Samstag, 20. April 2024

Archiv

Grundgesetzartikel 3, Absatz 3
Debatte über den Begriff "Rasse" im Grundgesetz

Niemand darf wegen seiner Rasse benachteiligt oder bevorzugt werden, heißt es im Grundgesetz. Kritiker möchten, dass der Satz gestrichen wird, weil man bei Menschen nicht von "Rasse" sprechen kann. Die Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) möchte aber an dem Begriff festhalten.

Von Gudula Geuther | 11.06.2020
Der Artikel 3 des Grundgesetzes zur Gleichheit von Männern und Frauen steht auf einer Platte aus Glas.
Der Artikel 3 des Grundgesetzes, im Absatz 3 wird der Begriff "Rasse" verwendet (picture alliance/dpa/Wolfram Steinberg)
Nach dem Tod von George Floyd gibt es auch in Deutschland eine verstärkte Auseinandersetzung mit Rassismus. Eine Forderung, die die Grünen schon lange erheben, bekommt dabei jetzt breitere Unterstützung: Das Wort "Rasse" soll aus dem Grundgesetz gestrichen werden. Das steht bisher in Artikel 3, dem sogenannten Gleichheitssatz. In Absatz 3 heißt es: "Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden."

Warum ist der Begriff im Grundgesetz überhaupt ein Problem?

Für diejenigen, die das Wort Rasse gestrichen sehen wollen, ist es bezogen auf Menschen schlicht tabu. Weil es für ein Konzept stünde, das damit weiter in den Köpfen der Menschen verankert würde. Nämlich die Vorstellung, dass es überhaupt menschliche Rassen gäbe. Was die Biologie, die Anthropologie betrifft, sind sich tatsächlich Wissenschaftler ganz überwiegend einig, dass das Konzept auf den Menschen nicht passt. Die Unterschiede seien nicht so groß. Die größeren genetischen Unterschiede, die es gebe, liefen gerade nicht entlang der üblichen Unterscheidungskriterien wie etwa der Hautfarbe, sondern innerhalb solcher Gruppen. Das ist ein Punkt – ist es überhaupt sinnvoll, von Rasse zu sprechen.
Das andere sind natürlich die Vorstellungen, die der Begriff mit sich bringt. Jahrzehnte-, jahrhundertelang wurden damit ja auch Vorstellungen des Besser oder Schlechter, der Über- oder Unterordnung verbunden. Und die, die das Wort jetzt gestrichen sehen wollen, die meinen, dass solche Vorstellungen eben weiterhin mit diesem Begriff transportiert würden.
Evolutionsforscher über Rassebegriff - "Nichts anderes als ein gedankliches Konstrukt"
Für einen Rassebegriff gebe es heute keine biologische Grundlage mehr, sagte Martin S. Fischer vom Institut für Zoologie und Evolutionsforschung der Universität Jena, im Dlf. In einer Erklärung fordern Wissenschaftler deshalb, diesen nicht mehr im Zusammenhang mit Wissenschaft zu nutzen.

Und die Begriffe "Rassismus" oder "rassistisch" sind dann nicht problematisch?

Nein, die sind nach ziemlich einhelliger Auffassung nicht problematisch. Weil sie sich gerade abgrenzen von Rasse-Denken, weil in der Kritik am Rassismus auch eine Kritik an der Kategorisierung nach Rasse liegt und das soll durch das Wort Rassismus auch transportiert werden. Nur sind wir da natürlich schon bei einem Problem: Das ist eine Unterscheidung, die setzt schon voraus, dass sich jemand etwas eingehender damit beschäftigt hat. Deswegen nannte etwa Bundesinnenminister Horst Seehofer die Diskussion fein ziseliert, so ein Schritt könne Missverständnisse auslösen, auch aus dem Ausland betrachtet. Soll heißen: Wenn man die Rasse als verbotenen Differenzierungsgrund streicht, könnte das so verstanden werden, als solle nun rassistische Diskriminierung erst ermöglicht werden. So ist das natürlich nicht gemeint. Aber es ist eine komplexe Diskussion.
Dossier: Rassismus
Dossier: Rassismus (picture alliance / NurPhoto / Beata Zawrzel)

Wer ist für die Streichung, wer dagegen?

Dagegen ist die AfD. Entweder es gebe Rassen, sagte Stephan Brandner gestern. Oder es gebe sie nicht, dann gebe es auch keinen Rassismus. Derweil finden sich immer mehr Befürworter einer Streichung.
Die Forderung ist alt, bei Menschenrechtsgruppen. Das Deutsche Institut für Menschenrechte (DIMR) will die Streichung seit über zehn Jahren. Auf europäischer Ebene hat es schon erfolgreiche entsprechende Initiativen gegeben – allerdings auch Texte, die noch mit dem Wort Rasse arbeiten. In Deutschland erheben als Partei die Grünen die Forderung seit langem. Auch die Linkspartei. Wohl neu ist die Zustimmung aus Teilen der FDP, Marco Buschmann etwa, der parlamentarische Geschäftsführer, hat das klar gemacht. Buschmann sagte, die Erwähnung des Begriffs "Rasse" im Grundgesetz diene lediglich der Absage an Rassismus. Besser als eine ersatzlose Streichung wäre aus Buschmanns Sicht aber, von "ethnischer Herkunft" zu sprechen, wegen der niemand diskriminiert werden dürfe.
Und auch SPD-Politiker, darunter Parteivize Serpil Midyatli oder der rechtspolitische Sprecher Johannes Fechner unterstützen das Anliegen. Anderer Ansicht in der SPD ist die Bundesjustizministerin Christine Lambrecht. Sie argumentiert, historisch sei das Merkmal Rasse als Unterscheidungsverbot, als Diskriminierungsverbot, ja gerade als Antwort auf den Rassenwahn des Nationalsozialismus ins Grundgesetz gekommen. Die Väter und Mütter des Grundgesetzes hätten sich das Konzept nicht zu eigen machen wollen, sondern genau das gegenteilige Zeichen setzen wollen. Und auch heute noch sei "Rasse" als sprachlicher Anknüpfungspunkt für "Rassismus" für jeden verständlich.

Wie geht es weiter?

Selbst wenn man das Wort streichen wollte, gibt es verschiedene Verstellungen, ob oder wie es ersetzt werden sollte. Für eine Grundgesetzänderung ist zudem eine Zweidrittelmehrheit nötig. Derzeit scheint das Thema nicht hoch oben auf der Agenda der Großen Koalition zu stehen. Aber die Diskussion ist jetzt breit eröffnet.
An eine beschmierte Wand ist das Wort "Rassismus" gesprüht worden.
Rassismus in der Sprache - Uns fehlen die Worte
Immer wieder werden in unserer Sprache rassistische Begriffe verwendet, oft auch unbeabsichtigt. Wir haben für vieles leider keine Worte, meint unsere Kolumnistin und rät zum Nachfragen.