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Gründervater der Wissenschaft des Judentums
"Der einflussreichste Jude des 19. Jahrhunderts"

1818 verfasste der Student Leopold Zunz in Berlin einen Text, der heute als Gründungsdokument der wissenschaftlichen Erforschung des Judentums gilt. Trotzdem ist der Name Zunz heute kaum noch bekannt. Um das zu ändern, fährt ein US-Rabbi mit dem "Zunz-Mobil" durch Washington D.C. und Umgebung.

Von Christian Röther | 05.04.2018
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    Ein Nummernschild, das den meisten Menschen Rätsel aufgeben dürfte ( Screenshot youtube)
    "This is my car, known as the "Zunz mobile". You notice the license plate? Z-U-N-Z."
    Rabbi Steven Glazer steht vor seinem Auto, dem "Zunz-Mobil". In den USA kann man sich aussuchen, was auf dem Nummernschild steht, und Steven Glazer hat sich für die Buchstaben Z-U-N-Z entschieden – Zunz, zu Ehren von Leopold Zunz.
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    US-Rabbi Steven Glazer cruised mit dem "Zunz-Mobil" durch Washington und Umgebung ( Screenshot youtube)
    Zunz war seiner Meinung nach der einflussreichste Jude des 19. Jahrhunderts, sagt Steven Glazer in diesem Video seiner jüdischen Kongregation Beth Emeth. Glazer führt darin durch sein kleines privates Zunz-Museum.
    "Gründervater der Wissenschaft des Judentums"
    Das würde es vermutlich nicht geben, hätte Leopold Zunz nicht als Student einen einflussreichen Aufsatz verfasst. Im Jahr 1818, Zunz ist 23 Jahre alt, schreibt er "Etwas über die rabbinische Literatur" – so der Titel. Damit begründet Zunz gewissermaßen gleich drei wissenschaftliche Disziplinen.
    Walter Homolka: "Wir haben mit Leopold Zunz den Gründervater der Wissenschaft des Judentums, die sich heute in der Judaistik als philologischer Disziplin, den Jüdischen Studien als kultureller Herangehensweise und der Jüdischen Theologie als religiöser Betrachtung unterteilen. Aber man kann sagen, Leopold Zunz wird von all diesen Unterdisziplinen als der entscheidende Gründervater betrachtet."
    Bei einer Rabbinerordinationsfeier in der Neuen Synagoge in Erfurt spricht Rabbiner Walter Homolka.
    Will an Leopold Zunz erinnern: der Rabbiner Walter Homolka (Martin Schutt, dpa)
    Walter Homolka ist in Potsdam Professor für Jüdische Religionsphilosophie und leitet das Abraham Geiger Kolleg. Der Rabbiner Abraham Geiger war ein Zeitgenosse von Leopold Zunz, ist heute aber um einiges bekannter. Denn er gilt als Vordenker des Reformjudentums. Zunz hingegen hatte mehr als die religiöse Erneuerung im Blick, erklärt Walter Homolka.
    "Er wendet sich dann sehr schnell der Frage zu, dass Judentum auch mehr ist als Religion, und dass es also um eine nationale Frage geht, wie diese Kultur, diese Tradition bewahrt werden kann, auch wenn man Bürger in den deutschen Ländern und später dann im zweiten deutschen Kaiserreich ist."
    Bewahren der jüdischen Kultur
    Leopold Zunz wird 1794 im ostwestfälischen Detmold geboren, studiert in Berlin Philosophie, Philologie und Geschichte. Er lässt sich zum Rabbiner ordinieren, wendet sich dann aber schnell wieder von der religiösen Reformbewegung ab. Zunz fürchtet, die Reformer könnten allzu viele jüdische Traditionen über Bord werfen.
    Walter Homolka: "Er glaubt eben, dass das jüdische Volk, die jüdische Kultur an sich bewahrenswert ist und dass das also zu kurz gegriffen wäre, das nur jetzt religiös zu beschreiben."
    Es ist eine Hochphase der jüdischen Emanzipation in Deutschland. Doch Leopold Zunz sieht das nicht nur positiv. Er fürchtet, die jüdische Identität könnte verloren gehen. Wenn Jüdinnen und Juden mehr Bürgerrechte erhalten, könnten sie sich zu sehr als Teil der deutschen Gesellschaft verstehen.
    "Diese Tradition, die ist wertvoll"
    Deswegen fordert Zunz schon 1818 in seinem kleinen Aufsatz ein wissenschaftliches Großprojekt: Er will das Judentum wissenschaftlich aufarbeiten, um es zu bewahren. Geschichte, Sprache, Literatur, Geistesgeschichte, Religion – alles will Zunz erforscht wissen.
    "Damit stößt er die Türe auf zu einer kritischen Betrachtung der jüdischen Tradition – nicht um der Kritik willen, sondern um zu sagen: Diese Tradition, die ist wertvoll. Also Juden, Jüdinnen im Zeitalter der Emanzipation, werft das nicht alles von Euch, sondern bewahrt es als den Schatz Eurer eigenen Kultur!"
    Leopold Zunz will aber auch nicht unterschiedslos alles bewahren. Nicht alles im zeitgenössischen Judentum behagt ihm, sagt Walter Homolka, sondern Zunz beeinflusst maßgeblich die jüdische Reformbewegung, indem er sich "mit dieser historisch-kritischen Methode die gesamte Tradition vornimmt und damit vor allem eine Trennung hinbekommt, nämlich die: Was ist essentiell? Was ist also der Kern der jüdischen Überlieferung? Und was ist zeitgebunden akzidentiell? Was kann man auch in seiner Zeitgebundenheit verändern oder auch ablösen?"
    Übersetzer der Hebräischen Bibel
    Um das herauszufinden, gründet Leopold Zunz den "Verein für Cultur und Wissenschaft der Juden" und die "Zeitschrift für die Wissenschaft des Judenthums". Er schreibt auch für Zeitungen und bildet jüdische Lehrer aus. Als Zunz schon fast 80 Jahre alt ist, entsteht in Berlin schließlich die "Hochschule für die Wissenschaft des Judentums" – Ausdruck einer wissenschaftlich-emanzipatorischen Bewegung, zu der Zunz wesentlich beigetragen hat.
    Bekannt ist der Name Leopold Zunz im Judentum inzwischen aber vor allem, weil Zunz auch die Hebräische Bibel ins Deutsche übersetzt hat. Zunz‘ Bibelausgabe wird bis heute in vielen Synagogen verwendet, sagt Walter Homolka. Andere Aspekte seines Wirkens seien hingegen weitgehend vergessen.
    "Aber deswegen ist ja ein solches Jubiläum eine Möglichkeit, das wieder in Erinnerung zu rufen."
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    In Steven Glazers "Zunz-Museum" steht eine Büste des jüdischen Gelehrten (Screenshot youtube)
    Eine andere Möglichkeit: Man druckt sich Zunz' Namen auf das Nummernschild, so wie US-Rabbi Steven Glazer. Er hofft, so in Washington und Umgebung an den wichtigen jüdischen Gelehrten zu erinnern.