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Großes Geschäft mit kleinen Körnern

Im deutschen Einzelhandel herrscht ein ruinöser Preiskampf. Doch es gibt auch Unternehmen, die in diesem Umfeld wachsen. Sie haben es geschafft, bei den Handelsketten zum Haus- und Hoflieferanten aufzusteigen. Dazu zählt auch H. & J. Brüggen aus Lübeck. Das Familienunternehmen ist zu Europas Marktführer bei Müslimischungen und Müsliriegeln aufgestiegen.

Von Matthias Günther | 15.01.2010
    "Das ist einmal Rosinen, dann die Vormischung, Haferflocken und Cornflakes."

    Sandra Burmeister kann die Müsli-Mischungen, welche die Beutelschlauchmaschine täglich abfüllt, nur grob schätzen. Beutel um Beutel wandert an ihr vorbei und landet in den Kartons:

    "In einer Schicht – zwölf Stunden – knappe 3000 Kartons."

    Damit ist H. & J. Brüggen aus Lübeck nicht mehr und nicht weniger als Europas Marktführer bei Müsli und Knusper-Müsli. Auch bei Cornflakes, Haferflocken und Müsli-Riegeln ist das Familienunternehmen ganz weit vorn. Doch kaum jemand kennt es. Denn auf den Packungen steht meist nicht der Name Brüggen. Hauptkunden der Firma sind die großen Handelsketten, und die verkaufen die Produkte als eigene Handelsmarken unter eigenen Namen, erklärt Jochen Brüggen, der das Unternehmen gemeinsam mit seinem Bruder und seinem Vetter leitet:
    "Wir beliefern praktisch alle größeren europäischen Handelsketten. Egal, ob das die deutschen Aldi und Lidl sind oder französische wie Carrefour, niederländische wie Holland, englische wie Tesco. Also ein bunter Strauß, und alle führenden europäischen Ketten sind eigentlich auch dabei."

    Und damit ist Brüggen automatisch mitten drin im Preiskampf der Discounter, die sich fast wöchentlich unterbieten. Für Hanno Brüggen ist das kein Problem, für seinen Vetter schon ... .

    "Gott sei Dank bin ich selber dafür nicht zuständig, sondern mein Vetter. Aber – wenn er diese Preisrunden hinter sich hat, dann ist er auch immer froh. Er spricht wörtlich manchmal von der Höhle des Löwen, in die er sich gerade begibt."

    Dennoch schafft die Lübecker Firma es immer wieder, die Ansprüche der Handelsketten bei Preisen und Produkten zu erfüllen. Das gelingt zum einen, weil Brüggen nicht nur Müslimischungen abfüllt, sondern auch entwickelt. Die Handelsketten in Europa, die gegen große Marken wie Kelloggs oder Nestle antreten, fordern ständig Neues von ihrem Haus- und Hoflieferanten aus Lübeck – und Brüggen liefert:

    "Wir haben für jede Produktgruppe einen oder mehrere verantwortliche Entwickler, die sozusagen den ganzen Tag nichts anderes tun als Versuche vorzubereiten und dann auch durchzuführen."

    ... sagt Jochen Brüggen. Das Zweite Erfolgsrezept: Brüggen ist ein Familienunternehmen, kennt keinen Aufsichtsrat, der bremsen könnte, dafür aber kurze und schnelle Entscheidungswege, unterstreicht Hanno Brüggen:

    "Das kann so weit gehen, dass wir zu dritt uns in der Unternehmensleitung mehr oder weniger auf dem Flur über ein neues Millionenprojekt abstimmen."

    ... und dabei ist es fast egal, ob es um Müsli-Mischungen oder Müsli-Riegel geht. Diese laufen in einer anderen Produktionshalle vom Band:Haferflocken, Reis-Crispies, Nüsse und weiteren Zutaten - all das wird unter der Aufsicht von Maschinenführer Sven Barkow zu einem festen Riegel:

    "Das ist durch die Andruckwalze. Das wird angedrückt durch die Walze, geht in den Kühltunnel rein, da verfestigt sich die Masse und wird dahinten dann geschnitten – in die Form, die man kennt als Müsli-Riegel."

    Nicht nur die Halle für die Müsli-Riegel-Produktion ist längst zu klein geworden. H & J. Brüggen hat in knapp zehn Jahren seinen Umsatz auf 200 Millionen Euro vervierfacht. Die Firma braucht nun mehr Platz für Müsli-Riegel, Müsli und Knusper-Müsli. Der Neubau war zunächst in Polen geplant. Doch dann bot die Hansestadt Lübeck Brüggen ein Hafengelände direkt neben dem Lübecker Stammsitz der Firma an. Ein idealer Standort, meint Hanno Brüggen:

    "Der Seehafen-Anschluss ist heute extrem wichtig. Denn 70 Prozent unserer Rohstoffe beziehen wir derzeitig per Schiff – überwiegend Getreide aus Skandinavien. Und es wäre ein Albtraum sich vorzustellen, dass diese gesamte Menge womöglich noch einmal irgendwo umgeschlagen werden müsste, bevor sie im eigenen Unternehmen landet."
    Brüggen wächst planmäßig weiter. Seit 2002 hat die Firma mehr als 140 Millionen Euro investiert. Die neue Halle in Lübeck kostet noch einmal 30 Millionen. Bis 2012 soll der Jahresumsatz von 200 auf 250 Millionen Euro steigen. Jochen Brüggen geht fest davon aus, dass das erreicht wird:

    "Cerealien, gesunde Getreideprodukte, liegen heute im Ernährungstrend. Das Zweite ist, dass es in Europa heute auch einen allgemeinen Trend weg von der Marke hin zur Handelsmarke gibt und deswegen auch sozusagen unser Segment wächst."

    Weniger in Deutschland, vor allem in Osteuropa. Auch in Nord- und Südamerika sieht Brüggen große Wachstumschancen. Dort wirbt das Unternehmen mit ballaststoffreicher, fett- und zuckerarmer Kost und hat gerade in Kanada den Preis für das innovativste Produkt bekommen – ein probiotisches Müsli.

    Mehr als 900 Beschäftigte hat das Unternehmen – davon 540 in Lübeck. Etwa ein Zehntel sind Auszubildende – denn Brüggen setzt am liebsten auf selbst ausgebildetes Personal. Das ist auch die Chance für Karina Rossmann. Sie will Lebensmitteltechnikerin werden:

    "Auf diesem Werk war ich schon fast überall: in der Riegel-Abteilung, Knusper-Müsli, Mischerei, Labor, Produktentwicklung, und jetzt bin in der Verpackung gelandet. Also am liebsten würde ich ja hier weiter arbeiten, wenn die mich hier noch haben wollen danach. Und dann kommt das eben darauf an, in welche Abteilung ich komme."

    Die Chancen sind nicht schlecht – schließlich braucht Brüggen rund 100 zusätzliche Fachkräfte, wenn der Erweiterungsbau in Lübeck fertig ist.