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Grünen-Plan gegen Schuldiskriminierung
"Wir machen zu viel Feuerwehrpolitik"

Diskriminierung wegen der Herkunft, des Geschlechts, der Religion ist an deutschen Schulen Alltag. Die Berliner Grünen fordern deshalb mehr Anstrengungen, um Schüler zu schützen. Dabei gibt es in der Hauptstadt bereits eine Antidiskriminierungsbeauftragte eigens für Schüler, Lehrer und Eltern.

Von Claudia van Laak | 06.02.2019
    Mädchen lehnt sitzend am Treppengeländer in einer Schule.
    In Berlin wurden im letzten Schuljahr 147 Diskriminierungen dokumentiert, der größte Teil davon rassistischer oder antisemitischer Art. (Petra Sorge)
    "Zu jedem Zeitpunkt steht die Würde des einzelnen Schülers und Lehrers an erster Stelle" – so steht es auf der Webseite der deutsch-amerikanischen John-F-Kennedy-Schule. Dass dies nicht immer der Wahrheit entspricht, musste ein jüdischer Schüler im letzten Jahr am eigenen Leib erfahren. Monatelang wurde der damals 15-Jährige von Mitschülern drangsaliert und antisemitisch gemobbt, bis er zusammenbrach. Im Juni letzten Jahres berichtete seine Ärztin, die Kinder- und Jugendpsychiaterin,

    "dass er in der Umkleidesituation von mehreren in die Ecke gedrängt wurde, in so einem Bedrohungsszenario auch, und dann eine E-Zigarette angezündet wurde und ihm der Rauch entgegengeblasen wurde und gesagt wurde, jetzt denk mal an deine Verwandten, die vergast wurden."
    Diskriminierung kann Schulkarrieren verhindern
    Das Opfer hielt es an der Schule nicht mehr aus, drei als Täter identifizierte Mitschüler wurden später von der Kennedy-Schule suspendiert. Zuvor hatten die Eltern des jüdischen Jugendlichen die Antidiskriminierungsbeauftragte der Senatsbildungsverwaltung Saraya Gomis eingeschaltet. Sie wünscht sich mehr Aufmerksamkeit für dieses Thema.
    "Weil es so unglaublich wichtig ist, weil Diskriminierung an Schulen Schulkarrieren verhindern kann, zu Schulphobie, Schuldistanz bis hin zu psychischen Erkrankungen, Wut, Aggression, Suizid führen kann und zu keinen Schulabschlüssen - und das sollten wir dringlich verhindern."
    Saraya Gomis steht als Ansprechpartnerin für alle zur Verfügung, die in der Schule Diskriminierung erfahren – Schüler wie Lehrer. Und sie weiß, dass sie für viele eine Nervensäge ist. Immer wieder hört sie diesen Satz:

    "Ich kann doch nicht diskriminiert haben, denn ich bin doch ein guter Mensch. Aber man kann ein guter Mensch sein und trotzdem diskriminieren. Das ist ein schwieriges Thema, das ist sehr emotional behaftet, Menschen haben meistens eine Definition von Diskriminierung, die an die Intention gekoppelt ist und schauen nicht so sehr, Diskriminierung findet statt, wenn wir die und die Effekte haben."
    Als erstes: das Opfer schützen
    Mobbing und Diskriminierung sind nicht dasselbe, haben aber Schnittmengen. Gut möglich, dass dasselbe Kind an der einen Schule gemobbt wird, an der anderen aber nicht. Diskriminierung dagegen findet aufgrund bestimmter Kategorien statt – Hautfarbe, Religion, sexuelle Orientierung. In der Regel agiert da eine Mehrheit gegen eine Minderheit.
    Wird Saraya Gomis eingeschaltet, versucht sie als erstes, das Opfer zu schützen. Als nächstes müsse aufgeklärt werden. Wo ein Fall sei, gäbe es oft mehrere. Sie hört alle Seiten, versucht, Ruhe in die Angelegenheit zu bringen. Die Skandalisierung in den Medien sei oft nicht hilfreich, führe zu einer Wagenburgmentalität, sagt Gomis, die als Lehrerin Schule von innen kennt.
    "Weil der Druck von außen oft verhindert, dass man sich tiefergehend mit der Diskriminierung beschäftigt. Weil viele Kollegien dann das Gefühl haben, wir machen eigentlich gute Arbeit, aber jetzt werden wir als völlig negativ dargestellt. Dann entstehen Abwehrmechanismen, dass man dann nur noch damit beschäftigt ist, dass man doch gute Arbeit macht und dass es sich hier um einen Einzelfall handelt."
    Saraya Gomis hat für das letzte Schuljahr 147 Diskriminierungen in Berlin dokumentiert, der größte Teil davon rassistischer oder antisemitischer Art. Für die mitregierenden Grünen ein Grund, vom Senat ein umfassendes Antidiskriminierungskonzept für die Schulen zu fordern.
    Wir brauchen einen Schulentwicklungsprozess
    "Wir machen zu viel Feuerwehrpolitik. Das heißt, wir agieren punktuell und immer erst, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist."
    Sagt die grüne Bildungspolitikern Bettina Jarasch.
    "Wenn das erstmal öffentlich wird, dann gibt es ein großes Erschrecken, dann werden plötzlich ganz viele externe Projekte an die Schulen geholt, man macht Projektwochen und so weiter, aber das ist immer punktuell. Was man stattdessen braucht, ist ein Schulentwicklungsprozess."
    Die Grünen fordern eine Meldepflicht für derartige Vorfälle, außerdem müsse es neben der offiziellen Beauftragten in der Senatsbildungsverwaltung auch eine unabhängige Stelle geben, an die sich diskriminierte Schüler und Lehrer wenden könnten. Die Opposition im Abgeordnetenhaus sieht die Vorschläge kritisch – eine weitere Parallelstruktur aufzubauen sei wenig sinnvoll, wichtig sei es, diese Themen in den Schulleitungen und bei der Lehrerfortbildung stärker zu verankern.
    Antidiskriminierung sei nichts Zusätzliches, widerspricht dagegen Saraya Gomis, strahle auf andere Bereiche aus.
    "Also das heißt zum Beispiel Gewaltprävention. Das hat ganz viel mit psychischer Gesundheit zu tun, mit Demokratiebildung und so weiter."
    Der rot-rot-grüne Senat arbeitet gerade an einem Anti-Diskriminierungsgesetz für das Land Berlin – es soll in diesem Jahr vom Abgeordnetenhaus verabschiedet werden.