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Grundschule
Mit dem Anwalt zum Ziel

Die zugewiesene Grundschule für ihre Kinder wollen viele Eltern nicht akzeptieren. In Berlin gehen sie besonders oft gerichtlich vor, um einen Platz an einer anderen Schule zu bekommen. Anwälte helfen bei der Suche nach Formfehlern, die Schulämter bei der Vergabe machen - aber das ist nicht billig.

Von Dominik Schottner | 02.05.2018
    Schüler einer dritten Klasse einer Grundschule in Prenzlau in Brandenburg sitzen vor einer Tafel.
    In Berlin versuchen Eltern besonders häufig, ihren Kindern einen Platz an der gewünschten Grundschule per Anwalt zu besorgen (picture alliance / Patrick Pleul/dpa-Zentralbild/ZB)
    André Winzer ist einer von den neuen Vätern. Engagiert, aber sanft im Ton, klare, nachvollziehbare Vorstellungen: "Eigentlich ging es uns nur darum, eine gute Bildungschance für unsere Tochter zu erkämpfen. Aber am liebsten hätten wir gar nicht gekämpft."
    Drei Jahre ist das her. Damals wie heute wohnen die Winzers im wuseligen Reuterkiez im Norden Neuköllns, die zugewiesene Grundschule nur 500 Meter entfernt. Der Weg dorthin wäre über die vierspurige Sonnenallee gegangen - ein Unfall-Schwerpunkt Berlins.
    "Und bei der Elternversammlung wurde mir eine Schule vorgestellt mit weit über 20 Schwerpunkten, mit Tanzen - da wurde alles angeboten. Aber ich hatte eben das Gefühl, dass die Lehrer das alles gar nicht vertreten."
    Also begannen André Winzer und seine Frau, nach Alternativschulen zu suchen - und fanden eine im Süden Neuköllns, fast vier Kilometer von ihrer Wohnung entfernt. Trotz der Probleme, die die Distanz mit sich bringen kann, stellten sie einen Gastschulantrag - und gingen zum Anwalt.
    Vergabeverfahren für Schulplätze unbefriedigend
    "Der hat uns erst mal klargemacht: Wenn Sie einen Einspruch formulieren, brauchen Sie eine Einspruchsgrundlage. Das bedeutet, Sie müssen zumindest sagen können, was an dem Verfahren schiefgegangen ist. Das können Sie allerdings nicht sagen, weil sie ja nicht die Aktenlage kennen. In die Akten dürfen Sie aber auch nicht reinschauen, weil sie ja kein Anwalt sind."
    Olaf Werner ist so ein Anwalt. Einziges Rechtsgebiet des 49-Jährigen: Schulrecht. Werner sieht sich als Lotse durch das Berliner Schulsystem: "Es kommen viele Eltern zu mir, die im September eine Beratung haben möchten, was man bei der Schulanmeldung beachten sollte. Das ist sinnvoll, wenn man noch gar nicht festgelegt ist, welche Schule es eigentlich sein soll."
    Mehr als 300 Fälle betreut Werner jedes Jahr, ein Fünftel davon geht vors Verwaltungsgericht. Damit ist Werner einer der umtriebigsten in einem umtriebigen Rechtsgebiet. Eine Umfrage des Deutschlandfunks bei allen Verwaltungsgerichten in Deutschland zeigt: Im Jahr 2017 wurden in ganz Deutschland mindestens 438 Schulplatzklagen und –eilverfahren angestrengt, mehr als doppelt so viele wie 2016 und immer noch 100 mehr als im Boomjahr 2014. Über die Gründe kann Olaf Werner nur mutmaßen: "Es ist ein Angebot da, das ich den Eltern mache, das ja auch auf eine unbefriedigende Situation stößt."
    In Berlin wird besonders oft geklagt
    Und zumindest in Berlin ist die Situation die: Das Vergabeverfahren für Schulplätze ist für viele Beteiligte unbefriedigend und nervenzehrend. Zwar werden die Gastschulplätze nicht mehr von den Schulen, sondern den Schulämtern per Los vergeben werden - bei Elternabenden finden sich trotzdem immer Eltern, die sich in der Hoffnung, für ihre Kinder damit einen Schulplatz zu sichern, den Schulleiterinnen und Schulleitern andienen. Dabei, sagten einige von ihnen dem Deutschlandfunk, bringe das nichts, und das werde den Eltern auch klar mitgeteilt. Am Ende kommen also dann Anwälte wie Olaf Werner ins Spiel. Und suchen nach Formfehlern, die die Schulämter bei der Vergabe machen.
    "Je länger man wühlt und tiefer man bohrt, umso größer ist die Chance, da drin irgendwas zu finden, was man so, streng genommen, nicht hätte durchführen dürfen."
    In Berlin ist das häufiger der Fall als im Rest der Republik: Seit 2012 gingen rund zwei Drittel aller deutschen Schulplatzverfahren am örtlichen Verwaltungsgericht ein. Und das trotz hoher Kosten: Mit 400 bis 3.000 Euro sollten Eltern rechnen, je nach Anwalt und Leistung. Ein Betrag, den die wenigsten Familien einfach so ausgeben können, nicht nur in Berlin.