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Guatemala
Kampf gegen Korruption und Straflosigkeit

In Guatemala herrscht Aufbruchsstimmung. Die wochenlangen Proteste der Bevölkerung haben Wirkung gezeigt und Präsident Otto Pérez Molina zum Rücktritt gezwungen. Wegen Korruption wird nun gegen ihn ermittelt. Die Demonstranten wollen mit ihrem Kampf trotzdem weitermachen. Das Grundübel Guatemalas sitzt nämlich viel tiefer.

Von Anne-Katrin Mellmann | 05.09.2015
    Perez wird von Polizisten abgeführt.
    Der zurückgetretene Präsident Guatemalas, Pérez, muss in Untersuchungshaft. (dpa / picture-alliance / Esteban Biba)
    Aufruhr mit erstem Erfolg im kleinen Guatemala: Der verhasste Präsident Otto Pérez Molina ist zurückgetreten und muss sich vor Gericht verantworten: wegen Korruption. "Wir haben genug davon, dass sich unsere Politiker die Taschen füllen, während in den öffentlichen Krankenhäusern Menschen sterben, weil es kaum Medikamente gibt. Raus mit euch Dieben!" schimpft die 21-jährige Studentin Silvia.
    Menschen, die normalerweise wenig gemeinsam haben, haben sich über Wochen regelmäßig zum Protest vor dem Nationalpalast getroffen: Indigene in Trachten, Anzugträger mit Smartphones, Studentinnen in Jeans und T-Shirt – sie stehen friedlich zusammen gegen Korruption und Straflosigkeit. Das seien die Grundübel der guatemaltekischen Gesellschaft, meint der Architekt Fernando Diaz: "Es ist wichtig, zu wissen, dass wir Guatemala sehr lieben. Darum wollen uns ändern, wollen unser Land verändern. Die Korruption muss verschwinden, da wären wir gern Vorbild für andere Länder."
    Zehn Stunden mit dem Bus angereist ist die indigene Bäuerin Francisca Jiménez: "Wir haben die Armut satt. In den Krankenhäusern gibt es keine Medizin mehr für unsere Kinder. Für sie sind wir hergekommen und kämpfen. Außerdem wollen wir nicht mehr, dass sie das Gold aus unserer Erde herausholen. Damit verschmutzen sie unseren Lebensraum."
    Ein historischer Moment: Kurz vor der Präsidentenwahl herrscht Aufbruchsstimmung in Guatemala. Auch historisch: Das Land schickt erstmals einen Film ins Rennen um die Oscars. "Ixcanul" heißt er, thematisiert werden die Probleme der indigenen Bevölkerung. Regisseur Jayro Bustamante hat damit im Frühjahr schon auf der Berlinale einen silbernen Bären gewonnen. "Ich bin sehr froh, über das, was gerade in meinem Land passiert. Angst habe ich allerdings auch, aber das ist wohl normal, wenn sich der Horizont neu färbt. Wenn wir es schaffen, alles Alte abzustreifen, dann werden unsere wahren inneren Werte zum Vorschein kommen. Wir sind ein sehr starkes Volk, haben das nur noch nicht gemerkt. Mein Film spielt an einem unserer Vulkane. Das ist sehr symbolisch: Wir Guatemalteken tragen schon lange brodelnde Lava in uns. Jetzt gibt es Eruptionen! Wie gut ist das!"
    Rechtsstaat statt Straflosigkeit - eine Sensation
    Ausgelöst haben diese Ausbrüche die Recherchen der UN-Kommission gegen Straflosigkeit in Guatemala, CICIG. Die arbeitet seit einigen Jahren trotz aller Widerstände. Sie fand heraus, dass eine Zollmafia direkt aus dem Präsidentenpalast gesteuert wurde. Korruption bis in die Staatsspitze, das ist nicht neu. Aber dass eine entschlossene Generalstaatsanwältin den Mut hatte, tatsächlich zu ermitteln, das ist ohne Beispiel. Thelma Aldana sorgte für die Inhaftierung der zurückgetretenen Vizepräsidentin und forderte den Rücktritt des Präsidenten Perez Molina.
    Ohne Aldana wäre der Fall wie viele zuvor im Sande verlaufen. Sie hat der korrupten Politikerkaste, die eng verbunden ist mit Militärs und Unternehmern, den Kampf angesagt. Angst habe sie nicht. "Ich bin entspannt und zufrieden mit unserer Arbeit. Ich glaube, dieses Erwachen der Zivilgesellschaft war dringend nötig. Die Bürger fordern jetzt ein Land ohne Korruption, ein Land mit Transparenz. Vielleicht ist das, was ich tue, nur wenig, um Guatemala zu verändern. Ich habe einfach so objektiv wie möglich gearbeitet und absolut unabhängig. Für mich zählen nur die Gesetze."
    Rechtsstaat statt Straflosigkeit - das ist schon eine Sensation. Denn gekaufte Richter und Staatsanwälte waren bislang die Regel. So konnte etwa Ex-Diktator Efrain Rioss Montt trotz Verurteilung wegen Völkermords an Indigenen immer wieder seinen Kopf aus der Schlinge ziehen. Das trägt zur Wut der Bevölkerung bei.
    "Das eigentliche Problem Guatemalas sitzt im Kongress"
    Bislang war der Protest vor dem Nationalpalast wie ein Volksfest. Auf selbst gebastelten Transparenten steht: "Guate despertó", Guatemala ist erwacht. Viele Karikaturen von Politikern sind zu sehen, auch von aktuellen Präsidentschaftskandidaten denn die spiegeln das Erwachen der Gesellschaft nicht wider. Aus der Protestbewegung ist noch keine politische Kraft hervorgegangen. Angetreten sind unter anderem eine Ex-Präsidentengattin, ein Komiker, ein unter Korruptionsverdacht stehender Unternehmer. Im Parlament sitzen Abgeordnete verschiedener Parteien, die sich inhaltlich kaum unterscheiden. Innerhalb einer Legislaturperiode mehrmals die Partei zu wechseln, ist üblich - nicht aus inhaltlichen Gründen, sondern aus finanziellen.
    Solange das so sei, hätten Wahlen wenig Sinn, meint der Erzbischof von Guatemala-Stadt Oscar Julio Vian Morales: "Das eigentliche Problem Guatemalas sitzt im Kongress: Wir wählen diese Leute, ohne zu wissen, wer sie sind. Weil man die Partei wählt und nicht die Köpfe. Manchmal kommen so Abgeordnete ins Parlament, die schon fünf Mal dabei waren. Wir nennen sie Dinosaurier. Die machen ihre Geschäfte weiter, unter der Hand, profitieren davon, Abgeordnete zu sein. Sie bremsen die politische und soziale Entwicklung Guatemalas!"
    Erzbischof Morales hat sein Büro direkt neben dem Nationalpalast und damit die Kundgebungen immer im Auge. Sie könnten der Beginn einer tief greifenden Veränderung Guatemalas sein. Wenn der Sieger der anstehenden Wahl umsetzt, was die Bürger fordern: Korruption und Straflosigkeit endlich wirksam bekämpfen. Nicht nur im Präsidentenpalast.