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Grundgesetz des Reiches

Das Gesetzeswerk "Die Goldene Bulle" sollte dem Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation eine Verfassung geben. Doch als das von Kaiser Karl IV. initiierte Reformwerk nach wochenlangen Verhandlungen endlich fertig war, enttäuschte das Ergebnis viele. Und trotzdem überdauerte das Verfassungswerk 400 Jahre. Vor 650 Jahren verkündete Karl IV. die "Goldene Bulle".

Von Christian Berndt | 10.01.2006
    Am 10. Januar 1356 ist Nürnberg im Ausnahmezustand. Karl IV. verkündet feierlich ein Gesetzeswerk, das man später das "Reichsgrundgesetz" des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation nennen wird. Doch die Stimmung auf dem Reichstag von Nürnberg ist wenig festlich, selbst der Kaiser zieht kurz nach der Proklamation wieder ab. Wochenlange zähe Verhandlungen zwischen Kaiser und Kurfürsten haben die Atmosphäre abgekühlt. In seiner Vorrede zur ersten deutschen Verfassung, wegen ihres Goldsiegels später "Goldene Bulle" genannt, spart Karl auch nicht mit Seitenhieben auf die Fürsten:

    "Sprich neidischer Satan, hast das christliche Kaisertum mit dem alten Gift besudelt. Wie eine Schlange mit frevelhafter Bosheit, um das ganze Gebäude zum Einsturz zu bringen, hast Du unter sieben Kurfürsten des heiligen Reiches mannigfache Uneinigkeit gestiftet. Um der schmählichen Uneinigkeit und den aus ihr erwachsenen Gefahren den Zugang zu verschließen, haben wir die hiernach geschriebenen Gesetze kraft kaiserlicher Machtvollkommenheit erlassen."

    Die Rolle der Kurfürsten ist der Kern der Verfassung. Das deutsche Reich ist keine Erbmonarchie wie Frankreich oder England, hier wird der König von den Kurfürsten gewählt. Die Folge ist ein hohes Maß an Instabilität. Der Kaiser will diesen Zustand permanenter Machtkämpfe um die Spitze des Reiches beenden. Als Kind von seinem Vater an den französischen Königshof geschickt, hat Karl eine hervorragende Ausbildung genossen, als erster Herrscher seiner Zeit schreibt er eine Autobiografie. Von seiner Kanzlei lässt er ein Reformwerk ausarbeiten, in dem die Thronfolge endgültig geregelt und das Verfahren der Königswahl bis ins kleinste Detail festgelegt wird:

    "Wenn nun die Kurfürsten ihren Eid geleistet haben, sollen sie zur Wahl schreiten und fortan die genannte Stadt Frankfurt nicht verlassen, bevor die Mehrzahl von ihnen der Welt oder Christenheit ein weltliches Oberhaupt gewählt hat, nämlich einen römischen König und künftigen Kaiser. Falls sie dies jedoch binnen dreißig Tagen noch nicht getan haben, sollen sie forthin nur Brot und Wasser genießen und keinesfalls aus besagter Stadt weggehen."

    In den Verhandlungen um die Königswahl ist man sich schnell einig. Ein Triumph der geschickten Diplomatie Karls ist die stillschweigende Absage an das Mitspracherecht des Papstes. Ganz nebenbei wird damit ein jahrhundertealter Konflikt beerdigt. Andere Ziele erreicht Karl nicht zuletzt durch Bestechung. Wie kein anderer Herrscher seiner Zeit setzt er Geld als Machtmittel ein. Der Chronist Matthias von Neuenburg schreibt:

    "Da König Karl also seine Feinde erkauft hatte, da fuhr er von einer Stadt zur anderen und ward da recht empfangen als König. Doch er hatte so viel ausgegeben und sich so verausgabt, dass er arm ward, dass ihm in manchen Städten die Wirte nichts borgen wollten, wenn er ihnen nicht Pfand oder Bürgen gab."

    Die Pläne für einen weiteren Ausbau der Zentralmacht kann Karl allerdings nicht durchsetzen. Stattdessen wird die Territorialmacht der Fürsten gestärkt. Und auch Karl setzt rigoros Privilegien für sein eigenes Land Böhmen durch, was ihm später verübelt wird. In einem Historienbuch von 1475 heißt es:

    "Dies auch befleckte seinen Namen nicht wenig, dass er Wenzel, den ältesten seiner Söhne, noch zu Lebzeiten zu seinem Nachfolger im Reich zu machen versuchte, und dies durch Geld. Als er dies nicht bar erlegen konnte, verpfändete er ihnen die öffentlichen Zölle des Römischen Reichs. Daher kommt es, dass die Macht des Reiches zunichte gemacht ist, und danach konnte das Reich nie mehr sein Haupt erheben."
    Diese Ansicht hat lange Zeit das Bild von Karls Politik und der "Goldenen Bulle" geprägt. Besonders im 19. Jahrhundert beurteilten Historiker das "Reichsgrundgesetz" abschätzig, weil es durch die Stärkung der Territorialfürsten eine Einigung des Reiches verhindert habe. Doch Voraussetzungen einer Reichseinigung gab es kaum, für einen zentral regierten Staat war das Reich viel zu groß. Die "Goldene Bulle" war zwar kein bahnbrechendes Reformwerk, vielmehr ein Verfassungskompromiss zwischen Kaiser und Fürsten. Aber langfristig wirkte das Gesetzeswerk so stabilisierend, dass es 400 Jahre lang die Existenz des Reiches sicherte. Bis 1806 blieb die "Goldene Bulle" in Kraft, und entwickelte sich im Laufe der Jahrhunderte wirklich zu einem Grundgesetz des deutschen Reiches.