Donnerstag, 28. März 2024

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Grünen-Politiker zum VW-Skandal
"Es gibt keine unabhängige Kontrolle"

Der baden-württembergische Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) hat ein neues Verfahren zur Kontrolle der Abgaswerte von Autos gefordert. Dieses müsse unabhängig und transparent sein, sagte Hermann im DLF. Das bisherige Kontrollsystem funktioniere in Deutschland und Europa nicht.

Winfried Hermann im Gespräch mit Dirk Müller | 05.11.2015
    Winfried Hermann, baden-württembergischer Verkehrsminister, sitzt während eines Interviews in seinem Büro im Ministerium.
    Winfried Hermann, baden-württembergischer Verkehrsminister (imago/Lichtgut)
    Hermann sagte, es gebe zwar europäische Grenzwerte, aber keine EU-Behörde, die Fahrzeugtypen zulasse und Werte kontrolliere. "Wir brauchen eine Unabhängigkeit der Behörden und unabhängige Verfahren", sagte Hermann. Es gebe eine unglaubliche Nähe zwischen Politik und Autoindustrie.Die Autolobby müsse zurückgedrängt werden.
    Das Kraftfahrtbundesamt sei zwar formal eine unabhängige Behörde, aber dem Verkehrsministerium unterstellt. Deshalb sei das Amt nicht vollkommen unabhängig. Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) habe nun eine "Aufklärungsverantwortung". Er müsse dafür sorgen, dass das Kraftfahrbundesamt nun schnell Ergebnisse zu den eingeleiteten Untersuchungen liefere.

    Das vollständige Interview können Sie hier lesen.
    Dirk Müller: Eine rasante Talfahrt war das gestern: um mehr als zehn Prozent in wenigen Minuten gleich zu Beginn des Börsenhandels. Die Anleger reagieren entsetzt, erschrocken auf die neuen Hiobsbotschaften aus Wolfsburg. Manipulationen, Unregelmäßigkeiten, wie es bei VW heißt, auch bei den CO2-Werten. Mehr als 800.000 Fahrzeuge sind davon betroffen. Volkswagen selbst beziffert die wirtschaftlichen Risiken auf zwei Milliarden Euro. Aber wie groß ist der Gesamtschaden am Ende? Das sind milliardenschwere operative Fragen für die Konzernleitung, aber vor allem auch für die Beschäftigten. Und was ist mit dem Image-Schaden weltweit? VW Made in Germany, Management Made in Germany - ein Geschäftsmodell voller Täuschung und Betrug? - Am Telefon ist nun der Grünen-Politiker Winfried Hermann, Umwelt- und Verkehrsminister in Baden-Württemberg. Guten Morgen.
    Winfried Hermann: Guten Morgen.
    Müller: Herr Hermann, stehen Automanager außerhalb des Systems?
    Hermann: Na ja, das kann man so nicht pauschal sagen, denn ich gehe nicht davon aus, dass alle Automanager verantwortungslose Betrüger sind. Aber man kann sich natürlich schon fragen, wer hatte im VW-Konzern für all diese Vorgänge die Verantwortung, und man kann auch fragen, warum hat das interne Kontrollsystem nicht funktioniert. Und man muss auch darüber hinaus fragen, wo ist eigentlich die behördliche oder die staatliche Kontrolle gewesen. Wie kann es sein, dass eine amerikanische Behörde den Betrugsskandal erst aufdeckt, und wie kann es sein, dass nur weil der VW-Konzern selber sagt, er hat betrogen, es bekannt wird, dass betrogen wurde in Sachen CO2.
    "Das können nicht Einzelne gewesen sein"
    Müller: Jetzt haben Sie drei Fragen gestellt. Ich weiß jetzt gar nicht, wo wir weitermachen sollen. Fangen wir mit dem ersten Punkt an. Wer hat die Verantwortung im Konzern? Hat der Chef nicht immer die Verantwortung?
    Hermann: Na gut, da gibt es auch eine geteilte Verantwortung. Aber der VW-Konzern gilt als hierarchisch aufgestellt. Von daher ist es, glaube ich, schon sehr konsequent gewesen, dass Herr Winterkorn gegangen wurde oder er gegangen ist, denn er trägt da mit Sicherheit eine große Verantwortung. Aber man muss auch schauen: Gibt es intern keine Diskussion, keine Debattenkultur, und gibt es da nicht genügend Menschen mit Zivilcourage, die sagen, ich mach in diesem System nicht mit? Denn das können nicht Einzelne gewesen sein, sondern das ist ja was ganz Systematisches. Wenn man es technologisch erst mal einrichtet, damit die Werte getäuscht werden, das ist ja ein technisch entwickelter Betrug. Und dann gab es ja jetzt noch den Betrug durch die falschen Angaben, und das alles - das will ich schon mal sagen - ist zwar ein ökonomischer Schaden für den Konzern, aber es ist natürlich vor allen Dingen auch ein Schaden für die Menschen, für die Verbraucher, für die Umwelt und für das Klima. Das wollen wir doch mal nicht kleinreden.
    "Kraftfahrtbundesamt hat nie kontrolliert"
    Müller: Haben Sie denn Hinweise darauf bekommen, was jetzt über das hinausgeht, was wir im Moment, was die Medien im Moment berichten und wissen, dass vielleicht diese Betrugsmomente in irgendeiner Form, diese Manipulationsmomente - wollen wir es so formulieren - ganz weit verzweigt im Konzern sind, bis ganz nach unten gehen, ohne dass die Hauptmanager, die Chefmanager nichts davon wussten?
    Hermann: Nein, dazu gibt es eigentlich keine Hinweise. Aber wir wissen im Moment relativ wenig. Man weiß halt, dass das VW-System sehr hierarchisch ist. Man weiß, dass Winterkorn sich in allen Bereichen eingemischt hat. Er war ja auch mal für Entwicklung zuständig, und das gilt auch für einige andere Herren.
    Aber ich will auch noch mal das Augenmerk auf das Kontrollsystem von außen lenken. Wir haben ja auch das Problem, dass wir quasi ein Kraftfahrtbundesamt haben, was nie kontrolliert hat, was nie gemessen hat. Das musste jetzt, angesichts des Skandals, erst auf den Weg geschickt werden, dass da kontrolliert, gemessen und geprüft wird. Und bei der ganzen Angelegenheit wird auch erkennbar, dass das System deutschland- und europaweit nicht wirklich funktioniert. Denn wir haben zwar eine europäische Fahrzeugkennzeichnung, das heißt, Euro II und jetzt Euro V und Euro VI, also europäische Grenzwerte bestimmen die Fahrzeugqualität, aber es gibt keine europäische Behörde, die die Typen zulässt, und es gibt keine europäische Kontrollbehörde. Es gibt überhaupt nicht wirklich unabhängige Kontroll- und Messsysteme. Da muss erheblich nachgebessert werden.
    Müller: Eine deutsche Kontrolle würde ja schon reichen, wenn sie effizient wäre. - Wenn Sie es nicht besser wüssten, Herr Hermann, würden Sie dann sagen, das Kraftfahrtbundesamt muss ja demnach von der Autoindustrie finanziert sein, nicht vom Steuerzahler.
    Hermann: Na ja, eben! Das Problem ist in der Tat sehr grundsätzlich. Das wird immer sichtbarer. Aber wer schon länger in dieser Branche Politik macht, hat das natürlich immer mit einem gewissen Argwohn beobachtet. Es gibt eine unglaubliche Nähe zwischen Politik und wirtschaftlicher Führung gerade im Bereich der Automobilbranche.
    "Wir müssen Lobbyismus der Autoindustrie zurückdrängen"
    Müller: Eine gefühlte Nähe, oder eine substanziell nachweisbare Nähe?
    Hermann: Nein, das ist auch nachweisbar, weil die Kommunikation sehr direkt ist. Das kann man ja auch daran erkennen, dass es da sehr viel personelle Verflechtungen gibt. Was wir aber brauchen, das ist wirklich eine Unabhängigkeit der Behörde und der Behörden, und wir brauchen auch unabhängige Verfahren und wir müssen ein Stück weit auch den Lobbyismus der Automobilindustrie zurückdrängen, denn es gibt einerseits das ökonomische Interesse, durchaus berechtigt, aber es gibt eben auch das Interesse des Umweltschutzes und der Menschen, denn schließlich sind NOX-Werte, die über die Grenzwerte hinausgehen, schädlich für die Gesundheit, etwa für die Atemwegserkrankungen, genauso wie Feinstäube aus Dieselfahrzeugen gefährlich und krebserregend sind. Man sollte das alles nicht so herunterspielen, als wäre das ein Kavaliersdelikt und man kann da mal ein bisschen was anders machen.
    Müller: Das Kraftfahrtbundesamt, wenn ich Sie richtig verstanden habe, ist nicht unabhängig?
    Hermann: Es ist natürlich formal eine unabhängige Behörde. Das ist ja gar keine Frage. Aber es ist unterstellt dem Verkehrsminister ...
    Wir müssen ein "neues, unabhängiges Verfahren aufbauen"
    Müller: Und der ist abhängig von ...
    Hermann: Erst mal ist es von daher nicht so ganz unabhängig, aber Behörden haben in Deutschland eine große Selbstständigkeit, jedenfalls diese Behörde, und der Verkehrsminister steht auch nicht auf der Payroll von einem Unternehmen. Aber ich will nur deutlich machen, dass der Verband der Automobilindustrie einen ziemlich guten Draht in die Politik hat und natürlich auch viele Betriebsräte, Manager direkten Kontakt in die Politik haben. Ist alles nicht schlimm, wenn die Politik unabhängig bleibt, aber man hat wirklich den Eindruck, dass wir einfach in den letzten Jahren zu wenig genau nachgeschaut haben. Ich sage das jetzt so pauschal, weil da haben natürlich viele Verantwortung gehabt in den letzten Jahren. Ich will auch gar nicht so sehr jetzt Schuldige suchen, sondern ich will eher dafür plädieren, dass wir ein neues, unabhängiges, transparentes Verfahren aufbauen. Wir brauchen übrigens auch andere Messverfahren, die realitätsnah sind. Wir brauchen die Überprüfung der Fahrzeuge im Verkehr, was sind die wirklich realen Ausstoße. Da ist die Europäische Kommission ja im Moment dabei, ein neues Verfahren ab 2017 einzurichten, was wirklich wichtig ist, dass es kommt, und es darf nicht verwässert werden, was schon wieder passiert.
    "Dobrindt hat Aufklärungsverantwortung"
    Müller: Herr Hermann, lassen Sie mich da noch mal nachhaken. Sie sagen, Sie wollen keine Schuldigen finden. Ich würde gerne einen Schuldigen finden. Der Bundesverkehrsminister, Alexander Dobrindt (CSU), hat der Mitschuld?
    Hermann: Ich will das anders formulieren. Er hat jetzt erst mal eine Aufklärungsverantwortung und er muss schauen, dass das Kraftfahrtbundesamt möglichst schnell Ergebnisse liefert, und dann muss er Konsequenzen ziehen. Er muss sich nicht nur darum kümmern, dass die Autofahrer keine Steuern nachzahlen müssen, sondern er muss sich auch darum kümmern, wie zukünftig ein Kontrollsystem aufgebaut wird, das funktioniert. Und er muss dafür sorgen, dass wir auch ambitionierte Grenzwerte und realistische Prüfverfahren haben und Messverfahren haben. Denn eines ist ja auch jetzt sichtbar geworden: Neben dem offenkundigen Betrug gibt es ja auch eine seit Jahren legitimierte Täuschung des Verbrauchers, denn der sogenannte neue europäische Fahrzyklus, der ist so weit weg und so künstlich vom realen Verkehrsgeschehen, dass man schon lange weiß, dass das nicht zusammenpasst. Das ist sozusagen Verbrauchertäuschung, ist kein Betrug, aber eine Täuschung, die alle gekannt haben, und da ist auch der Bundesminister gefragt, dass auf europäischer Ebene jetzt endlich und schnell die neuen Grenzwerte und die neuen Verfahren kommen und die realistischen verkehrsnahen Messungen.
    "Wir brauchen eine blaue Plakette"
    Müller: Herr Hermann, Sie sind ja fein raus. Sie fahren ja meistens mit der Bundesbahn. Darüber haben wir schon mal ausführlicher auch im Deutschlandfunk gesprochen. Jetzt sind Sie Minister. Steigen Sie auch in so Autos, die eventuell manipuliert sind?
    Hermann: Na ja, das Blöde ist ja, dass keiner weiß, ob sein Fahrzeug manipuliert ist. Ich gehe mal davon aus, dass es nicht so ist. Im Übrigen will ich hier auch darauf hinweisen, dass ich nicht nur Bahn fahre, sondern auch andere öffentliche Verkehrsmittel, und wir fahren auch im Nahverkehr elektrisch auf der Grundlage erneuerbarer Energien. Wir haben auch ein Hybridfahrzeug mit sehr geringem Verbrauch und wir werden das sehr genau überwachen. Wir können durchaus an den eigenen Verbrauchswerten, die wir haben, über eine gewisse Fahrzeit klar feststellen, ob der Motor das bringt, was die Angaben des Herstellers versprechen. Das ist mir auch noch ein wichtiges Anliegen.
    Wir müssen in der Politik auch die Konsequenz ziehen, dass wir wirklich stärker in neue, saubere Technologien gehen. Das heißt: Wirklich Euro-VI-Norm bei Dieselfahrzeugen. Wir brauchen eine blaue Plakette, die deutlich schärfer ist als die grüne Plakette, um die Grenzwerte einzuhalten, und wir müssen endlich auch einen Schub schaffen für Elektrifizierung der Autoflotte. Da ist der Bund auch in der Pflicht und da hat der Bundesverkehrsminister auch noch nicht so richtig seine Verantwortung angenommen.
    Müller: Wollen wir hoffen, dass wir beide, wenn wir auf der Rückseite des Bundestages demnächst mal stehen, des Reichstages, nicht überfahren werden von den vielen Autos, die da hin- und herfahren.
    Hermann: Na ja. Wir wollen schon auch darauf achten, dass nicht zu viel Auto gefahren wird, sondern dass auch umgestiegen wird und dass dort vor allem in den Innenstädten die Menschen auch zu Fuß gehen, mit dem Rad fahren, ÖPNV nutzen. Es ist ein Gesamtkonzept für eine andere Mobilitätskultur.
    Müller: Sorry, wir müssen Schluss machen. Ich hätte mir das sparen sollen. - Danke ganz herzlich für das Gespräch, Winfried Hermann, Umwelt- und Verkehrsminister von Baden-Württemberg.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.