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Grünen-Politiker: Ablehnung von Snowdens Aufnahmegesuch ist feige

Deutschland hätte es gut zu Gesicht gestanden, den Whistleblower Edward Snowden aufzunehmen, sagt Jerzy Montag (Bündnis 90/Die Grünen), Mitglied des Bundestages und des Rechtsausschusses. Er habe Rechtsbrüche enthüllt, das sei verdienstvoll und sollte geehrt werden.

Jerzy Montag im Gespräch mit Jürgen Liminski | 03.07.2013
    Dirk Müller: Nein also zu Edward Snowden - darüber hat mein Kollege Jürgen Liminski mit dem grünen Rechtspolitiker Jerzy Montag gesprochen. Die Ämter, die Ministerien haben gesprochen: kein Snowden auf deutschem Boden. Sind Sie damit einverstanden?

    Jerzy Montag: Ich bin mit der Entscheidung nicht einverstanden. Es ist ein bisschen Feigheit, die sich aus diesen Äußerungen klärt. Ich finde, dass es uns ganz gut zu Gesicht gestanden hätte, wenn wir Herrn Snowden Gelegenheit gegeben hätten, in Deutschland um politisches Asyl zu ersuchen.

    Jürgen Liminski: Würden Sie denn eine sozusagen politische Entscheidung treffen und ihn aufnehmen?

    Montag: Wenn ich zu bestimmen hätte, würde ich mit ihm sprechen. Ich würde ihn fragen, ob er Interesse hat, nach Deutschland zu kommen. Und wenn er ein echtes und ehrliches Interesse daran hätte, dann würde ich ihn aufnehmen.

    Liminski: Sehen Sie ihn denn als politisch Verfolgten?

    Montag: Zuerst einmal sehe ich ihn als einen echten Whistleblower. Ich sehe ihn als einen Menschen, der unglaubliche Rechtsbrüche, der unglaubliche Straftaten, der unglaubliche Völkerrechtsvergehen, die sich alle im Dunkeln abgespielt haben, ans Tageslicht gebracht hat. Das ist ungeheuer verdienstvoll. Solche Menschen brauchen wir, solche Menschen sollten wir ehren. Wir können doch nicht wollen, dass das, was er aufgedeckt hat, auch in Zukunft im Dunkeln bleibt. Insofern bewerte ich seine Aktivitäten durchaus positiv. Ob das jetzt politische Verfolgung ist im engeren Sinne, dass die Amerikaner ihn haben wollen und ihn vor Gericht stellen wollen, ist dem gegenüber schon eine zweite Frage. Erstens: Er hat sich Verdienste erworben. Er hat richtig gehandelt. Und ich finde, dass ihm da eine ausgestreckte Hand gehört und nicht eine Handverweigerung.

    Liminski: Das sehen die Amerikaner naturgemäß anders. Auch die Bundesregierung sagt, hier müssen wir erst mal aufklären, was wirklich Sache ist. Sollte man das nicht abwarten?

    Montag: Nun ja, ich verstehe, dass die Bundesregierung auf eine förmliche Antwort der Amerikaner drängt. Aber kein Mensch zweifelt im Ernst im Kern an dem Gehalt der Aussagen. Sowohl die Engländer als auch die Amerikaner - das scheint mir jedenfalls gesichert zu sein - haben in einem ungeheuerlichen Umfang Bürgerrechte von Europäern, insbesondere auch von deutschen Staatsangehörigen verletzt und mit den Füßen getreten, Wirtschaftsspionage betrieben, unsere diplomatischen Aktivitäten ausgeforscht. Das ist unter Freunden eine absolute Unmöglichkeit und ein evidenter Bruch internationalen Rechts. Da brauche ich auf keine förmliche Antwort der Amerikaner zu warten.

    Liminski: Geht es bei diesem Fall Snowden nicht um eine einfache Abwägung von Interessen, etwa Snowden gegen Informationen bei der Terrorbekämpfung?

    Montag: Das wird eine gewichtige Rolle spielen. Aber diese Abwägung, die wir ja in vielen Punkten treffen müssen, kann nicht immer und ausschließlich zugunsten von Informationsgewinnung auf dem Terrorbereich ausfallen. Wir haben uns vor Jahren und bis in die Gegenwart mit der Frage beschäftigt, was machen wir eigentlich mit Informationen aus dem Terrorismusbereich, die durch Folter zustande gekommen sind, und auch da sagen wir, es gibt Grenzen. Und hier sage ich auch, bei einer solchen Abwägung müssen wir Grenzen ziehen. Wenn die Amerikaner, was ich nicht weiß, uns tatsächlich drohen, dass sie uns von Terrorinformationen abschneiden, wenn wir Herrn Snowden helfen, dann muss selbst das wiederum öffentlich gemacht werden. Das hielte ich, wenn es so wäre, für eine absolute Unmöglichkeit und eine Fortsetzung der falschen Politik der Amerikaner in dieser Sache.

    Liminski: Sie halten das für möglich, dass solche, ich sage mal, Erpressungsmanöver gefahren werden, diplomatisch hinter verschlossenen Türen?

    Montag: Ich halte in der Politik und in den Beziehungen zu den USA vieles für möglich. Aber es ist nicht gesichertes Wissen. Ausschließen würde ich so etwas nicht.

    Liminski: Kann man denn die große Debatte über die globale Abhörmanie oder den großen Bruder, was ja auch die SPD verlangt, nicht auch ohne den Fall Snowden anstoßen beziehungsweise anheizen? Wir sind ja schon mittendrin in dieser Debatte.

    Montag: Aber selbstverständlich kann man das und man muss es auch. Man muss und soll diese Debatte nicht auf die Person von Herrn Snowden fokussieren und ausschließlich an dieser Person diskutieren. Nur wird ein Schuh erst dann daraus, wenn wir das eine tun, ohne das andere zu lassen. Wir haben die Dimension eines individuellen menschlichen Schicksals. Da sitzt ein junger Mann von 29 Jahren mutterseelenallein in Moskau auf einem Flughafen und hat keine Ahnung, wo er hin soll. Er hat keinen Menschen umgebracht, er hat keine Bank ausgeraubt, er hat die Wahrheit erzählt über ungeheuerliche Völkerrechtsverstöße der Amerikaner, das ist das eine. Das andere ist unser Verhältnis zum Abhören in der digitalen Welt. Darüber muss man reden. Darüber muss man diskutieren. Aber man soll das tun, ohne das andere zu lassen.

    Müller: Der grüne Rechtspolitiker Jerzy Montag im Gespräch mit meinem Kollegen Jürgen Liminski.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.