Freitag, 19. April 2024

Archiv

Grüne Familienpolitikerin
"Deutschland hat noch einen langen Weg vor sich"

In deutschen Unternehmen herrsche noch eine Präsenzkultur, die nicht sehr familienfreundlich ist, kritisiert die Grünen-Familienpolitikerin Franziska Brantner. Im DLF-Interview fordert sie gesetzliche Rahmenbedingungen, die Arbeitnehmern mehr Flexibilität ermöglichen.

Franziska Brantner im Gespräch mit Bettina Klein | 14.01.2014
    Franziska Brantner, die neue familienpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen
    Franziska Brantner (Bündnis 90/Die Grünen) hofft auf Umsetzung der familienpolitschen Ziele des Koalitionsvertrags. (Büro Franziska Brantner)
    Bettina Klein: Stimmen von zwei Ministerinnen, zwei Vorschläge zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Während allerdings Ursula von der Leyen breite Unterstützung für ihre Vorschläge für die Bundeswehr erhält, wurde der Vorschlag der Familienministerin als private Vision qualifiziert, vor allem mit Verweis auf die nicht vorhandene Finanzierbarkeit einer 32-Stunden-Woche für Eltern in Unternehmen.
    Wie sie die Vorschläge von Regierungsseite einordnet, darüber spreche ich jetzt mit der Grünen-Familienpolitikerin Franziska Brantner. Sie ist neuerdings Sprecherin ihrer Fraktion dafür im Deutschen Bundestag. Guten Morgen, Frau Brantner.
    Franziska Brantner: Guten Morgen, Frau Klein.
    Klein: Die Verteidigungsministerin – fangen wir mit ihr an – erhält breite Unterstützung. Auch für Sie vorbildlich in der Familienpolitik?
    Brantner: Ich denke, dass sie ein wichtiges Thema angegangen ist. Natürlich fängt man bei der Bundeswehr noch mal jetzt weiter hinten an, was Vereinbarkeit von Familie und Beruf angeht. Aber es stimmt auch, dass sie die Frage der Finanzierung natürlich auch nicht beantwortet hat.
    Klein: Aber dennoch erhält sie weitgehend breite Unterstützung in der Gesellschaft. Hat Sie das eigentlich überrascht?
    Brantner: Ich glaube, dass Frau von der Leyen an sich eine sehr beliebte Politikerin in Deutschland ist und natürlich ein Thema aufgreift, was wirklich wichtig ist: Wer geht in Zukunft noch zur Bundeswehr, wie kriegen wir dort auch junge Menschen hin, die bereit sind, wirklich für Deutschland später vielleicht sogar im Krieg sterben zu müssen? Das ist ja eine sehr wichtige Aufgabe. Von daher ist sie ein Thema angegangen, das schon lange ansteht und was ihre Vorgänger einfach auch ziemlich verpasst haben.
    Vorstoß von Manuela Schwesig war "nicht sehr hilfreich"
    Klein: Hat sie es denn möglicherweise schlauerer eingefädelt als ihre Kabinettskollegin Manuela Schwesig, deren Vision von Vereinbarkeit von Beruf und Familie, sprich 32-Stunden-Woche für Eltern in Unternehmen, direkt vom Regierungssprecher als privater Debattenbeitrag qualifiziert wurde? Da hat sie offenbar einen taktischen Fehler gemacht?
    Brantner: Ich glaube, dass Frau Schwesig den Fehler begangen hat, zuerst von der großen Vision zu sprechen, von 32 Stunden für alle Eltern mit Lohn, auch Ersatz, ohne natürlich zu sagen, wie das finanziert werden soll, um dann hinterher ganz konkret zu sagen, es geht ja eigentlich nur um die Betreuung von Kindern unter drei Jahren und dort um einen kleinen Lohnersatz.
    Manchmal ist es vielleicht besser, wenn man einfach sagt, was man konkret vor hat, was viele dann auch gut finden, als etwas in den Raum zu stellen, von dem eigentlich alle wissen oder zumindest viele wissen, dass das eigentlich überhaupt gar nicht darstellbar ist. Für alle Eltern mit Kindern eine 32-Stunden-Woche, das ist ja richtig viel Holz, und das führt dann unausweichlich …
    Klein: Sie teilen als Grünen-Politikerin da ganz eindeutig die Kritik an Frau Schwesig?
    Brantner: Wir teilen die Kritik, dass dies vielleicht jetzt erst mal zu einer Stimmung gebracht hat, die es schwieriger macht, wirklich über Zeitpolitik, über eine neue Arbeitsmarktpolitik zu reden, die wirklich mehr Zeit gibt für Eltern mit Kindern, aber auch zum Beispiel die pflegen müssen, die ihre Eltern versorgen, dass man da jetzt erst mal wieder ein Klima hat, was nicht unbedingt eines von Vertrauen ist, sondern zuerst mal alle auf den Bäumen sitzen, und ich denke, das ist nicht sehr hilfreich, weil da ist ja großer Bedarf. Wir haben echt noch diese Präsenzkultur in Deutschland, die nicht sehr familienfreundlich ist. Da gibt es viel zu tun und unserer Meinung nach wurde da jetzt etwas an Vertrauen verspielt.
    Klein: Aber wie werden Debatten dieser Art angestoßen in Deutschland, um auch etwas in einer Unternehmenskultur und auch in den Köpfen vor allen Dingen zu ändern?
    Brantner: Ich finde, dass Herr Gabriel da vielleicht sogar mehr angestoßen hat, indem er einfach gesagt hat, ich hole meine Tochter aus der Kita ab, komme was wolle, und damit natürlich auch ein Zeichen gesetzt hat, dass es möglich sein muss, auch, sage ich mal, Treffen und Termine kürzer zu gestalten, sich aufs wesentliche zu reduzieren, und dadurch für alle es auch zu ermöglichen, mal früher heimzugehen und nicht die Kultur zu haben, wer länger da ist gewinnt.
    Ich denke, das sind auch wichtige Zeichen, und da könnte man auch gesetzlich noch einiges tun. Flexibilität nicht nur im Sinne, sage ich mal, des Unternehmens, sondern auch der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Ich glaube, da ist noch viel zu tun.
    Klein: Aber es wird immer möglich sein für Berufstätige, die zum Beispiel keine Kinder zu versorgen haben, sich stärker zu profilieren, längeren Einsatz, mehr Einsatz möglicherweise zu zeigen als Väter oder Mütter und damit auch Vorgesetzte zu beeindrucken. Wie wollen Sie denn daran etwas ändern?
    Brantner: Wenn, dann muss es natürlich generell um eine Arbeitskultur gehen. – Oh, jetzt weint meine kleine Tochter.
    Klein: Wir hören gerade Ihre Tochter?
    Brantner: Ja!
    Klein: Wunderbar! – Ein Beispiel aus dem wahren Leben.
    Brantner: Es geht also darum, das für alle zu machen und nicht nur für die Eltern. Ich mache das ja auch. In der einen Sekunde muss es darum gehen, dass es für alle dann gilt, dass man eben Termine für alle um fünf beenden lässt und keine späten Sitzungen für niemanden Abends um sieben hat. Erst dann macht es Sinn, weil sonst werden die Familien noch stärker daran leiden.
    Klein: Aber das sind natürlich Vorschläge, die auch seit Jahren und Jahrzehnten diskutiert werden. Ein Einwand ist ja immer wieder, bestimmte Positionen, auch bestimmte Aufgaben im beruflichen Bereich lassen sich einfach so nicht regeln und es gibt teilweise eine Ausschließlichkeit dabei, dass man sich dann entscheiden muss. Sehen Sie diese Problematik?
    Besser konkret helfen als mit Zukunftsvisionen zu polarisieren
    Brantner: Es gibt Länder Europas, die das schaffen. In Dänemark zum Beispiel gibt es so eine Kultur, und Dänemark ist jetzt nicht das wirtschaftlich unerfolgreichste Land. Ich glaube, dass man da noch sehr viel tun kann. Es gibt immer natürlich Treffen, außergewöhnliche, die kommen. Aber die Regel muss anders sein und ich glaube, da kann man in Deutschland noch viel tun.
    In anderen Ländern funktioniert das schon und das ist eine Frage, ob man sich darauf einlässt, auch gesetzlich dafür Rahmenbedingungen schafft. Ich glaube, da hat Deutschland echt noch einen langen Weg vor sich.
    Klein: Aber der Koalitionsvertrag, jetzt geschlossen von Union und SPD, ist dort schon sehr konkret und geht zumindest zeitweise weiter als das, was Frau Schwesig jetzt noch mal vorgeschlagen hat, denn ein neues Elterngeld-Modell ist darin vorgesehen, das es Vätern und Müttern erlauben soll, 28 Monate lang 25 bis 30 Wochenstunden in Teilzeit zu arbeiten und Elterngeld zu beziehen. Das ist jetzt schon mehr, als sich die Familienministerin in ihren Visionen erträumt hat?
    Brantner: Nicht in ihren Visionen, aber jedenfalls mehr als die letzten Punkte, die sie erwähnt hat. Von daher hoffe ich wirklich, dass sie jetzt trotz dieses Fehlstarts wenigstens das, was im Koalitionsvertrag drinsteht, auch wirklich umsetzen wird. Es geht ja auch um das Rückkehrrecht auf Vollzeit zum Beispiel.
    Ich hoffe wirklich, dass dieser schlechte Start nicht dazu führt, dass nichts in diesem Bereich kommt, sondern sie jetzt ganz konkrete Vorschläge macht, wie man wirklich einfach Schritt für Schritt helfen kann, anstatt, sage ich mal, Zukunftsvisionen vielleicht erst mal in den Raum zu stellen, die polarisieren, sondern konkret zu helfen. Es ist ein Riesenbedürfnis in Deutschland und ich hoffe, dass wir da in den vier Jahren mit dieser Großen Koalition wenigstens einen Schritt weiterkommen.
    Klein: Also ich verstehe Sie da schon auch richtig, dass Sie das durchaus positiv sehen, was da gerade beschlossen wurde. Das ist ja auch nicht in allen Punkten der Fall, was die Opposition angeht. – Ein letzter Punkt noch, Frau Brantner: Eine Studie, die gestern veröffentlicht wurde, hat ergeben, wie sehr sich auch Väter unter Druck fühlen heutzutage, für ihre Kinder da zu sein, gleichzeitig im Beruf erfolgreich zu sein, teilweise auch noch den Haupternährer zu spielen. Haben Sie darauf eine Antwort?
    Brantner: Das ist die Gleiche natürlich wie für die Mütter auch. Es geht da ja um eine gesamte Aufgabe für die Eltern. Und ich denke auch, wir müssen wirklich von den Eltern sprechen. Es geht nicht nur um Mütter, sondern eben auch um Väter. Es gibt auch viele Väter, die das wirklich wollen, und es muss generell hier eine andere Kultur, eine andere Akzeptanz und auch die Möglichkeit geben, das für Eltern, also Väter und Mütter, dann wirklich umzusetzen, dass man nicht nur den Anspruch hat, sondern auch die Möglichkeiten dazu.
    Da ist noch viel zu tun. Ich denke, es ist nicht mehr nur eine Mütterdebatte, sondern längst eine Elterndebatte in all ihrer Pluralität. Wir verstehen ja da Familie noch wesentlich breiter als die Große Koalition.
    Klein: Franziska Brantner, die neue familienpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, die heute trotz ihrer Aufgaben als Mutter dem Deutschlandfunk ein Interview gegeben hat. Heute Morgen vielen Dank dafür.
    Brantner: Ich danke Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.