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Grundelinvasion im Rhein

Exotische Muscheln oder Flohkrebse beobachten Gewässerbiologen schon seit Längerem im Rhein. Am Unterlauf des Flusses dominieren eingewanderte Arten inzwischen sogar die Fischfauna. Besonders zahlreich vertreten sind verschiedene Arten von Grundeln - gefräßige Fische aus dem Kaspischen Meer.

Von Volker Mrasek | 21.08.2013
    Der Rhein bei Stromkilometer 842. Eine Industrieruine dominiert die Landschaft: das nie ans Netz gegangene Atomkraftwerk Kalkar. Gegenüber, am rechten Rheinufer, eine seichte Sandbucht und vier junge Leute in Anglerhosen. Sie schleifen etwas durchs Wasser, das wie eine große Segelplane wirkt.

    Borcherding: "Die führen jetzt das Netz ins Wasser. Dann gibt es also zwei Leute, die am Ufer entlang das ziehen und zwei Leute, die im tiefen Bereich das ziehen. Und der Druck auf der Netz, der ist so extrem - einer allein hätte überhaupt keine Chance, das zu ziehen, wie sich das hier ausbeult."

    Vom Ufer aus verfolgt Jost Borcherding das Geschehen. Der Zoologe leitet die Ökologische Außenstation der Universität Köln in Rees am Niederrhein, nicht weit von Emmerich. Beim Gehen knirschen die Schalen von unzähligen Körbchenmuscheln unter Borcherdings Gummistiefeln.

    Die vermeintliche Segelplane ist ein sogenanntes Uferzugnetz. Für Doktorandin Svenja Gertzen eines der wichtigsten Arbeitswerkzeuge:

    "Das ist feiner als ein Fliegengitter, damit wir damit auch die kleinsten Fischlarven fangen können."


    "Dieses Mal, würde ich sagen, geht's so bis zwölf Zentimeter ungefähr." "Och, die Nasen haben schon ..." "Ja, die Nasen." "... die Nasen haben schon ihre 17. Die hat 18, würde ich mal schätzen. Und, was hat sie? Na?" "18." "18!"

    Die Kölner Ökologen sind Zeugen einer Invasion. Vor knapp zehn Jahren begannen sich Grundeln im Rhein massiv auszubreiten. Heute wimmelt es im ganzen Fluss nur so von den Einwanderern. Ursprünglich stammen die fremden Fische aus dem Kaspischen und dem Schwarzen Meer:

    Borcherding: "Grundeln sind relativ klein bleibende Fische, so bis, sagen wir, in unseren Bereichen maximal 20 Zentimeter lang werdend. So ein bisschen bulliger aussehend. Die wuseln eben auf dem Grund rum und fressen dort kleine Krebschen, Insektenlarven, Muscheln, kleine Fische. Wir wissen, dass sie bis Basel hoch vorkommen. Dass sie bis Trier hoch in der Mosel hoch vorkommen. Dass sie in den Nebenflüssen wie der Ruhr drin sind. Im Schnitt sind 70 bis 80 Prozent der Fische, die wir fangen, Grundeln. Die Angler, wenn die heute rausgehen, die fangen fast nichts anderes mehr als Grundeln."


    "Flussgrundel, 114, Männchen." "73, Weibchen."

    Vier verschiedene Grundelarten leben heute im Rhein. Einheimischen Fischen wie Flussbarsch, Zander und Hecht machen sie das Leben schwer. Die Brustflossen der Grundeln sind zu einem Saugnapf umgeformt. Damit finden sie auch dort Halt, wo Gesteinsblöcke das Rheinufer säumen. Das ist in vielen Flussabschnitten der Fall, wie Jost Borcherding betont:

    "Das ist ein Habitat, wo einheimische Fische ganz wenig drin sind. Die jungen Larven beispielsweise werden auf diesen Blocksteinen einfach zerschlagen durch den Wellenschlag. Den Grundeln macht das nichts aus."

    "Kleine Schwarzmaulgrundel und 'ne kleine Flussgrundel." "Das ist Flussgrundel, nicht?" "Ja."

    Für einen Raubfisch wie den Zander sollten die Grundeln eigentlich ein gefundenes Fressen sein. Nach den Erfahrungen der Ökologen ist das auch so - und zwar dann, wenn der Zander 40 Zentimeter lang ist und damit doppelt so groß wie eine ausgewachsene Grundel. Vorher aber wird es für den angestammten Räuber im Rhein immer schwerer, sagt Borcherding:

    "Er verhungert in der Konkurrenz mit der Grundel und wird gar nicht erst erwachsen, um dann später Grundeln fressen zu können. Das sehen wir schon an unseren Daten."

    Erst jüngst entdeckten Borcherding und seine Mitarbeiterinnen, dass sich die Schwarzmaul- und die Flussgrundel inzwischen im Rhein kreuzen, also im Begriff sind, eine neue Art zu bilden.

    "Da klingeln bei vielen Ökologen auf einmal Alarmglocken."

    Denn eine Kreuzung könnte noch konkurrenzfähiger sein als die vier bisherigen Grundelarten - und der heimischen Fischfauna das Wasser noch stärker abgraben. Das Urteil des Ökologen deshalb:

    "Die Grundeln - ich würde sagen - sind eine Bedrohung für die Biodiversität am System."

    Wie viele andere fremde Arten auch fanden die Grundeln ihren Weg in den Rhein durch den Rhein-Main-Donau-Kanal. Ihre Invasion wurde dabei durch Binnenschiffe begünstigt, wie Jost Borcherding und andere Experten heute zu wissen glauben:

    "Es gibt eine erste Analyse, die wird gerade veröffentlicht, von unseren tschechischen Kollegen, die nachweisen konnten, dass die sprunghafte Ausbreitung in Wellen gegangen ist. Und dass diese Wellen etwas zum Beispiel mit dem Balkankrieg zu tun haben. Also Serbien, Kroatien, wo einfach über zehn Jahre überhaupt kein Schiffsverkehr eben auf der Donau möglich war. Und in dieser Phase gab's auch keine Ausbreitung."

    Dazu muss man wissen: Grundelweibchen kleben ihre Eier nicht nur an Steine im Wasser, sondern auch an Schiffsrümpfe. Als blinde Passagiere überbrücken sie dann schnell große Entfernungen, bewacht übrigens vom Grundelmännchen ...

    "Barsch, 53. Barsch, 52." "Den Gründling nehmen wir mit, der kommt in Alkohol."

    Einheimische Raubfische wie Hecht und Zander vermehren sich in Altrhein-Armen und Flussauen. Ihr Nachwuchs wird dort groß. Diese Nebengewässer sollten wieder dauerhaft mit dem Rhein verbunden werden, empfehlen die Kölner Ökologen:

    Borcherding: "Und dann kommen sie in den Rhein, und dann sind sie gut genährt. Und dann sind die Grundeln keine Konkurrenz mehr, dann sind sie nur noch Beute. Das ist das, was wir gegen die Grundeln machen können."

    "Oohhh!" "Wir haben gerade einen Hecht gefangen!" "... war gerade ein Hecht mit drin." "Jetzt in den vier Jahren, wo ich hier fische, ist das das zweite Mal."