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Guantanamo den Kubanern?

Wenige Stunden nach seinem Amtsantritt ordnete US-Präsident Barack Obama die Schließung des umstrittenen Gefangenenlagers Guantanamo auf Kuba an. Die Bucht Guantanamo Bay könnte dann wieder an die Regierung in Havanna zurückgegeben werden. Damit würde eine ruhmlose Geschichte einen verdienten Abschluss finden.

Von Volker Skierka | 31.01.2009
    "Guantanamo wird es geben, solange es uns und unseren Verbündeten im Krieg gegen den Terror von Nutzen ist."

    General Geoffrey Miller, der prominenteste und umstrittenste unter den einstigen Kommandanten des Gefangenenlagers auf der amerikanischen Marinebasis im Osten der Insel Kuba, sollte sich in seiner Prognose irren.

    Sieben Jahre lang führte "Guantanamo" die Hitparade der innen- und außenpolitischen Skandale des vorigen US-Präsidenten George W. Bush an und ruinierte den Ruf der Vereinigten Staaten als Rechtsstaat.

    Jetzt bereitete sein Nachfolger Barack Obama dem mit einem präsidialen Dekret ein Ende. Er löste sein Wahlversprechen ein und wies das Militär und die Geheimdienste seines Landes an, den Gulag der Vorgänger-Regierung Bush-Cheney innerhalb eines Jahres zu schließen.

    Das Gefangenenlager war nach den Anschlägen vom 11. September 2001 und dem Sturz der radikalislamischen Taliban-Regierung in Afghanistan eingerichtet worden. In einer Aufsehen erregenden Rede warf Lord Johan Steyn als einer der zwölf höchsten Richter Großbritanniens der mächtigsten Demokratie der Welt daraufhin vor, sie habe hier hunderte verdächtiger Mitläufer der Taliban in einem "juristischen schwarzen Loch" verschwinden lassen. Weiter sagte Lord Steyn:

    "Indem man die Gefangenen auf Guantanamo Bay festhält, sollen sie außerhalb des Gesetzes gestellt, dem Schutz ordentlicher Gerichte entzogen und der Willkür der Sieger ausgeliefert werden. Das hier herrschende Regime verbietet nicht die Anwendung von Gewalt, um Geständnisse von Gefangenen zu zwingen. Als Jurist, der gelernt hat, die Ideale der amerikanischen Demokratie wertzuschätzen, kann ich dieses nur noch als ein monströses Scheitern der Gerechtigkeit ansehen."

    Fünf Mal am Tag übertönt der Ruf des Muezzin zum Gebet vom CD Player das Meeresrauschen, welches das von einer Hügelkette umgebene, in einer ausgedehnten Mulde über den Klippen zur karibischen See gelegene Lager einhüllt. Vollkommen surreal erscheint der Anblick der kalt in der Sonne glänzenden, von hohen, stacheldrahtbewehrten Metallzäunen eingefassten, modernen Stahlkäfige und die darüber schwebende, bedrohliche Atmosphäre eines gnadenlosen Militärregimes gegenüber den über Tausende von Kilometern hierhergeschafften Häftlingen in ihren orangefarbenen Overalls.

    "Welcome in Camp Delta."

    Der wie blanker Hohn klingende Willkommensgruß des Offiziers gilt allen - Besuchern wie neu eingelieferten Häftlingen. Einer der knapp fünf Jahre ohne Prozess hier neben Hunderten anderer einsaß, war der im Oktober 2001 aus einem Bus in Pakistan herausgeholte Deutsch-Türke Murat Kurnaz aus Bremen. In einem Buch hielt er seine Erinnerungen fest an das Leben in den der nach allen Seiten offenen, auch des Nachts hell erleuchteten Drahtgitterkäfigen fest. Sie zeugen von jahrelanger lebensbedrohlicher Willkür, Erniedrigung, Isolationshaft, Prügel und Folter.

    "Das Erste, was General Miller anordnete, war die 'Operation Sandmännchen'. Das bedeutete, dass wir alle ein bis zwei Stunden in eine neue Zelle verlegt wurden. Das Ziel der Operation war, dass wir überhaupt keinen Schlaf mehr fanden."

    Dabei hatte General Miller die Anwendung von Folter nachhaltig bestritten.

    "Wir wenden nur Verhörmethoden entsprechend unserem Vernehmungshandbuch an, also ausschließlich erlaubte Techniken. Wir wenden weder Schlafentzug noch physische Techniken an. Um offen zu sein, die brauchbarsten Ergebnisse erzielen wir, indem wir vom gewöhnlichen Verhör zu einer Art Konversation übergehen. Das ist eine echte Kunst."

    Aber nicht nur Menschenrechtsorganisationen und Bürgerrechtler, auch das Internationale Rote Kreuz und eine Expertenkommission der Vereinten Nationen kamen zu gegenteiligen Erkenntnissen und kritisierten, dass die USA auf Guantanamo die Kriegsgefangenen-Regeln der Genfer Konvention missachteten.

    Auch Agenten des amerikanischen FBI, die in Camp Delta arbeiteten, beschwerten sich über die Verhörmethoden und die Behandlung der Häftlinge. Eine daraufhin eingeleitete interne Untersuchung des Militärs empfahl daraufhin sogar disziplinarische Konsequenzen gegenüber Miller, einem treuen Gefolgsmann des umstrittenen ehemaligen Verteidigungsministers Donald Rumsfeld. Das aber wussten höchste Stelle zu verhindern. Miller war sich keiner Schuld bewusst, stießen doch die bei den Verhören in Guantanamo gewonnenen Erkenntnisse auf reges Interesse auch bei den Verbündeten.

    "Es gibt eine ganze Reihe von Ländern, die vier-, fünf-, sechsmal im Monat hierher kommen, um uns bei unseren Bemühungen hier zu helfen. Auch Deutschland war hier."

    Und was hat das Ganze am Ende gebracht, außer einem Wirklichkeit gewordenen Alptraum und einem gewaltigen Kollateralschaden an Vertrauensverlust für die westlichen Demokratien? Vielleicht ein paar Geheimdiensterkenntnisse zum Preis von Hunderten von Millionen Dollar an Kosten. Die vollmundig angekündigten Gerichtsverfahren gerieten zu einer juristischen Farce. Selbst Ankläger des Militärs legten unter Protest ihr Amt nieder. 2000 Häftlinge wollte die Regierung Bush hier einst wegschließen, es wurden kaum jemals mehr als 700, derzeit sind es gerade noch 240. Guantanamo wurde zum Synonym eines einzigartigen politischen, juristischen und moralischen Scheiterns einer Weltmacht. Auch wenn General Miller dies anders sah:

    "Ich bin stolz auf alles, was in Camp Delta passiert."

    Doch Miller, der nach Guantanamo Abu Ghraib übernahm und von seiner Generalskollegin Janis Karpinski beschuldigt wurde, er habe seine Methoden aus Guantanamo in den Irak gebracht, lebt längst im vorzeitigen Ruhestand. Die 117 Quadratkilometer große, zur Hälfte aus Wasser und Sumpfland bestehende Marinebasis Guantanamo wird dann wohl wieder jenem Dornröschenschlaf anheimfallen, aus dem Präsident Bush sie vor sieben Jahren wachrüttelte.

    Bevor das Gefangenenlager hier eingerichtet wurde, hatte der Stützpunkt, den die USA im Jahre 1903 dem gerade aus der spanischen Kolonialherrschaft befreiten Kuba abgepresst haben, schon längst keinerlei militärische Bedeutung mehr, wie dessen Kommandant Navy-Captain Leslie McCoy verriet:

    "Wir haben hier eigentlich nur noch politisch Flagge gezeigt und dafür gesorgt, dass die Lichter nicht ausgehen."

    Vielleicht aber ist durch das Ende des Gefangenenlagers auch das Schicksal des gesamten Marinestützpunktes besiegelt. Kuba verlangt seit dem Sieg der Revolution Fidel Castros im Jahre 1959 die Rückgabe des Geländes. Doch besagt der völkerrechtlich fragwürdige Vertrag, dass beide Seiten einer Kündigung zustimmen müssen.

    Da aber der neue US-Präsident Obama die unter der Bush-Regierung notleidend gewordenen Beziehungen zu Lateinamerika wiederherstellen und das Verhältnis zu Kuba verbessern will, ist es nicht ausgeschlossen, dass er das tut, was vor ihm schon John F. Kennedy und andere Präsidenten erwogen haben: Guantanamo Bay den Kubanern zurückgeben. Militärisch wertlos ist der Stützpunkt nämlich nur noch teuer. Dann würde hier eine über 100-jährige, ruhmlose Geschichte einen verdienten Abschluss finden.