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Guatemala
Yoga zwischen Armut und Satan

Viele westliche Touristen reisen nach Guatemala, um traditionelle Heiler oder ein Yoga-Retreat zu besuchen. Von der Armut im Land bekommen die Wellness-Urlauber nicht viel mit - und auch nicht von den Pfarrern, die vor dem Teufel warnen.

Von Sonja Beeker | 10.04.2018
    Yogalehrer und Reikimeister sitzen auf einer Terrasse am und nehmen am "Mayan Abdominal Massage"-Kurs teil. Im Hinterggrund ist der Vulkan Atitlan in Guatemala zu sehen.
    Yogalehrer und Schüler sitzen auf einer Terrasse am und nehmen am "Mayan Abdominal Massage"-Kurs teil - im Hintergrund der Vulkan Atitlan in Guatemala (Sonja Beeker)
    Sonntagmorgen, kurz nach 9. Unter einem Dach aus Palmwedeln bemühen sich zehn Yogaschüler, allesamt westliche Touristen, den Anweisungen der australischen Lehrerin Mia zu folgen. Mias Kurs ist nur einer von vielen. Wer will, kann von Yogazentrum zu Yogazentrum hüpfen und den ganzen Tag nichts anderes machen.
    Zur gleichen Zeit findet in der Kirche am Marktplatz von San Marcos La Laguna ein katholischer Gottesdienst statt. Die Kirche ist bis auf den letzten Platz belegt, die Gemeinde, allesamt Angehörige der Maya, hat sich herausgeputzt, die Männer tragen dunkle Anzüge, die Frauen ihre traditionellen Trachten aus bunten Webstoffen.
    "Einer der Priester spricht ständig vom Satan"
    Knapp die Hälfte der Bevölkerung Guatemalas ist römisch-katholisch. Ein gutes Drittel gehört protestantischen Kirchen an, viele davon evangelikal. Touristen machen in der Regel einen großen Bogen um die christlichen Kirchen in San Marcos la Laguna, sagt Jason Berube. Jason beschäftigt sich mit den Mythen und den Symbolen untergegangener Kulturen - und er ist Musiker. Seit zehn Jahren reist er regelmäßig von Boston im US-Bundesstaat Massachusetts nach San Marcos.
    "Schon morgens früh um sechs beschallen sie dich über Lautsprecher und predigen Angst. Einer der Priester spricht ständig vom Satan. Irgendwann werde ich ihn aufnehmen und einen Black-Metal-Song draus machen."
    Jason Berube sitzt in einem Cafe mit Blick auf den Atitlan-See und die Vulkanlandschaft und beginnt den Tag mit einem Glas Kombucha. Die ursprüngliche Kultur der Maya, sagt er, werde von der Kirche noch immer nicht akzeptiert.
    "Die Inquisition hat hier nie aufgehört. Sie verbrennen hier niemanden mehr auf dem Scheiterhaufen, aber sie warnen Dich, wenn Du nicht zur Kirche kommst: Dann wirst Du in der Hölle schmoren!"
    "Früher lief alles über die Kirche"
    Die gutbesuchten Sonntagsgottesdienste können jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Kirche in San Marcos seit Jahren an Einfluss verliert. Sie ist nicht mehr die Anlaufstelle für alle Belange. Einer der Gründe dafür ist die wachsende Zahl der Touristen, die wegen der zahllosen spirituellen Angebote in den kleinen Ort reisen.
    Gut zwei Millionen besuchen Guatemala jedes Jahr. Die meisten davon machen auch einen kurzen Zwischenstopp am Vulkansee Atitlan. Dadurch entstehen Jobs und der Maya-Gemeinde bietet sich erstmals eine Alternative zur Kirche als Arbeitgeber und als einziger Anlaufstelle für eine warme Mahlzeit.
    "Viele Maya sprechen nur Cakchiquel oder Quiché. Jetzt können sie in der neuen Schule umsonst Englisch und Spanisch lernen. So können sie Geschäfte eröffnen und Geld verdienen. Auch das lief früher alles über die Kirche."
    "Ich bin froh, mein Wissen teilen zu können"
    Das Interesse der Touristen an der ursprünglichen Kultur der Maya ist groß. Kakaozeremonien sind für die meisten Reisenden ein Muss, ebenso die traditionelle Unterleibs-massage der Maya. Reikimeister, Yogalehrer und Massagetherapeuten aus der ganzen Welt kommen nach San Marcos La Laguna, um bei Donna Dominga, einer Angehörigen der Maya, in die Schule zu gehen.
    Mariu Gobatto: "Ich möchte, dass Ihr Euch gut anseht, wie sie arbeitet, die Art, wie sie berührt, ihre Präsenz. Das ist es, worauf es ankommt. Es gibt keine konkrete Technik."
    Donna Dominga ist eine zierliche kleine Frau. Sie sitzt auf einem Stuhl vor ihren Schülern und stellt sich ihrer Klasse vor.
    "Ich bin sehr glücklich, hier zu sein. Mein Herz ist offen. Ich bin froh, mein Wissen teilen zu können. Ich danke Jesus und der Jungfrau Maria, dass ich diese Gabe erhalten habe."
    Hebamme Donna Dominga gibt einer Kursteilnehmerin eine Mayan Abdominal Massage
    Hebamme Donna Dominga bei einer Mayan Abdominal Massage (Sonja Beeker)
    Alles nur fürs Geld?
    Neun wissbegierige Kursteilnehmer hängen an den Lippen der kleinen Frau. Sie spricht leise und schaut immer wieder ein wenig nervös in Richtung Ausgang. Mariu Gobatto, die den Kurs leitet und organisiert hat, erklärt der Gruppe, was es damit auf sich hat.
    "Alle Maya-Heiler sind so. Sie versuchen, ihre Arbeit zu schützen, und gehen mit ihrer Gabe nicht hausieren. Außerdem ist das hier ein kleines Dorf. Hier wird viel geredet. Viele Leute werfen ihr vor, mit den Gringos unter einer Decke zu stecken. Alles nur fürs Geld."
    Es hat Mariu Gobatto Jahre der Überzeugung gekostet, bis Donna Dominga sich bereit erklärte, ihr Wissen in Kursen weiterzugeben. Die 33-Jährige lebt seit sieben Jahren in San Marcos La Laguna. Obwohl in Guatemala geboren, ist sie für die Leute hier eine Gringa, eine aus der Gemeinde der New-Age-Esoteriker.
    "Der Spiritualitätszirkus ist mir manchmal zu viel"
    Dieser Gruppe stehen die Einheimischen gegenüber – meist Maya, die stark geprägt sind von der katholischen Kirche. Dazwischen ein paar Einheimische, die in beide Richtungen ihre Fühler ausstrecken, die ihre kirchlichen Wurzeln behalten und gleichzeitig Geld bei den Sinnsuchern aus aller Welt verdienen wollen.
    Mariu Gobatto: "Einerseits ist es gut: Der Tourismus bringt Arbeit und damit ein Einkommen, absolut. Andererseits: Der Spiritualitätszirkus ist mir manchmal auch einfach zu viel."
    Zu viel Namaste und zu wenig Einfühlungsvermögen für die Anwohner von San Marcos.
    Mariu Gobatto: "Die meisten Dorfbewohner haben Lehmfußböden in ihren Häusern. Hier herrscht echte Armut. Und das wissen die Leute oft nicht, die hier unglaubliche Summen für Yoga-Retreats ausgeben. Die leben in einer Blase."