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Grünkäppchen und Großmutter Bouffier

Hessens Grüne kämpfen für Rot-Grün – halten sich aber alle Optionen offen. Das gibt Spekulationen über ein schwarz-grünes Regierungsbündnis weiter Nahrung. Zumal CDU-Ministerpräsident Volker Bouffier seine Haare nicht mehr gelbblond färbt.

Von Anke Petermann | 08.08.2013
    Im Fresenius-Prüflabor in Taunusstein bei Wiesbaden macht Volker Bouffier große Augen.

    "Echthaar? - Genau, das ist echtes Haar, was wir kaufen."

    Auf einem Wäscheständer hängen die Haarsträhnen für die Pflegproduktprüfung. Und eine davon hat exakt die Farbe, die Bouffier bis zur Mitte der Legislaturperiode trug: gelb, das wohl eigentlich hätte blond sein sollen. Gelb geht aber nicht für einen 61-jährigen Ministerpräsidenten, der seine Seriosität in die Wagschale werfen will, um wiedergewählt zu werden. Bouffier sah das wohl ein und legte das vermeintlich Blond ab, als smarter Silver-Ager tritt der Christdemokrat nun im Wahlkampf an.

    "So, was passiert hier?"

    Dass der hessische Ministerpräsident das Fresenius-Prüflabor besucht, um zu schauen, wie er seinen vollen Schopf unfallfrei von gelb über silbergrau zu grün umfärben könnte, das unterstellen ihm nur Satiriker. Bouffier selbst würde jedenfalls bestreiten, dass er mithilfe farblicher Neuorientierung Distanz zum schwächelnden Koalitionspartner FDP und Annäherung an die starken hessischen Grünen signalisiert. Obwohl er in diesen Tagen mal wieder die vorbildliche Zusammenarbeit zwischen Schwarz und Grün in Frankfurt am Main lobt. Im gleichen Atemzug allerdings abwiegelt:

    "Wenn mich einer fragt, ob die in Frankfurt gut zusammenarbeiten, muss man wahrheitsgemäß sagen: ja. Das ist richtig, das ist Frankfurt. Das ist in Hessen anders. Die Wege zwischen CDU und Grünen sind in vielen Sachfragen sehr weit. Und wir konzentrieren uns, dass wir mit der FDP weiterarbeiten können, das war erfolgreich, und ich bin sehr zuversichtlich, dass es wieder klappt."

    Felsenfest rechnet Bouffier damit, dass die CDU wieder stärkste Kraft in Hessen wird, die Umfragen geben das auch her. Dass Rot-Rot-Grün gegen die christdemokratischen Platzhirsche anregiert, sollte die FPD weiter im Fünf-Prozent-Grenzbereich dümpeln, das will der Koch-Nachfolger aber um jeden Preis verhindern. Schwarz-Grün wäre für ihn das Hintertürchen zur Macht. Zumal die Grünen zwar für Rot-Grün kämpfen, sich aber alle Optionen offenhalten. Und damit Profilverlust riskieren. Grünenchef Tarek Al-Wazir erhebt da allerdings Einspruch.

    "Ich glaube nicht, dass wir damit Profilverlust riskieren, wir setzen einfach auf Eigenständigkeit. 2007 haben alle alles ausgeschlossen, und am Ende ging nichts mehr, und es gab die 'hessischen Verhältnisse'. Ich hab’ jetzt gehört, dass die Linkspartei die Regierungsbeteiligung nicht mehr ausschließt, das war früher anders, Thorsten Schäfer-Gümbel schließt die Große Koalition nicht aus."

    Gemeint ist der Bouffier-Herausforderer von der SPD.

    "Der einzige, der alles ausschließt, ist Jörg-Uwe Hahn von der FDP, weil der von CDU-Leihstimmen lebt und Angst hat, dass die ihm abhandenkommen."

    Schwarz-grüne Koalitionsträume - aus der Sicht von FDP-Landeschef Hahn die beste Motivation für bürgerliche Wähler, das Kreuzchen bei den Liberalen zu machen. Vielleicht aber täuscht er sich da.

    Szenenwechsel. Grüner Wahlkampfbesuch bei einer Einrichtung, die jedem FDP-Wahlkämpfer am Herzen liegt: die Frankfurt School of Finance and Management, private Elite-Hochschule. Der Grünen-Spitzenkandidat und der Präsident der Frankfurt School reden über Perspektiven von Forschung und Lehre. Der Politologe Al-Wazir und der Wirtschaftswissenschaftler Udo Steffens verstehen sich sichtlich gut, "ich bin ja ein Alt-Linker", lacht Steffens. Die Grünen würde er gern abbringen von ihrer Vorliebe für Rot in jeder Koalitions-Schattierung. Frotzeln mit dem hessischen Spitzenkandidaten aus Offenbach.

    Steffens: "Wer Sie wählt, sind Arztsöhne, Oberstudienratssöhne und –Töchter."

    Al-Wazir: "Herr Steffens, ich hab’ in Offenbach 22 Prozent gehabt, so viele Arztsöhne haben wir da nicht."

    "Machen Sie denn jetzt doch Schwarz-Grün, wie ich in der Zeitung gelesen hab’?" setzt Steffens nach. Die urbanen Eliten als Grünenwähler könnten sich damit bestimmt anfreunden, wirbt der Hochschulpräsident. Vermehrte Nachfrage also für Schwarz-Grün? Al-Wazir wiegelt ab.

    "Na ja, der Präsident der Frankfurt School of Finance ist für sein lockeres Mundwerk bekannt. Seit Jahren sagt der mir immer, Sie müssen Schwarz-Grün machen. Und ich sage ihm immer: Gucken Sie die Hessen-CDU an, wie soll das funktionieren?"

    Warum sollte es nicht funktionieren? Volker Bouffier hat sich die Haare zwar silbern und nicht grün färben lassen, setzt aber gelegentlich ein grünes Mützchen auf. Etwa wenn er zum Energiegipfel lädt oder die Intelligenz grüner Schulkonzepte lobt. Tarek Al-Wazir aber überzeugt Bouffier als Anti-Koch nicht.

    "Er will sich ein solches Image geben, aber ob er wirklich so ist, da mache ich ein großes Fragezeichen. Erstens hat er ja seit 1999 der Regierung Koch angehört und alles mitgemacht, auch als stellvertretender CDU-Vorsitzender. Zweitens ist er ja in der Linie Dregger, Kanther, Koch geprägt, die Hessen-CDU ist ja eine ganz besondere, im negativen Sinne. Es geht ihm – glaube ich – ein bisschen so wie dem Wolf im Rotkäppchen. Er versucht sich ein neues Mäntelchen umzuhängen, aber am Ende fragen dann doch die Leute: 'Großmutter, warum hast du so große Zähne?'"

    Dass sich Grünkäppchen notfalls zu Großmutter Bouffier ins Bett legen würde, wenn’s der Regierungsbeteiligung dient – für die Liberalen besteht allerdings kein Zweifel daran. Schwarz-Grün öffnet schließlich auch für den langjährigen "heimlichen Oppositionsführer" Tarek Al-Wazir ein Hintertürchen zur Macht.