Dienstag, 19. März 2024

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Grundrenten-Konzept
"Eine Leistungsverbesserung für Rentnerinnen und Rentner"

Die SPD verteidigt im Koalitionsstreit das Grundrenten-Konzept von Arbeitsminister Hubertus Heil gegen Kritik der Union. Was im Koalitionsvertrag stehe, sei "nicht der Weisheit letzter Schluss gewesen", sagte der SPD-Rentenexperte Ralf Kapschack im Dlf. Es gebe bei der Gegenfinanzierung "keine ungedeckten Schecks".

Ralf Kapschack im Gespräch mit Dirk Müller | 23.05.2019
Zwei Rentner sitzen im Schatten des Schlossparks Charlottenburg in Berlin auf einer Bank.
Die SPD hatte mit einem Gesetzentwurf über eine Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung Empörung bei der Union hervorgerufen (picture alliance / Ole Spata)
Dirk Müller: Da rasen zwei Züge aufeinander zu beim Streit um die Grundrente, beim Streit darüber, ob ärmere Rentner künftig finanziell bessergestellt werden sollen - mit staatlicher Hilfe oder mit Steuergeldern oder vielleicht doch mit Mitteln aus den Sozialsystemen (das ist alles noch nicht klar), mit oder ohne Prüfung und Kontrolle der Bedürftigkeit (das ist auch noch nicht klar). Die Union besteht auf dieser Prüfung und die SPD will diese ausdrücklich nicht. Und wie werden die rund vier Milliarden Euro, die der Arbeitsminister dafür haben will, gegenfinanziert? - Die Union will maximal eine Milliarde dafür investieren, wenn wir es bislang richtig verstanden haben. Unversöhnliche Fronten also.
Wollen wir es noch einmal zusammenfassen: Die SPD steht offenbar mit vollen Händen da bei der Finanzierung. Mit einer Finanztransaktionssteuer soll es funktionieren, die es aber noch gar nicht gibt, und mit der Mövenpick-Steuer, die so genannt wird, für Hoteliers, die auch noch völlig in den Sternen steht. Hinzu kommt der Bruch der Koalitionsvereinbarung, denn dort steht drin, dass es eine Bedürftigkeitsprüfung geben wird. Und die ganze Schose nun vor den Wahlen an diesem Wochenende. - Am Telefon ist nun der SPD-Arbeits- und Sozialpolitiker Ralf Kapschack. Guten Tag!
Ralf Kapschack: Hallo!
Müller: Herr Kapschack, warum spielen Sie Foul?
Kapschack: Wir spielen nicht Foul, sondern wir haben unmittelbar nach der Formulierung des Koalitionsvertrages gesagt, dass das, was im Koalitionsvertrag verabredet ist, nämlich eine Grundrente einzuführen und die an eine Bedürftigkeitsprüfung entsprechend der Grundsicherung zu binden, dass das nicht funktioniert, weil da zwei Systeme miteinander verbunden werden, nämlich die Fürsorge (Grundsicherung) und Versicherung (Rente).
Müller: Und mit der Aussage ist das dann kassiert, was im Koalitionsvertrag steht?
Kapschack: Ja! Das war, kann man sagen, vorsichtig formuliert, nicht besonders glücklich.
Müller: Das war ein Fehler der SPD?
Kapschack: Das war ein Fehler der Menschen, die den Koalitionsvertrag an der Stelle ausgehandelt und unterschrieben haben. Das muss man so sagen, ja.
"Nicht glückliche" Formulierung im Koalitionsvertrag
Müller: Also von Ihrer Partei?
Kapschack: Ein Vertrag hat immer zwei Partner.
Müller: Ja! Aber die anderen sind ja nach wie vor dafür. Die haben ja keinen Fehler gemacht, aus deren Sicht.
Kapschack: Sie haben ja eben Herrn Bäumer auch zitiert.
Müller: Der war nicht dabei?
Kapschack: Ja, ich war auch nicht dabei.
Müller: Ich mache Ihnen ja auch nicht den Vorwurf. - Sagen Sie!
Kapschack: Nein, es war nicht glücklich, und ich glaube, dass die, die diese Formulierung ausgehandelt haben, die Tragweite nicht übersehen haben. Die Rentenversicherung hat ja sehr, sehr bald nach dem Bekanntwerden des Koalitionsvertrages gesagt, das geht so nicht, wir können als Rentenversicherung keine Bedürftigkeitsprüfung machen, so wie das bei der Grundsicherung der Fall ist, dass wir Konten, Kontoauszüge prüfen, dass wir Wohneigentum prüfen und und und.
Müller: Aber die Frage ist ja - das wird Ihnen ja vorgeworfen, nicht nur von Seiten der Union -, inwieweit das ein Bruch der Vereinbarung ist.
Kapschack: Ich würde da nicht von Bruch sprechen, sondern ich würde davon sprechen, dass wir vor dem Hintergrund des Koalitionsvertrages mit Ländern, mit Kommunen, mit Rentenversicherung überlegt haben, wie kann man das umsetzen, und wir sind dann zu dem Ergebnis gekommen, so wie es im Koalitionsvertrag steht, geht es nicht. Und ich finde, man kann auch im Laufe der Zeit klüger werden, und wenn man klüger wird, kann man sagen, das was im Koalitionsvertrag steht, ist nicht der Weisheit letzter Schluss und wird nicht dazu dienen, das Problem zu lösen, und darum geht’s ja.
Müller: "Formulierungsanpassung" heißt das bei uns auch manchmal, wenn man Dinge korrigieren muss. - Aber wollen wir vielleicht da auch nicht stehen bleiben.
Kapschack: Okay.
Müller: Sie haben das ja auch eingeräumt, dass das ein bisschen problematisch ist, wie auch immer.
Kapschack: Ja!
Müller: Man kann Politik auch ändern, die man einmal anders formuliert hat.
Kapschack: Genau!
"Eine angebrachte und sinnvolle Finanzierungsalternative"
Müller: Ich glaube, darüber gibt es keine Diskussion. Was viele aber jetzt überrascht hat, auch diejenigen, die nicht so detailliert die ganze Entwicklung verfolgt haben: Da kommt der Finanzminister, da kommt der Arbeitsminister und sagt, jetzt haben wir das Ding stehen, aus SPD-Sicht, wir legen das jetzt vor, die Union braucht im Grunde nur noch zu unterschreiben, und dann geht es um die Frage der Finanzierung, und dann argumentieren sie als Gegenfinanzierung mit der Finanztransaktionssteuer. Gefühlt habe ich die seit 30 Jahren auch schon im Kopf und im Hinterkopf. Gekommen und getan hat sich in dem Punkt noch überhaupt nichts. Wie können Sie mit diesen Milliarden operieren, die noch völlig in den Sternen stehen?
Ralf Kapschack, seit 2013 für die SPD als Abgeordnete im Bundestag.
Der SPD-Bundestagsabgeordnete Ralf Kapschack (Kapschack / S. Knoll)
Kapschack: Es gibt eine konkrete Vereinbarung auf europäischer Ebene, dass im Laufe des nächsten Jahres geklärt werden soll, was mit wem in welchen Mitgliedsländern möglich ist. Und wenn es keine Einigung gibt, dann werden Deutschland und Frankreich einen konkreten Vorschlag machen und auch eine Gesetzesinitiative ergreifen. Insofern sind das keine ungedeckten Schecks, sondern es wird am Ende des nächsten Jahres einen konkreten Vorschlag geben, und da kann man auch in etwa das Finanzvolumen schon abschätzen. Insofern halte ich das durchaus für eine angebrachte und sinnvolle Finanzierungsalternative.
Müller: Ich glaube, das hatte Wolfgang Schäuble vor sieben, acht Jahren so ähnlich formuliert wie Sie jetzt schon.
Kapschack: Ja! Aber die Frage ist - ich meine, ich habe das ja in den vergangenen sechs Jahren verfolgen können, ob Wolfgang Schäuble sich wirklich so intensiv dafür eingesetzt hat wie Olaf Scholz es tut.
Müller: Olaf Scholz setzt sich immer für internationale Steuern ein, nur nicht bei Google und Facebook. Da hat er jetzt im Moment keine Lust zu?
Kapschack: Das ist jetzt eine andere Baustelle.
Müller: Ja, genau. Fällt mir jetzt nur ein, weil Sie sagen, großes Engagement für diese große Steuer. Da kommen wir nicht weiter - oder Sie.
Kapschack: Wollen wir jetzt über Google und Facebook reden, oder wollen wir über die Finanztransaktionssteuer reden?
Abschaffung der Steuer "müsste gerade der FDP sehr recht sein"
Müller: Wenn Sie darauf kurz auch noch eine Antwort hätten, könnten wir dann wieder zur Finanztransaktionssteuer zurückkommen.
Kapschack: Da ist natürlich in der Tat die Frage, wie man das möglichst europäisch einheitlich regelt, weil es macht wenig Sinn, wenn in Deutschland eine Steuer für Google und Facebook erhoben wird, die in den Nachbarländern nicht erhoben wird, und wenn es da nicht Mindeststeuersätze gibt. Darum geht es! Das kann man bedauern. Ich bedauere das zutiefst, dass das so lange dauert. Aber da ist auch Olaf Scholz dabei.
Müller: Aber genau diese Kriterien gelten ja auch bei der Finanztransaktionssteuer. Da geht es ja auch um die Einheitlichkeit, die ja da auch nicht hergestellt ist.
Kapschack: Noch mal: Es wird nicht bis zum Sankt Nimmerleinstag dauern, sondern es wird Ende nächsten Jahres einen konkreten Vorschlag geben. Und wenn das nicht einheitlich möglich ist auf europäischer Ebene, dann werden einige Länder vorangehen, und das halte ich auch für richtig.
Müller: Herr Kapschack, weil Sie so offen mit uns reden, möchte ich das vielleicht jetzt so formulieren. Bis zum heutigen Punkt ist diese angebotene, vorgeschlagene Finanzierung ein ungedeckter Scheck?
Kapschack: Nee, das sehe ich überhaupt nicht. Sie haben ja nur einen Punkt genannt, nämlich die Finanztransaktionssteuer. Dazu habe ich was gesagt. Ein anderer Punkt in dem Vorschlag ist die Abschaffung der sogenannten Mövenpick-Steuer. Das müsste eigentlich gerade der FDP sehr recht sein, denn die kommt ja immer mit dem Bürokratiemonster um die Ecke, wenn es um neue gesetzliche Regelungen geht. Die Einführung der Mövenpick-Steuer, unterschiedliche steuerrechtliche Behandlung von Übernachtung und Verpflegung, …
Müller: Hat sie aber doch eingeführt, die FDP.
Kapschack: Ja, ja! Aber das hat dazu geführt, dass in Hotels immer zwei Rechnungen oder jedenfalls deutlich höherer Aufwand betrieben werden muss. Wir wollen das gerne wieder abschaffen. Dafür gibt es auch zum Beispiel in der Bevölkerung große Zustimmung. Das ist das eine und das andere sind zum Beispiel Gegenfinanzierungen dadurch, dass man eine ungerechte Behandlung von Rentnerinnen und Rentnern abschafft, die jetzt den vollen Krankenkassenbeitrag zahlen müssen, aber keinen Anspruch auf Krankengeld haben.
"Das ist schon gut ausgerechnet und gut gegenfinanziert"
Müller: Herr Kapschak, sagen Sie uns noch einmal, weil Sie sagen, das ist kein ungedeckter Scheck. Diese Mövenpick-Steuer, wollen wir das mal so zusammenfassen, wenn Sie das ändern, diesen Mehrwertsteuersatz hochheben - dann wird es übrigens auch wieder teurer für die Kunden, aber davon jetzt mal abgesehen -, wie viel bringt das?
Kapschack: Das bringt zwischen fünf und 700 Millionen.
Müller: Dann bleiben nur noch 3,3 Milliarden übrig.
Kapschack: Ja! Dann gibt es wie gesagt Einnahmen aus der Finanztransaktionssteuer. Das ist eine deutlich höhere Summe. Es gibt die Gegenfinanzierung, von der ich eben einen Punkt genannt habe, zum Beispiel über geringere Krankenkassenbeiträge, was Einsparungen bei der gesetzlichen Rentenversicherung bedeuten würde. Wir wollen auch dafür sorgen, dass Menschen, die arbeitslos sind, die Arbeitslosengeld eins beziehen, nicht Hartz IV, sondern Arbeitslosengeld eins, dass die in der Rente besser abgesichert sind. Das würde auch dazu führen, dass es höhere Einnahmen bei der Rentenversicherung gibt. Da kommt eins zum anderen. Das ist schon gut ausgerechnet und gut gegenfinanziert.
Müller: Kein Griff in die Sozialsysteme? Kein Griff in die Sozialkasse?
Kapschack: Nein, überhaupt nicht!
Müller: Auf keinen Fall?
Kapschack: Nein! Das ist eine Leistungsverbesserung für Rentnerinnen und Rentner, die geringeren Krankenkassenbeitrag zahlen und gleichzeitig davon entlastet werden, dass sie Beiträge zahlen für Leistungen, die sie gar nicht in Anspruch nehmen können, nämlich für Krankengeld.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.