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"Grüne Woche" in Berlin
NS-Vergangenheit bleibt unaufgearbeitet

Die weltweit größte Messe der Agrar- und Ernährungswirtschaft, die "Grüne Woche" in Berlin, findet in diesem Jahr nur in digitalen Foren statt. Bis heute nicht aufgeklärt, ist die dunkle Vergangenheit der Messe: Von 1933 an wurde sie zu einer Propagandaschau für die Nazi-Ideologie von "Blut und Boden".

Von Sebastian Engelbrecht | 20.01.2021
Fahnen der Grünen Woche vor den messehallen am Berliner Funkturm
War die Berliner Messe in nationalsozialistisches Unrecht verwickelt? (picture alliance/Joko)
Vor fünf Jahren, im April 2016, bat Heiko Herberg von den "Piraten" im Berliner Abgeordnetenhaus, den Senat um Aufklärung: War die Berliner Messe in nationalsozialistisches Unrecht verwickelt? Beschäftigte sie Zwangsarbeiter? Wie wurden Juden diskriminiert? Gibt es Entschädigungsansprüche, wurden nach 1945 Entschuldigungen ausgesprochen? Antworten bleibt die Messe auch fünf Jahre danach schuldig. Herberg, heute SPD-Mitglied, stellt fest:
"Bis auf dass halt zwischen 1933 und 1945 die Messe ein bisschen kaputtgebombt worden ist im Krieg und das wieder aufgebaut worden ist, ist da eigentlich in diesen Jahren nichts zu berichten von der Messe Berlin."
Bis heute, fünf Jahre nach dieser Anfrage, hat die Messe nichts vorgelegt. Der Senat hatte sie in seiner Antwort auf die Anfrage aufgefordert, bis 2022, also bis zum 200jährigen Messejubiläum, die Firmengeschichte "aufzuarbeiten".

Überlebensgroßes Bild Adolf Hitlers

Unabhängig davon hat sich der Berliner Historiker Sven Schultze mit der Berliner Messe in der NS-Zeit befasst, auch mit der Landwirtschaftsmesse "Grüne Woche".
"Auf der Grünen Woche hören wir dann auch öfter solche Stereotype wie: 'Die Juden essen uns doch alles weg. Der arme deutsche Bauer hat selbst nichts zu essen. Muss sich jetzt auch noch für große Kredite sein Saatgut beschaffen und so weiter. Und an der Wall Street, da sitzt der Jude mit der Zinsknechtschaft. Das liest man sehr häufig in Broschüren zur Grünen Woche eben."
Der Berliner Historiker Sven Schultze steht auf einem Bahnübergang
Der Berliner Historiker Sven Schultze (Deutschlandradio/Sebastian Engelbrecht)
Die Agrarmesse wurde zur Propagandaschau: "Blut und Boden sind die Lebensgrundlagen unseres Volkes", war 1934 in Halle 1 neben einem überlebensgroßen Bild Adolf Hitlers zu lesen. In derselben Halle stellte das Rasse- und Siedungsamt der SS aus, zusammen mit der "Hauptabteilung Blutsfragen des Bauerntums im Stabsamt des Reichsbauernführers". Hier ging es nicht um Tierrassen, sondern um "Entartung und Rassenverfall" des "deutschen Volkskörpers".
1935 heißt es im Amtlichen Ausstellungsführer, die "Gewinnung neuen Raumes durch Wanderung und Kolonisation" sei für Deutschland eine "Lebensfrage". So gewinne "der Osten für Deutschland seine besondere Bedeutung". Zu den sogenannten "Blutsfragen des Bauerntums" gehörte auch die Überzeugung, das deutsche Volk sei nur zu retten, wenn das "Eindringen fremden Blutes" verhindert werde.
"Man sparte da auch nicht reichlich mit Kitsch. Zum Beispiel (…) gibt es diesen großen Bauernhof, der einen Bauernhof aus der Ostmark, aus Österreich eben, darstellt, so einen Bergbauernhof. Das war ein Lieblingsprojekt von Hermann Göring, richtig pompös aufgebaut. Nicht nur der Bauernhof stand da, sondern teilweise auch eine Kulisse noch aufgebaut. Einen halbe Ausstellungshalle war nur mit solchem Kitsch ausgefüllt, um den Bauern eben zu zeigen: ‚Wir denken an Euch.‘"

Als "Lehrschau" missbrauchen lassen

Die "Grüne Woche" ließ sich als "Lehrschau" für alle "Volksgenossen" missbrauchen. Deutschland sollte unabhängig werden von Agrarimporten. Deshalb propagierte Reichsbauernführer und -ernährungsminister Walther Darré den "Kampf um die Nahrungsfreiheit" und sprach von einer "Erzeugungsschlacht". 1939 sprach Darré bei der "Grünen Woche" über den "deutschen Bauern als Blutsquell des deutschen Volkes". Tags darauf wurde Juden der Verkauf von Waren auf Märkten verboten – auf Anweisung Darrés.
So trug die Berliner Landwirtschaftsmesse auf ihre Weise dazu bei, den Eroberungskrieg, die Expansion des Reiches nach Osten und die Shoah vorzubereiten.
Auszug aus dem Katalog der Grünen Woche von 1934
Auszug aus dem Katalog der Grünen Woche von 1934 (Deutschlandradio/Sebastian Engelbrecht)
Allein der Blick auf die "Grüne Woche" zeigt, dass die "Berliner Ausstellungen", wie die Messe in den 1930er-Jahren hieß, voll in die NS-Propagandamaschinerie integriert war. Und doch bleibt die Anfrage von 2016 im Berliner Abgeordnetenhaus bis heute ohne Antwort.
"Dass dort einfach in einem so großen Betrieb nichts stattgefunden hat, ist halt einmal unwahrscheinlich. Aber ein größeres Problem, was ich halt einfach finde, ist, dass man sich damit halt einfach nicht beschäftigen will", sagt Heiko Herberg, der einstige "Pirat" im Berliner Landesparlament.