Computerspiele immer noch ein "unseriöses Medium" - eben nur ein Spiel. Heiner Mühlmann, Professor für Kulturtheorie hatte das Computerspiel bereits als Vordiplomarbeit begleitet und ihm war gleich klar, dass es bei einer Veröffentlichung Diskussionen auslösen werde.

    "Mit diesem Ausmaß hätte ich nicht gerechnet. Aber ich habe schon damit gerechnet, dass das Medium als minderwertig empfunden wird und dass es einen Konflikt geben wird zwischen der - ich nenn's mal- Erhabenheit des dargestellten Gegenstands und der Minderwertigkeit des Mediums. Und das ist wahrscheinlich ein altes Problem für alle Simulationsmedien."

    Die Spiele, die Jens Stober und seine Kommilitonen an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe entwickeln, sind sogenannte serious games, also Spiele mit ernsthaftem Hintergrund, die auf dem Spielemarkt immer mehr an Bedeutung gewinnen und versuchen, vor allem geopolitische und wirtschaftliche Zusammenhänge jungen Leuten begreiflich zu machen.

    "Die Idee des Spiels ist gut und es ist sicherlich kein Ballerspiel" sagt der Computerspielexperte Matthias Bopp, der "1378km" gleich ausprobiert hat. Allerdings müsse man jetzt beobachten, wie Jugendliche dieses Spiel spielen und wahrnehmen.

    "Man kann sich natürlich innerlich der Verantwortung immer entziehen. Deswegen wäre meine Idee, dass man die Opferperspektive stärker macht, die Opfer ein Gesicht bekommen."

    Es war von Anfang an vorgesehen, das Spiel weiter zu entwickeln und zu korrigieren, erklärt Michael Bielicky, Professor für Medienkunst an der Karlsruher Hochschule für Gestaltung. Und genau deswegen musste es jetzt frei gegeben werden, damit man damit Erfahrungen sammeln kann. Und das sei der große Vorteil des Mediums Computerspiel, das man es, im Gegensatz zu einem Film, einem Buch, verändern, weiterentwickeln kann. Das Medium stecke ja noch in den Kinderschuhen, sagt der verantwortliche Professor. Aber genau hier sei auch die Chance der Medienkunst, sich einzubringen. Deswegen wurde an der HfG Karlsruhe in diesem Sommersemester sogar ein "game lab", ein eigenes Institut zur Entwicklung solcher Computerspiele eingerichtet. Nachdem es nun aber gleich dermaßen in die Schlagzeilen geriet, hatte nicht nur der baden-württembergische Wissenschaftsminister gefragt, ob Kunsthochschulen der geeignete Ort seien, solche Spiele zu entwickeln. Für den Medienkunst-Professor Michael Bielicky ist die Antwort klar:

    "Natürlich ist die Hochschule der richtige Ort! Wo denn sonst sollte man eben Spiele, diese serious games, die eben über dieses Ballern hinausgehen und die den Anspruch haben, eben auch Bildung und eine intellektuelle Qualität zu haben, wo sonst als in so einem Institut sollten solche Werke entstehen."