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Grünen-Chefin Annalena Baerbock
"Wir sind nach wie vor eine kleine Partei"

Das Ergebnis der Grünen bei der Hessenwahl zeigt nach Ansicht von Parteichefin Annalena Baerbock eine neue Unterstützung für grüne Themen, die lange belächelt wurden. Die Grünen profitierten allerdings auch von der Schwäche der anderen Parteien, sagte sie im Dlf. Das sei ein Auftrag, an sich zu arbeiten.

Annalena Baerbock im Gespräch mit Christiane Kaess | 29.10.2018
    Die Bundesvorsitzende der Grünen, Annalena Baerbock bei der Landtagswahl in Hessen 2018.
    Regierung bedeutet Umsetzung, sagt die Bundesvorsitzende der Grünen, Annalena Baerbock (imago / Jan Huebner)
    Christiane Kaess: Mitgehört hat Annalena Baerbock. Sie ist Bundesvorsitzende der Grünen. Schönen guten Morgen.
    Annalena Baerbock: Schönen guten Morgen.
    Kaess: Das beste Ergebnis für die Grünen in Hessen. Es reicht sogar zum Fortführen der schwarz-grünen Koalition. Und Sie liegen auch noch knapp vor der SPD. Diese Neuauflage des schwarz-grünen Bündnisses, ist die klare Sache?
    Baerbock: Nein, das ist noch nicht klare Sache. Man hat das ja gesehen jetzt bei dieser Wahl, wie knapp alles in diesen Zeiten ist, dass jede Stimme wirklich zählt, und die hessischen Grünen mit Priska Hinz und Tarek Al-Wazir haben vor der Wahl klar und deutlich gesagt, wir treten für unsere Themen an. Deswegen freuen wir uns auch nach wie vor so, weil so viele Menschen bei dieser Wahl deutlich gemacht haben, dass ihnen eine Lösungspolitik wichtiger ist als Populismus, dass die Lösung der Klimakrise eines der zentralen Themen ist, auch eine Verkehrswende, eine gute Agrarpolitik und vor allen Dingen ein sozialer Zusammenhalt, der nicht auf Spaltung setzt, sondern auf eine weltoffene Gesellschaft. Wir müssen jetzt schauen, wie wir das am besten umsetzen können, um weiter in den nächsten Jahren auch in Hessen mit Lösungen Politik machen zu können.
    Kaess: Schwarz-Grün hätte ja eine hauchdünne Mehrheit von einem Sitz in Hessen. Wäre das überhaupt klug, mit so einer knappen Mehrheit zu regieren? Oder wäre es doch vernünftiger, doch noch ein Dreierbündnis auszuloten?
    Baerbock: Die Zeiten haben sich verändert. Das sieht man jetzt eigentlich bei allen Wahlen, dass wir nicht mehr so ganz klare Zweierbündnisse haben, dass die Mehrheiten sehr, sehr knapp sind. Man muss sich jetzt in Hessen wirklich in Ruhe zusammensetzen und ich kann da als Parteivorsitzende aus Berlin jetzt auch nicht die klugen Ratschläge geben, sondern die Grünen haben in den letzten fünf Jahren mit der CDU gemeinsam in Hessen regiert. Es ist auch klar, dass bei einer Stimme Mehrheit es immer schwierig wird. Wir haben auch vorher gesagt, wenn andere Bündnisse möglich sind, dann wird man auch Gespräche führen, weil, wenn es um die Inhalte geht, dann muss man wirklich schauen, in welcher Konstellation kann man unsere grünen Inhalte, für die wir ja auch gewählt worden sind, am besten durchsetzen. Das werden jetzt unsere hessischen Freunde ganz in Ruhe tun in den nächsten Tagen.
    "Hessische Grüne mussten vieles ins Lot bringen"
    Kaess: Ein Bündnis, das naheliegen würde, wäre in Hessen noch Jamaika mit der FDP. Was könnten Sie der denn anbieten?
    Baerbock: Wir haben als Grüne sehr, sehr viel Zuspruch bei dieser Wahl bekommen aus der Regierung heraus, auch für die Themen, für die wie gesagt Tarek Al-Wazir und Priska Hinz standen. Priska Hinz hat den Ökolandbau in Hessen mehr als verdoppelt. Tarek Al-Wazir hat gezeigt, dass man Bus und Bahn wirklich nicht nur ausbauen kann, sondern ausbauen muss, dass wir so wegkommen vom fossilen Verbrennungsmotor. Vor allen Dingen der Klimaschutz, der kann nur angegangen werden, wenn wir mehr in erneuerbare Energien investieren. Gerade die FDP hat bei diesen Themen absoluten Wahlkampf gegen uns gemacht. Die Lösung der Klimakrise ist aber die Aufgabe unserer Zeit und das wird deswegen einer der zentralen Knackpunkte natürlich für uns auch für zukünftige Gespräche sein.
    Kaess: Jetzt haben Sie schon ein paar Punkte aufgezählt, die aus Ihrer Sicht Erfolge der Grünen in Hessen waren. Auf der anderen Seite fragen sich trotzdem viele, warum die Grünen in Hessen so gut abgeschnitten haben, obwohl sie bei wichtigen Themen auch nichts bewirkt haben, zum Beispiel gegen den Ausbau des Frankfurter Flughafens oder gegen die Wohnungsnot. Profitieren Sie tatsächlich im Moment wirklich nur von der Schwäche der anderen?
    Baerbock: Nein, das würde ich nicht sagen. Die späteren Wahlbefragungen haben ja auch deutlich gemacht, warum man Grüne gewählt hat. Was sehr, sehr deutlich geworden ist, dass viele Menschen gesagt haben, wir teilen zwar nicht jedes grüne Komma und jeden grünen Punkt, aber wir finden es wichtig, dass die Grünen bei zentralen Werten wirklich stehen, auch wenn einem der Wind mal ins Gesicht bläst. Jetzt sagen alle, Klimaschutz ist wichtig, aber wir haben das seit Jahrzehnten als Kern unserer Politik, wurden in vielen Jahren auch immer hart angegangen. Ich erinnere mich selbst persönlich noch an die Frage von Kohleausstieg. Wir haben gesagt, nein, das ist für uns zentral, wir stehen da, auch wenn uns der Wind richtig ins Gesicht bläst. Auch bei der Frage, einen proeuropäischen Kurs einzunehmen, wenn es in Europa mal nicht so gut läuft, haben viele Menschen gesagt, dafür wählen wir euch. Mit dieser Haltung, wirklich für unsere Grundwerte einzustehen, auch für eine offene Gesellschaft, die nicht auf Spaltung setzt, da haben wir viel Zuspruch bekommen. Klar ist es auch so, dass bei manchen Themen die Leute nicht so unsere Position teilen, und wie gesagt, deswegen werden wir jetzt an unseren Werten und an unserer Grundhaltung verhandeln.
    Was Sie angesprochen haben: Ja, wir haben in den letzten fünf Jahren auch nicht alles erreicht. Man muss auch sehen, woher Hessen gekommen ist. Bei vielen Themen zum Beispiel, Unterstützung von Frauenhäusern, das war vorher unter ganz jahrzehntelangen Regierungen der CDU kein Thema. Deswegen mussten die hessischen Grünen vieles auch erst mal so ins richtige Lot bringen, dass man darauf aufbauen kann. Gerade die soziale Frage – das haben wir auch im Wahlkampf deutlich gemacht -, die ist für uns jetzt zentral in einer nächsten Legislatur. Deswegen wird das auch ein Kern für unsere Verhandlungen sein.
    "Wir haben deutlich weniger Mitglieder als die anderen"
    Kaess: Aber, Frau Baerbock, viele Analysten sagen trotzdem, das ist ein momentaner Hype, und alles, was von der Großen Koalition in Berlin negativ ausstrahlt, das geht an den Grünen vorbei. Deswegen noch mal meine Frage: Wie wollen Sie denn diesen Trend aufrecht erhalten?
    Baerbock:Klar, das ist auch ein Grund, und das sagen wir auch ganz offen, weil das eine riesen Herausforderung ist, dass wir natürlich auch von der Schwäche der anderen profitieren, dass die Menschen keine Lust haben, dass ständig nur Parteien um sich selbst kreisen, sich immer nur streiten, sondern dass Politik Antworten geben muss. Deswegen ist das totaler Auftrag auch an uns selbst, wirklich Antworten für den sozialen Wohnungsnotstand, für die Frage auch Pflege im ländlichen Raum, Hebammenversorgung zu finden. Da haben wir noch ein dickes, dickes Brett zu bohren und vor allen Dingen sind wir nach wie vor eine kleine Partei. Wir freuen uns zwar über einen großen Mitgliederzuwachs, aber wir haben deutlich weniger Mitglieder als die anderen großen Parteien. Deswegen ist es für uns auch ein Auftrag, wirklich an uns selbst zu arbeiten und dafür viele Menschen mitzunehmen, und deswegen fokussieren wir uns nicht nur auf uns als Partei, sondern wollen als Bündnis arbeiten mit den vielen gesellschaftlichen Akteuren, die in den letzten Jahren und Monaten auch auf die Straße gegangen sind für ein Deutschland, das zusammensteht und nicht auf Spaltung oder Ausgrenzung setzt.
    Kaess: Aber dass die Grünen für so viele wählbar geworden sind, die vor Jahren wahrscheinlich noch nicht grün gewählt haben, dafür mussten Sie ja auch schmerzliche Zugeständnisse machen. Den Flughafenausbau in Frankfurt habe ich angesprochen. Laufen Sie denn nicht Gefahr, den grünen Kern zu verlieren?
    Baerbock: Nein, das sehe ich, ehrlich gesagt, anders. Klar bedeutet Regieren immer auch Kompromisse machen, und gerade der Flughafenausbau, das ist wirklich sehr, sehr schmerzhaft auch für die Grünen gewesen, weil Tarek Al-Wazir ja versucht hat, den weiteren Ausbau zu stoppen, es dann aber Gerichtsurteile gab, die die vorhergegangenen Ausbaupläne der Regierung davor bestätigt haben. Natürlich ist es schmerzhaft für uns und deswegen ist man auch so stark in die Frage Nachtflugverbot und Lärmreduzierung dann reingegangen. Aber wir sind als Grüne schon vor 40 Jahren als ein Bündnis gestartet von unterschiedlichen Akteuren, und ich sehe das wirklich als unsere Stärke, dass wir auf der einen Seite sehr radikal die Probleme analysieren, dass wir Visionen haben, wo wir hin wollen, und dann aber sagen, das muss auch umgesetzt werden. Regierung bedeutet Umsetzung, auch Kompromisse zu machen und da die Breite der Gesellschaft zu erreichen. Das ist unsere Aufgabe jetzt als Partei, wo wir deutlich stärker sind als vielleicht noch in den vergangenen Jahren, weil wir können nur verändern, wenn wir das gemeinsam machen, und wir brauchen starke Veränderungen gerade in der Klimaschutzpolitik, aber auch beim sozialen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft.
    In Brandenburg einstellig
    Kaess: Ihr Mitvorsitzender von den Grünen, Robert Habeck, spricht bei der CDU und SPD schon von ehemaligen Volksparteien. Ist das nicht etwas abgehoben?
    Baerbock: Ja. Man sollte immer demütig sein. Ich selbst komme ja aus Brandenburg und wir freuen uns gerade tierisch als Bündnis 90/Die Grünen insgesamt, dass wir in Hessen und auch in Bayern und beim Bundestrend sehr gut dastehen, weil das natürlich eine Unterstützung für unsere Themen ist. Wie gesagt, die wurden lange Zeit belächelt. Gerade bei der Flüchtlingspolitik hat man uns vorgeworfen, irgendwie zu naiv zu sein, aber wir haben deutlich gemacht, mit Humanität und einer geordneten Politik kann man auf Grundlage der Menschenrechte auch in schwierigen Situationen Politik gestalten.
    Aber in Brandenburg zum Beispiel, wo ich herkomme, was Sie angesprochen haben, da sind wir unter zweistellig.
    Kaess: Das Fass können wir nicht mehr aufmachen. An dieser Stelle, Frau Baerbock, muss ich leider reingehen, denn unsere Zeit ist vorbei. Vielen Dank für Ihre Zeit.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.