Freitag, 29. März 2024

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Grünen-Politiker von Notz
"Nachrichtendienst mit rechtsstaatlichen Standards wird besser und nicht schlechter"

Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe wird über die Überwachungsbefugnisse des Bundesnachrichtendienstes im Ausland verhandeln. Der BND leiste wichtige Arbeit, sagte Konstantin von Notz im Dlf. Doch müsse dies nach rechtsstaatlichen Kriterien erfolgen "und da gibt es derzeit ganz massive Zweifel".

Konstantin von Notz im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker | 14.01.2020
07.06.2019, Berlin: Konstantin von Notz (Bündnis90/Die Grünen) spricht im Plenum im Bundestag. Auf der Tagesordnung stehen unter anderem Abstimmungen zum Asyl- und Aufenthaltsrecht, zum Fachkräfteeinwanderungsgesetz und zum Ausländerbeschäftigungsförderungsgesetz. Foto: Christoph Soeder/dpa | Verwendung weltweit
"Die Arbeit des Bundesnachrichtendienstes ist extrem wichtig und wir müssen darüber reden, wie wir das verrechtsstaatlichen", erklärte Grünen-Politiker von Notz im Dlf (picture alliance / dpa / Christoph Soeder)
Ann-Kathrin Büüsker: Der deutsche Auslandsgeheimdienst sammelt seit Jahren massenhaft Kommunikationsdaten im Ausland – ohne Anlass. Seit 2016 darf der Bundesnachrichtendienst das auch ganz offiziell. Da wurde ein entsprechendes Gesetz erlassen. Doch ab heute beschäftigt diese Praxis das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, genauer gesagt die sogenannte Ausland-Ausland-Aufklärung. Journalist*innen und Bürgerrechtler sehen die Pressefreiheit und digitale Grundrechte gefährdet und wollen die anlasslose Sammlung der Daten stoppen.
Das Austarieren des Verhältnisses zwischen Grundrechten und Geheimdienstkompetenzen möchte ich nun im Gespräch mit Konstantin von Notz vertiefen. Er sitzt für die Grünen im Bundestag, ist stellvertretender Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums, des Gremiums des Bundestages zur Kontrolle der Geheimdienste, und von Notz saß außerdem im NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestages. Er hat das BND-Gesetz unmittelbar nach dessen Verabschiedung kritisiert. Einen schönen guten Morgen!
Büüsker: Herr von Notz, die Klagenden wollen ja die anlasslose Speicherung durch den BND stoppen. Schränkt man damit die Möglichkeiten des Nachrichtendienstes nicht massiv ein?
von Notz: Nein. Ich glaube, es geht nicht um Einschränkung, sondern es geht darum, das ganze Verfahren rechtsstaatlich auf die Füße zu stellen. Letztlich sind diese zwei Verhandlungstage jetzt in Karlsruhe ein Restant der Snowden-Veröffentlichungen. Edward Snowden hat ja überhaupt diese Praxis erst öffentlich gemacht, sodass wir uns mit ihr rechtsstaatlich auseinandersetzen konnten. Und jetzt ist die Frage, wie man in diese Ausland-Ausland-Überwachung rechtsstaatlichen Grund reinbekommen, wie man das vernünftig organisiert.
"Man braucht rechtsstaatliche Verfahren, sonst laufen die Grundrechte einfach leer"
Büüsker: Aber was heißt denn rechtsstaatlicher Grund?
von Notz: Das heißt, dass Sie sich bei dieser ganzen Grundfrage - ich bin ja nun deutscher Staatsbürger, ich bin ja nicht betroffen - klarmachen müssen, dass alle Nachrichtendienste der Welt nach diesem Verfahren vorgehen. Das heißt, da jeder fast überall Ausländer ist auf diesem Globus, werden praktisch alle Kommunikationen mit Selektoren durchrastert, und das ist für Rechtsstaaten ein Problem.
Für Unrechtsstaaten, Diktaturen, Terrorregime ist das kein Problem, aber für Rechtsstaaten ist das ein Problem. Man braucht rechtsstaatliche Verfahren und das gilt auch für den BND, denn sonst laufen die Grundrechte einfach leer. Am Ende gibt es dann einen Ringtausch. Dann tauschen Nachrichtendienste untereinander die gewonnenen Daten aus und dann ist keine Kommunikation mehr geschützt. Das kann am Ende nicht sein.
Das Logo des Bundesnachrichtendienstes durch eine Glastür betrachtet.
Bundesverfassungsgericht prüft Abhörpraxis im Ausland
Das BVerfG in Karlsruhe verhandelt ab Dienstag über eine Klage von Journalisten. Sie klagen gegen den BND wegen seiner Abhörpraxis im Ausland. Aus ihrer Sicht betreibe der BND eine grundrechtswidrige Massenüberwachung.
Büüsker: Die Alternative zur anlasslosen Massenüberwachung ist ja, dass man einen Anlass festlegt, für den man Überwachung zulässt. Aber wer sollte diesen Anlass festlegen?
von Notz: Es geht vor allen Dingen darum, dass man das dann kontrolliert. Der Anlass in der jetzt inzwischen implementierten Praxis ist ja dieser Suchbegriff, der Selektor, der gesteuert wird, um Inhaltsdaten zu erfassen. Aber da muss man auch eine hinreichende Kontrolle hinbekommen und man muss – das haben Sie in der Anmoderation schon angedeutet – auch mit dem Problem umgehen, dass die Filter, die man einbaut, um "deutsche Kommunikation" nicht zu erfassen, sehr unvollkommen sind.
Es ist schwierig, die Kommunikation von deutschen Grundrechtsträgerinnen und Trägern auf der Glasfaser zu erkennen. Und wenn Sie Milliarden von Daten durchforsten und Sie haben eine Fehlerquote von ein Prozent, dann bleiben Millionen von Grundrechtsverletzungen, und auch das ist bisher vollkommen unzureichend geregelt.
"Die Welt ist schwierig und der Bundesnachrichtendienst macht eine wichtige Arbeit"
Büüsker: Aber der Bundesnachrichtendienst sagt ja, wir versuchen unser Möglichstes, um diese Kommunikation deutscher Staatsbürgerinnen und Staatsbürger rauszufiltern, und wenn wir sie dann aus Versehen doch im Kescher haben, dann legen wir sie zur Seite. Das glauben Sie nicht?
von Notz: Bei der Praxis gibt es zumindest relevante Fragen. Wie findet man denn raus, dass man diese Daten im Kescher hat, und was macht man, wenn man die Daten, die man erhebt, mit anderen Nachrichtendiensten automatisiert weitergibt, und wie holt man dann die fehlerhaft erhobenen Daten zurück. All das sind relevante Fragen, die bisher nur sehr unzureichend beantwortet werden, und ich will noch mal deutlich sagen: Es ist natürlich wichtig, dass der Bundesnachrichtendienst effektive und gute Instrumente zur nachrichtendienstlichen Gewinnung hat, und es ist natürlich richtig, die Welt ist schwierig und der Bundesnachrichtendienst macht eine wichtige Arbeit. Aber für uns als Rechtsstaat muss die Maxime gelten, dass das nach rechtsstaatlichen Kriterien erfolgt, und da gibt es ganz massive Zweifel derzeit.
Edward Snowden im Dlf-Interview
2013 ging Edward Snowden mit geheimen Dokumenten an die Öffentlichkeit, die eine massenhafte Überwachung durch US-amerikanische Geheimdienste enthüllte. Im Dlf kritisierte er, dass es für Quellen investigativer Recherche immer schwieriger werde.
Büüsker: Sie haben zu Beginn unseres Gespräches gesagt, dass es vor allem darum geht zu kontrollieren, was der Bundesnachrichtendienst da tut. Nun wurde ja im BND-Gesetz auch ein Gremium geschaffen, das diese Kontrolle zusätzlich ausüben kann: das sogenannte Unabhängige Gremium. Das reicht Ihnen nicht?
von Notz: Das reicht nach unserer Auffassung bisher nicht. Die Zersplitterung der Kontrolle mit dem Parlamentarischen Kontrollgremium, dem G10-Gremium, dem Bundesdatenschutzbeauftragten und jetzt dem Unabhängigen Gremium ist eines der Probleme. Und auch die Tätigkeit des Unabhängigen Gremiums muss man sich genau anschauen. Funktioniert das, was da im Gesetz aufgeschrieben worden ist? Das ist ein bisschen wie unsere Tätigkeit als Parlamentarisches Kontrollgremium schwierig, weil wir ja nicht öffentlich über die Dinge, die wir tun, reden dürfen. Aber genau das wird sich das Gericht die nächsten zwei Tage auch angucken. Funktioniert dieses neue Unabhängige Gremium? Sind die Kontrolleurinnen und Kontrolleure da zufrieden mit dem, wie es läuft? Oder gibt es nicht auch da Probleme? Diese Dinge sollten hinterfragt werden.
"Niemand hat einen Freibrief für irgendwas"
Büüsker: Sie haben darauf verwiesen: Sie dürfen über das, was Sie im Parlamentarischen Kontrollgremium erfahren, ja nicht reden, weil wir über Geheimdienste reden. Das heißt, die Arbeit, die da passiert, ist geheim. Aber aus dem, was Sie in den vergangenen Jahren wahrgenommen haben, gibt es tatsächlich so viel Grund, an der Arbeit des BND zu zweifeln?
von Notz: Als Kontrolleur, der ich mit bin in diesem Gremium, sollte man immer zweifeln und kontrollieren. Das ist der Anspruch, den wir in einem Rechtsstaat haben. Niemand hat einen Freibrief für irgendwas. Trotzdem ist natürlich die Arbeit des Bundesnachrichtendienstes extrem wichtig und wir müssen darüber reden, wie wir das verrechtsstaatlichen. Man hat nach den Snowden-Veröffentlichungen erste Schritte in die richtige Richtung gemacht – übrigens nicht nur in Deutschland. Die nachrichtendienstliche Community hat ja damals gesagt, Snowden ist ein Verräter und das Allerletzte, und was der Typ macht, geht gar nicht.
Am Ende des Tages haben praktisch alle Rechtsstaaten gesetzliche Reformen eingeführt und Dinge verändert, weil allen klar geworden ist, dass so, wie es damals lief, es überhaupt nicht ging. Jetzt muss man das weiter verbessern und um das genau zu eruieren, hat das Bundesverfassungsgericht, der erste Senat, hier verdienstvollerweise zwei Verhandlungstage angesetzt. Dann muss man sich diese Praxis genau anschauen. Das ist kein Misstrauen gegenüber staatlichen Institutionen, sondern es ist der ganz normale Weg in einem Rechtsstaat, ein Verfahren zu verbessern und rechtsstaatlich auf die Füße zu stellen.
 Die Glasfassade des Bundesnachrichtendienstes, der neuen Zentrale in der Chausseestraße in Berlin mit einer künstlichen Palme.
Einweihung neue BND-Zentrale in Berlin
Mit dem Umzug des BND nach Berlin werden seine drei Arbeitsbereiche zusammengeführt. Der Standortwechsel war jedoch umstritten. Nicht nur wegen der enorm hohen Kosten.
Büüsker: Aber was, wenn das Bundesverfassungsgericht jetzt am Ende dieser zwei Verhandlungstage feststellt, Leute, das funktioniert alles so nicht, das, was der Bundesnachrichtendienst da tut, das verstößt tatsächlich grundsätzlich gegen die Grundrechte, und es dann notwendig wird, die Kompetenzen des Bundesnachrichtendienstes erheblich einzuschränken? Das würde schon eine Schwächung der Arbeit des Nachrichtendienstes bedeuten.
von Notz: Das sehe ich nicht zwingend so, diese Kausalität. Ich glaube, dass man sich einfach klarmachen muss: Das ganze Verfahren leitet sich ja aus der Fernmeldeaufklärung - so hieß das früher - ab. Das heißt, man ist auf das Kupferkabel gegangen und hat Telefongespräche abgelauscht. Jetzt geht man auf die Glasfaser und erhält eine unfassbare Anzahl an zusätzlichen Informationen. Sie hören nicht nur Gespräche ab, sondern E-Mails, was Leute online machen, mit wem sie kommunizieren, an welchem Standort sie sind, und so weiter und so fort. Das ist in der grundrechtlichen Eingriffstiefe ein vollkommen anderer Eingriff, und dass man den anpasst und verbessert, das hat das Bundesverfassungsgericht in den letzten Jahrzehnten immer wieder in ganz verschiedenen Dingen getan.
Als es um Wohnraumüberwachung ging, haben die Dienste und Sicherheitsbehörden auch gesagt, um Gottes Willen, wenn hier irgendjemand rechtsstaatliche Standards einzieht, das ist der Untergang des Abendlandes. Ich glaube, diese Argumentationen bringen uns nicht weiter, sondern wir müssen, gerade weil die Welt so unübersichtlich und chaotisch ist, diesen Anspruch an Rechtsstaatlichkeit für uns hochhalten. Am Ende wird ein Nachrichtendienst mit rechtsstaatlichen Standards besser und nicht schlechter.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.