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Grünen-Politikerin Terry Reintke
Europa braucht seine Jugend

Die Grünen-Politikerin Terry Reintke ist 2014 als jüngste Abgeordnete ins Europaparlament eingezogen - und kämpft seither vor allem für die Teilhabe junger Politikerinnen und Politiker. Der Vorwurf, junge Leute gingen nicht wählen und brächten sich nicht ein, sei Schwachsinn, sagte Reintke im Dlf.

Terry Reintke im Corsogespräch mit Anne Höhn | 02.05.2019
Mit Megafon und grünen Herzluftballons: Terry Reintke (M.) zeigt mit Parteikolleg*innen Flagge beim Europa-Wahlkampf der Grünen im Mai 2014
Mit Megafon und grünen Herzluftballons: Terry Reintke (M.) beim Europa-Wahlkampf der Grünen im Mai 2014 (picture-alliance/dpa/Bernd von Jutrczenka)
Anne Höhn: Was würden Sie als erstes machen, wenn sie morgen den Posten von Jean Claude Juncker besetzen würden?
Terry Reintke: Also gerade würde ich höchstwahrscheinlich als erstes in Großbritannien jemanden anrufen, ob das dann noch Theresa May wäre, weil das sollte auf jeden Fall mit ganz großem Hochdruck geklärt werden, wie das jetzt mit dem Austritt Großbritanniens, oder auch nicht-Austritt Großbritanniens, aus der Europäischen Union aussieht und da würde ich auf jeden Fall zuerst Druck machen und sagen dass wir da mal eine Lösung brauchen.
Höhn: Sie gehören zu den jungen Europapolitikerinnen: Haben Sie das Gefühl, dass Sie von allen gleichermaßen ernst genommen werden?
Reintke: Also ich muss schon sagen, zu Beginn der Legislaturperiode, ich war ja die jüngste Abgeordnete hier im Europäischen Parlament, da hatte ich schon einige Situationen in denen Leute sich zum Teil herablassend mir gegenüber verhalten haben. Zum Beispiel, wenn ich in Diskussionen gekommen bin und dann Witze darüber gemacht wurde, was denn jetzt die Praktikantin hier macht. Ich habe dann aber auch sehr schnell gemerkt, wenn die Leute merken, dass man in den Diskussionen dran bleibt, dass man sich einsetzt, dass sich das verändert., also mittlerweile würde ich sagen, dass ich ein sehr gutes Verhältnis zu den meisten Kolleginnen und Kollegen hier im Parlament habe und dass wir eine Diskussion auf Augenhöhe führen können. Es gibt diese Barrieren und ich glaube auch, dass wir da noch viel arbeiten müssen das zu ändern. Aber andererseits: Man kann eben wirklich auch Einfluss nehmen und hier im Europäischen Parlament gibt's da sehr gute Beispiele und deshalb ist es so wichtig, dass junge Menschen sich einbringen.
Höhn: Es sind in den vergangenen Wochen und Monaten immer wieder Tausende junge Menschen auf die Straße gegangen, um im Vorfeld gegen die erwähnte Reform des Urheberrechts zu demonstrieren oder für den Klimaschutz bei den "Fridays for Future", also Politikverdrossenheit kann man den Jungen jetzt nicht vorwerfen, aber verprellt man dieses Potenzial nicht dadurch, dass diese Gruppe im EU-Parlament kaum durch junge Abgeordnete repräsentiert wird?
Reintke: Also ich glaube schon, dass es da ein Problem gibt, dass eben diese Barrieren für junge Menschen in institutionalisierter Politik, also in Parlamenten, aber auch in Parteifunktionär, wirklich anzukommen, dass die noch zu hoch sind und dass sich das ändern muss. Ich finde aber auch, dass diese ganze Mobilisierung die wir gerade sehen das die zeigt, dass die zeigt, dass dieser Vorwurf den ich auch häufig bekommen habe "Aber die jungen Leute gehen ja nicht wählen und die bringen sich nicht ein", dass das Schwachsinn ist.
Dossier: Europawahlen
Europawahlen (picture alliance / dpa / Kay Nietfeld)
Hunderttausende Menschen auf der Straße
Höhn: Ich nehme jetzt mal das Beispiel der Reform des Urheberrechts, da hat die junge Kritikerin Julia Reda von der Piratenpartei viel gegen eine ältere Politiker Riege argumentiert, zu der auch unter anderem Axel Voss gezählt werden darf und hat sich da nicht so wirklich durchsetzen können. Das führt mich zu der Frage, ob junge Stimmen im Europaparlament überhaupt Gehör finden?
Reintke: Also Julia ist ja ein Beispiel, dass sie Gehör finden und dass sie auch sehr viel Einfluss haben weil ich meine, dass wir diese Debatte so offen geführt haben, das liegt ja daran, dass wir offensichtlich junge Leute haben die sich einmischen und das auch funktioniert. Dass am Ende wir knapp diese Abstimmung verloren haben, das ist natürlich wahnsinnig schade, aber ich glaube dass dieses Beispiel zeigt wie wichtig es ist sich einzumischen, weil die Diskussion hier auf jeden Fall noch einmal sehr sehr anders geführt worden sind, nachdem Hunderttausende Menschen auf der Straße waren, es sehr viel online Aktivismus gab und deshalb würde ich sagen, dass gerade diese Entscheidung zeigt, wie wichtig es ist wählen zu gehen, hier die richtigen Abgeordneten nach Straßburg und Brüssel zu schicken und eben auch selber mitzumachen. Ich habe nach dieser Entscheidung getweetet, ich kann das natürlich nicht beweisen, aber es war so mein Gefühl, dass, wenn das Parlament im Durchschnitt zehn Jahre jünger wäre, dass diese Entscheidung anders ausgegangen wäre.
Wir haben noch länger mit Terry Reintke gesprochen - hören Sie hier die Langfassung des Corsogesprächs
Höhn: Sie haben gesagt die richtigen Abgeordneten schicken, wer sind denn die richtigen Abgeordneten?
Reintke: Ja, das müssen die jungen Menschen und alle dann für sich selber entscheiden. Mir ist wichtig dass man sich eben informiert und dann wählen geht und dann guckt, wen man gut findet. Ich würde sagen, dass wir hier im EP schon in der Tat in mehreren Fraktionen junge Leute sitzen haben die die Arbeit positiv beeinflussen die wir hier machen im Parlament, die aber gerade auch probieren, die Diskussion, die ja zum Teil von einigen Menschen als sehr weit weg wahrgenommen werden, dann wirklich über Social Media aber auch dadurch, dass man selber präsent ist in die Gesellschaft zu tragen. Und das ist ich glaube ganz wichtig, damit wir möglichst eine inklusive Diskussion hier führen und dann möglichst viele Stimmen bei den Entscheidungen auch wirklich zum Tragen kommen.
Das Problem europaweiter öffentlicher Diskussionen
Höhn: Die EU wurde ja eigentlich gegründet auf die Idee des Friedens durch wirtschaftliche Annäherung und es ist auch ein gemeinsamer Kulturraum gewachsen über die letzten Jahrzehnte. Erleben Sie eine solche gemeinsame europäische Kultur ?
Reintke: Also da sind natürlich immer noch bestimmte Herausforderungen zu meistern. Wir haben ja 24 unterschiedliche Sprachen und das ist natürlich schon eine Herausforderung eine öffentliche Diskussion europaweit zu organisieren, bei all diesen Sprachen und dieser großen Vielfalt und zum Teil auch immer noch sehr national organisierten Strukturen die dann eben auch nationale Debatten hervorrufen. Aber ich muss sagen, dass ich jetzt in den letzten Jahren, gerade auch in diesen Krisen Moment gemerkt habe, dass immer mehr Menschen das auch einfordern, dass sie sagen: Wir wollen wissen, was in Finnland, was in Griechenland, was in Spanien diskutiert wird, weil das am Ende uns auch betrifft.
Höhn: Was wünschen Sie sich denn persönlich für die anstehenden Europawahlen?
Reintke Eine ganz hohe Wahlbeteiligung, gerade von jungen Menschen, das ist auf jeden Fall etwas, was ich mir wünsche und weiterhin eine klare pro-europäische Mehrheit im hier Parlament. Wir haben gesehen, dass der Rat gerade mit Regierungen wie den Ungarn oder den Polen, dass die häufig blockiert sind und wenn wir nicht mehr diesen Motor aus dem Europäischen Parlament haben, das immer wieder darauf insistiert, dass wir gemeinsam Entscheidungen treffen,dann sieht es sehr, sehr bitter aus für die Zukunft des europäischen Projekts. Deshalb hoffe ich darauf,dass wir eine starke progressive pro-europäische Mehrheit bekommen und natürlich, hoffentlich, eine ganz große grüne Fraktion im Europäischen Parlament.
Höhn: Sie werden am 9. Mai 32, wenn mich nicht alles irrt?
Reintke: In der Tat!
Höhn: Wo werden Sie denn voraussichtlich feiern: im Parlament oder in der WG in Duisburg?
Reintke: Ich werde in Aachen sein und eine grenzüberschreitende Wahlkampf Aktion mit den Grünen machen und abends über Europa diskutieren. Ich glaube, vormittags werde ich noch in der Schule sein in eine Podiumsdiskussion machen. Ich werde sehr busy sein um Menschen dafür zu motivieren wählen zu gehen in der Europawahl und ich glaube das ist der perfekte Tag an meinem Geburtstag und am Europatag dafür zu kämpfen, dass wir eine Zukunft in der Europäischen Union haben.
Höhn: Sagt Terry Reintke, für die Grünen im Europaparlament - Vielen Dank Frau Reintke!
Reintke: Dankeschön.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.