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Grünes Duell um den Bundestags-Vize

Künast und Roth: Beide sind nicht als Gewinnerinnen aus der Bundestagswahl gegangen, beide genießen allerdings ein hohes Ansehen in ihrer Partei. Nun kämpfen beide um das Amt der Bundestags-Vizepräsidentin.

Von Christel Blanke | 10.10.2013
    "Ich versuch’s noch mal: Die Sitzung ist eröffnet. Und ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 1: Befragung der Bundesregierung. Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Agrarpolitischer Bericht 2006 der Bundesregierung. Und das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht hat der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Horst Seehofer."

    Es ist der achte Februar 2006. Katrin Göring-Eckardt eröffnet erstmals eine Bundestagssitzung. Vier Monate zuvor war sie zur Vizepräsidentin gewählt worden. Die erste Gratulantin war Renate Künast, zu dem Zeitpunkt ebenfalls gerade frisch zur Vorsitzenden der grünen Bundestagsfraktion gewählt. Beide blieben über zwei Wahlperioden im Amt. Mittlerweile haben die Grünen eine krachende Wahlniederlage hinter sich. Göring-Eckardt, die für die Partei als Spitzenkandidatin in den Wahlkampf gezogen war, übernimmt den Fraktionsvorsitz. Künast räumt den Posten und möchte auf dem Präsidentensessel Platz nehmen:

    "Das war für mich mit der Entscheidung bei der Urwahl klar, dass da jetzt auch eine Verjüngung und Erneuerung drin liegt."

    Bei der Urwahl um die Spitzenkandidatur hatte Künast gegenüber der zehn Jahre jüngeren Göring-Eckardt den Kürzeren gezogen. Der Platzwechsel jetzt wäre ein einfacher Tausch. Wäre da nicht eine weitere Bewerberin, die ebenfalls bei der Urwahl scheiterte und nun ihren bisherigen Posten aufgibt:

    "Ich möchte gerne mich in der Fraktion bewerben für das Amt der Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages."

    Claudia Roth, die scheidende Parteivorsitzende, will auch nicht einfach nur zurück ins Glied. Schnell ist von einer Kampfkandidatur die Rede. Doch darauf reagieren beide genervt:

    "Ach, das weiß ich nicht, was das gibt. Das gibt auf jeden Fall ne Bewerbung von mir. Ich habe gesagt, ich würde das gerne tun. Wenn’s noch weitere Kandidaturen gibt, wie beispielsweise von Renate, das nennt man übersetzt Demokratie."

    "Punkt Eins: Das ist kein Posten, sondern ein Amt. Zweitens: Das ist jetzt heute gerade eben meine geringste Sorge."

    Einen Tag später klingt das bei Künast schon etwas präsidialer:

    "Für mich ist wichtig, dass wir jetzt intern und respektvoll miteinander diskutieren. Die Frage, wie respektvoll wir mit früherem und zukünftigem Personal umgehen, entscheidet ja als Allererstes schon über die Frage unserer Glaubwürdigkeit im Land."

    Renate Künast oder Claudia Roth. Zwei Gesichter der Grünen. Claudia Roth ist so etwas wie die Seele der Partei. Sie verstellt sich nicht, ist schrill, mischt sich ein, polarisiert und nervt. Aber vor allem: Sie hört zu. Die 58-Jährige ist es, die den Laden zusammenhalten kann. Sie ist es, die Parteitage rockt, wie die Grünen so gerne sagen. Fulminant ihr Auftritt im vergangenen November nach der Pleite im Kampf um die Spitzenkandidatur:

    "Liebe Freundinnen und Freunde, wenn ich heute vor euch trete und mich um den Bundesvorsitz bewerbe, dann tue ich das mit Nachdenklichkeit, nach Stunden mit Schatten, aber auch mit Licht nach Gesprächen, Mails, Anrufen, Briefen, einem Candy-Storm, der es jetzt schon nach Wikipedia geschafft hat und einem inneren Sturm auch. Das waren die persönlichen Gemütslagen, aber die Trauerzeit ist vorbei."

    Den Candy-Storm - die Charmeoffensive auf Twitter – lassen die jubelnden Delegierten Claudia Roth dann noch einmal ganz direkt erleben. Sie bewerfen sie mit Süßigkeiten. Und sie wählen sie erneut an die Parteispitze, mit 88,5 Prozent der Stimmen.

    "Die Wähler wollen uns kämpfen sehen. Kämpfen kann ich, liebe Freundinnen und Freunde, und das Nerven, das gewöhn ich mir auch nicht mehr ab. Vielen Dank!"

    Direkt wie Claudia Roth ist auch Renate Künast und gut reden kann auch sie. Aber auf völlig andere Art. Kühl, schroff und gerne auch mal schnippisch kommt sie daher. Wie Roth nimmt auch Künast selten ein Blatt den Mund. Zum Beispiel, wenn sie die Politik von Bundesumweltminister Peter Altmaier mit dem Backen von Windbeuteln vergleicht:

    "Wenn Sie beim Windbeutelbacken die Ofentür zu früh aufmachen, geht die Luft aus dem Windbeutel raus und es ist eigentlich nichts mehr da als ein Häufchen Teig."

    Wer nun die besseren Chancen auf das Amt der Bundestagsvizepräsidentin hat, ist schwer zu sagen: Kann gut sein, dass die Abgeordneten Künast auf diese Art für die langjährige Arbeit als Vorsitzende danken. Möglich aber auch, dass ihr immer noch die Niederlage bei der Abgeordnetenhauswahl in Berlin nachgetragen wird, in die sie nach langem Zögern mit umso größerem Anspruch gestartet war:

    "Meine Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde, in den letzten Monaten ist mir ja irgendwie immer die gleiche Frage begegnet. Und ich will sie heute beantworten. Ich bin bereit. Ich kandidiere für das Amt der Regierenden Bürgermeisterin von Berlin. Eine Stadt für alle."

    Dass nun letztlich zwei Kandidatinnen für das Vizepräsidenten-Amt antreten, die ihre Posten mehr oder weniger freiwillig räumen und entsprechend eher geschwächt dastehen, daran sieht die nordrhein-westfälische Bundestagsabgeordnete Bärbel Höhn kein Problem:

    "Der Job der Bundestagsvizepräsidentin ist ja schon auch einer der repräsentiert, ist einer, der auch viel Erfahrung braucht und ich finde, beide Kandidatinnen würden das gut machen können. Ich glaube, mit beiden wäre das eine Bereicherung."