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Großmeister der Lichtkunst

56.000 Leuchtdioden auf 700 Quadratmetern und elf Metern Raumhöhe: James Turrell, der Großmeister der Lichtkunst, hat wieder zugeschlagen - diesmal in Wolfsburg.

Von Carsten Probst | 24.10.2009
    Die Dimensionen von Turrells sogenanntem Ganzfeld-Piece muten schon dramatisch an, bevor man die Arbeit überhaupt gesehen hat. 56.000 Leuchtdioden auf 700 Quadratmetern und elf Metern Raumhöhe. Turrell, der 1943 in eine strenggläubige, kalifornische Quäkerfamilie hineingeboren wurde, hat des weiteren auch nicht mit sakralen und mystischen Anspielungen gespart. Er lässt den Besucher über eine steil abfallende Rampe in eine abwechselnd in Rot, Blau und Magenta erleuchtete Unterwelt hinabsteigen, in der ihn dann die Schwelle zur Unendlichkeit erwartet, ein dimensionsloser Raum aus Licht, in dem es kein Oben und Unten mehr gibt und der das verführerische Verlangen erzeugen soll, sich darin aufzulösen.

    "Meine Arbeit beschäftigt sich tatsächlich mit der emotionalen Qualität unseres Gefühls von Licht. Denn Licht ist etwas, dessen materielle Existenz Sie spüren und zu der sie sich verhalten können. In dieser Arbeit möchte ich Sie nun gleichsam hineinwerfen in dieses Fühlen des Lichts, und zwar mithilfe der Schwerkraft auf der Rampe am Eingang der Installation. Es ist nicht unbedingt überraschend für uns, das Licht in dieser Form wahrzunehmen, weil wir es vielleicht aus speziellen Momenten schon kennen. Wir sehen es nicht, wenn wir die Augen geöffnet haben, sondern eher in unseren Träumen mit ihrem luziden Sinn für Farbe, wenn unsere Augen geschlossen sind, und auch mit einer größeren Klarheit."

    So weit, so gut, könnte man sagen. Vieles von Turrells Selbstbeschreibung des Projektes könnte auf die meisten seiner Werke aus den letzten 30 Jahren angewandt werden. Und doch hat dieser großartige Künstler irgendwann im Verlauf seiner Karriere eine Richtung eingeschlagen, die wegführt von der meditativen Kraft vieler seiner kleineren Arbeiten und hin zu einem Gigantismus, der seinem Werk etwas von jener letzten Konzentration entzieht, die es immer vom üblichen Kunstkontext abgehoben hat.

    Riesige Projekte wie das Wolfsburger "Bridget's Bardo" lenken die Aufmerksamkeit ihres Betrachters empfindlich von der Intensität der Lichtwirkung ab, deren Komposition das Ein und Alles von Turrells Arbeit ist. Diese Intensität lässt sich nicht mit der Anzahl der Leuchtdioden und der lichtdurchfluteten Kubikmeter vergrößern. Arbeiten wie der Wolfsburger fehlt die Radikalität und die Intimität, mit der sich der Besucher der Lichtwirkung aussetzen kann. An ihre Stelle tritt der Eindruck eines konstruierten Spektakels, einer Bühne, die den Besucher braucht, um zu beeindrucken.

    Turrells kleinere Arbeiten waren stets von der spirituellen Inbrunst der Malerei eines Mark Rothko inspiriert, von Farben, die kein Licht reflektieren, sondern aus sich selbst heraus glühen, wie Turrell selbst es einmal sehr schön beschreibt. Rothkos Malerei hatte sich vom eitlen Präsentationstrieb der Gegenwart abgewandt, seine Bilder brauchen den Betrachter nicht, sie ruhen in sich. Ebenso verhält es sich mit vielen Werken Turrells. Riesenwerke wie seine Wolfsburger Arbeit sind dagegen von vornherein darauf angelegt, bestaunt zu werden – was an sich nichts Schlechtes sein muss, jedoch eine inhaltliche Abweichung darstellt. Der Effekt ist nun, dass diese Arbeit viel weniger berührt als viele andere in seinem einzigartigen Gesamtwerk.

    Am legendären Roden Crater Project, das auch immer wieder als Ursprungsidee für Turrells Wolfsburger Projekt genannt wird, scheiden sich dabei genau die Geister. Seit 1974 baut er einen 150 Meter hohen, erloschenen Vulkankegel in der Wüste von Arizona zu einem riesigen Licht-Oberservatorium aus. Nähme man dieses Projekt nur von seinen schieren Ausmaßen her, käme es über die spektakuläre Nettigkeit einer Christo-Verhüllungsaktion womöglich kaum hinaus. Doch im Inneren des Kraters kreiert Turrell einen großartigen, zum Himmel offenen Raum für eine intime kosmologische Selbsterfahrung.

    Von diesem Inneren leben sowohl das Roden Crater-Projekt, als auch Turrells ganze Lichtmetaphysik, denn damit gehen sie über ein bloßes Kunstproduzieren hinaus. Diese vertiefende innere Dimension fehlt aber dem Wolfsburger Licht-Experiment – und lässt es so zu einem bloßen Kunststück schrumpfen.