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Grünen-Politikerin hält Familienbild der CDU für überholt

Die Grünen-Politikerin Ekin Deligöz hat die CDU zur Anerkennung familienpolitischer Realitäten in Deutschland aufgerufen. Die Christdemokraten stellten die Mittelschicht-Familie in den Fokus, die Situation Alleinerziehender und Kinderarmut würden ausgeblendet, sagte Deligöz, familienpolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion. Um politische Zusammenarbeit mit den Grünen zu ermöglichen, müsse die CDU zunächst eine Modernisierungswelle durchmachen.

Moderation: Elke Durak | 09.01.2007
    Elke Durak: Also fast alle Parteien haben nun die Familien wieder neu entdeckt. Alle haben irgendeine Idee, aber jeder meint irgendwie auch etwas anderes. Die CDU wirft der SPD vor, sie degradiere die Familie zur Wohngemeinschaft, sie selbst, die Union, schwankt intern zwischen einem modernen und einem althergebrachten Familienbild. Die SPD selbst schreibt ins neue Grundsatzprogramm, wie kinderfreundlich sie in ein paar Jahren sein möchte. Die FDP hängt irgendwie dazwischen, aber unbedingt in der Mitte der Gesellschaft, und nun also auch die Grünen. Sie wollen ihren Familienbegriff neu bestimmen, heißt es, dazu gibt es für die Klausur in Wörlitz auch ein Positionspapier

    Am Telefon ist die familienpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, Ekin Deligöz. Sie ist auch Mitglied der Kinderkommission des Bundestages. Guten Morgen, Frau Deligöz!

    Ekin Deligöz: Guten Morgen, Frau Durak!

    Durak: Wieso brauchen die Grünen einen neu bestimmten Familienbegriff, ist der alte falsch?

    Deligöz: Die Familien leben in Deutschland in einer sehr vielfältigen Art und Weise, und wir müssen die Realität der Familien auch abbilden, wenn wir die richtigen politischen Antworten dafür brauchen. Und das haben wir in dem Papier auch getan, weil: Familie ist nicht nur Papa, Mama, Kind, nicht nur vielfältige Lebensformen, sondern inzwischen auch eben Zusammenleben mit älteren Menschen in der Pflege. Und auch das braucht familienpolitische Antworten, nämlich all das, wo Menschen miteinander Verantwortung übernehmen, müssen auch politische Instrumente der Unterstützung mit einsetzen. Darum geht es in dem Papier, die Instrumente dazu auch zu formulieren.

    Durak: Was ist jetzt daran neu?

    Deligöz: Das Neue daran ist die Ausweitung des Familienbegriffs, nicht nur auf das Zusammenleben mit Kindern, sondern auch auf das Zusammenleben mit älteren Menschen, das heißt in der Pflege, und auf das Zusammenleben der Generationen. Und das Neue daran ist, dass das ein Grund mehr ist, um vom Alleinverdienermodell abzurücken hin zu vielfältigen Lebensformen, wo es darum geht, dass beide partnerschaftlich die Erziehungsarbeit aber später vielleicht auch Pflegearbeit aufteilen.

    Durak: Also meinen Sie mit Familie nicht Wohngemeinschaft, wie die CDU der SPD vorwirft, sondern eher auch eine Solidargemeinschaft, also müssen die verwandt zum Beispiel, die dort zusammen leben?

    Deligöz: Es geht primär um Solidargesellschaft, natürlich geht es um Solidarität miteinander. Es geht aber auch darum, dass man füreinander Verantwortung übernimmt und diese Verantwortung, dadurch natürlich auch gewisse staatliche Leistungen beanspruchen kann und auch sollte, weil man da auch sozusagen eine Keimzelle für die Gesellschaft mit bildet. Und wir möchten mit unserer Familienpolitik die Menschen unterstützen in ihren verschiedenen Lebenslagen, und das fängt damit an, dass man sagt: Wir orientieren uns nicht mehr an der traditionellen Ehe, wir orientieren uns nicht mehr am Alleinverdienermodell, sondern wir orientieren uns an den Lebenslagen der Menschen, und die Instrumente müssen darauf abgestimmt werden. Das fängt an mit der Kinderbetreuung, Förderung der Kinder, geht aber auch weiter über Pflegezeiten und über sozusagen Arbeitsmarktstrukturen und Zeitpolitik, die sich darauf ausrichtet.

    Durak: Die Teile aus Ihren Vorstellungen, die etwas kosten, haben Sie für die auch Finanzierungsmodelle entworfen?

    Deligöz: Darin unterscheiden sich die Grünen wesentlich von allen anderen Parteien, dass wir für alles, was wir tun, natürlich auch Finanzierungsmodelle haben. Das Beispiel Ausbau der Infrastrukturleistung für unter Dreijährige finanzieren wir, indem wir das Ehegattensplitting auf Individualsplitting überleiten und das eingenommene Geld so in den Kommunen, Länder und Bund konkret für den Ausbau der Kinderbetreuung ausgeben.

    Durak: Inwieweit gehen Sie da d'accord mit der SPD?

    Deligöz: Ich denke, die SPD ist jetzt so weit,, wie sie in der rot-grünen Regierung auch schon mal war, da ist nichts Neues dahinter, weil: Das war ja schon mal ein rot-grüner Beschluss, dass wir in die Infrastruktur investieren müssen. Das Defizit bei der SPD ist aber, dass sie zwar wissen, was sie wollen, aber nicht wissen, wie sie es tun sollen. Sie nehmen imaginäre Finanzmittel, die nicht existieren, für eine Reform, die sie irgendwann auf das Jahr 2010 verschieben. Das ist nicht ernst gemeinte Politik.

    Durak: Frau Deligöz, in diesem Punkt könnten die Grünen, wenn sich Ihr neues Familienbild durchsetzt, ja kaum mit der CDU zusammen gehen. Nun gibt es ja Überlegungen, nicht erst seit heute, dass es auch schwarz-grüne Bündnisse über kommunale Bündnisse hinaus geben könnte. Nun hören wir heute Morgen von einer dritten Kraft der Grünen, die da entstehen würde, also neben den Flügeln vielleicht ein neues Standbein, eine Gruppe neben Realos und Linken um Frau Göring-Eckhardt, um Cem Özdemir und andere, die zum Beispiel sagen, wieso immer an Dreierbündnisse denken, man könnte ja auch an Zweierbündnisse auf Länderebene denken. Was halten Sie von solchen Überlegungen in Ihrer Partei?

    Deligöz: Nun ja, diese Überlegungen sind nicht neu, sondern sie sind andauernd. Es kommt immer auf die Inhalte an, und an jedem einzelnen Punkt müssen wir, wenn es dann mal konkret wird, darüber diskutieren, ob es auch inhaltlich machbar ist, politisch machbar ist, und daran letztendlich wird es sich entscheiden, und die theoretischen Debatten bringen uns da nicht wirklich sehr weit.

    Durak: Sehen Sie denn in der Familienpolitik, in der Kinderpolitik, Anknüpfungspunkte mit der CDU?

    Deligöz: Ich denke, wenn die CDU es schaffen würde, ihr gesellschaftliches Bild zu modernisieren und dort anzukommen, wo die Menschen schon sind, dass nämlich nicht die Traditionen zählen, sondern einfach die konkreten Lebenslagen, dann wäre es auch möglich zusammenzuarbeiten, aber dazu müsste die CDU erstmal eine Modernisierungswelle durchmachen.

    Durak: Der Generalsekretär probiert es ja oder hat es probiert und ist irgendwie gescheitert. Er wollte das Ehegattensplitting zu einem Familiensplitting machen zugunsten von Familien mit Kindern. Das ist jetzt verschoben auf nach 2009, also wahltechnisch auf Sankt Nimmerlein. Welche Erwartungen haben Sie denn, dass die Union es schafft, sich Ihnen oder Ihren Positionen anzunähern?

    Deligöz: Wenn wir uns die konkreten Modelle anschauen, was die CDU zurzeit für eine Politik macht, dann macht sie eine Politik für die Mittelschicht der Familien, also Elterngeld aber Absetzbarkeit der Kinderbetreuung, das sind alles Modelle, die sich an die Mittelschicht der verdienenden Haushalte richten. Wir brauchen auch eine Politik, dass Armut der Kinder nicht benachteiligt, dass Alleinerziehende mit berücksichtigt, also ein Modernitätsschub im Gesellschaftsbild, das müsste her. Aber ich denke, in Teilen der CDU, und wenn man sich die Ideen im Familienministerium anschaut, ist es durchaus vorhanden, aber nicht laut genug. Vor allem müsste die CDU auch mal zu dem stehen, was sie an Reformen eigentlich zielt. Das Elterngeld will ja die Erwerbstätigkeit von Frauen, aber die CDU versteckt das, dass sie das auch wollen. Von daher: Sie müssten auch mal zu dem stehen, was ihre Ziele sind, und vielleicht gäbe es dann ein Zusammenkommen.

    Durak: Ekin Deligöz, familienpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen und Mitglied der Kinderkommission des Bundestages. Dankeschön, Frau Deligöz, für das Gespräch.

    Deligöz: Vielen Dank auch.