Dienstag, 23. April 2024

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Günter Wallraff über die AfD
"Sie denunzieren und versuchen, ein Feindbild zu schaffen"

Der Islam als solcher sei nicht das Problem, sagte der Autor und Journalist Günter Wallraff im DLF. Die AfD differenziere bei diesem Thema nicht, sondern versuche nur, ein Feindbild zu schaffen. Aber es müsse auch diskutiert werden können, "was im Namen des Islams an Verbrechen geschieht". Das müsse nicht verhetzend, sondern auf Augenhöhe geschehen.

Günter Wallraff im Gespräch mit Änne Seidel | 18.04.2016
    Der Autor und Journalist Günter Wallraff
    Der Autor und Journalist Günter Wallraff (picture alliance / dpa / Karlheinz Schindler)
    Änne Seidel: Minarette abschaffen, Muezzins verbieten und die Burka aus dem Stadtbild verbannen. Wenn sich AfD-ler wie die stellvertretenden Parteivorsitzenden Beatrix von Storch und Alexander Gauland durchsetzen, dann werden diese Forderungen künftig im bundesweiten Parteiprogramm der AfD stehen. Ende April soll es verabschiedet werden. Der vorläufige Entwurf enthält eine klare Position zum beziehungsweise gegen den Islam. Der Islam gehöre nicht zu Deutschland, sagt Beatrix von Storch, und auch Alexander Gauland ist überzeugt, der Islam sei nicht vereinbar mit unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung.
    Über diese Aussagen habe ich vorhin gesprochen mit dem Schriftsteller und Journalisten Günter Wallraff. Er hat sich in der Vergangenheit regelmäßig zum Thema Islam in Deutschland geäußert und ist auch selbst schon von Islamisten bedroht worden, womit er ja eigentlich perfekt in die Zielgruppe der AfD passen würde. Oder, Herr Wallraff?
    Günter Wallraff: Das würde denen am Ende so passen. Sie differenzieren nicht, sie denunzieren und sie versuchen, ein Feindbild zu schaffen, um von den eigentlichen Problemen abzulenken, und von daher gesehen ist nicht der Islam als solcher das Problem. Es gibt so viele Spielarten, Sufismus und Menschen, die zwar kulturell dem Islam angehören, sich traditionell auch in eine Moschee begeben zu Festtagen, aber letztlich sich hier voll eingebracht haben.
    Seidel: Trotzdem: Sie haben in der Vergangenheit ja immer wieder sehr klare Positionen bezogen beim Thema Islam in Deutschland. Sie sprechen sich aus für ein Kopftuchverbot an Schulen zum Beispiel. Sie warnen vor islamistischen Hardlinern, die im Hintergrund mancher Moscheen die Fäden zögen, so sagen Sie. Das sind Aussagen, die könnten ja durchaus auch von der AfD stammen.
    "In der Türkei unter Erdogan steht eine Islamo-Diktatur"
    Wallraff: Das Parteiprogramm der AfD ist neoliberal ausgerichtet. Sie geben keine Antworten auf die wirklichen Probleme und sie versuchen, Menschen in prekären Arbeitssituationen, die sich von den großen Parteien nicht vertreten fühlen, jetzt über eine Scheindiskussion Feindbilder zu schaffen, wo die sich abreagieren können. Von daher gesehen ist es auch ein Versäumnis, das muss man sagen, der etablierten Parteien, dass sie da, wo im Namen des Islam auch hier im Lande keine Trennung zwischen Religion und Politik vorgenommen wurde, dass da weggeschaut wurde, manchmal sogar aus Ignoranz oder auch aus Feigheit man darum einfach einen Bogen machte. Wir erleben tatsächlich, dass hier Moscheengemeinschaften nicht an erster Stelle humane, religiöse Ziele verfolgen, sondern dass sie ganz knallhart politisches Instrument sind, von der Türkei dirigiert werden, befehligt werden, finanziert werden, und das ist nun offensichtlich, dass in der Türkei unter Erdogan eine Islamo-Diktatur am Entstehen ist, und da kann man wirklich Einhalt gebieten, müsste man, und sagen, hier ist die Demokratie verantwortlich, dass diese Trennung zwischen Religion und Staat erfolgt, wie das ja auch in anderen Religionsgemeinschaften längst gewährleistet ist.
    Seidel: Erinnern wir uns vielleicht noch einmal zurück, Herr Wallraff, an eine Aktion, die Sie vor fünf Jahren gestartet haben. Da wollten Sie in der Kölner Moschee Salman Rushdies Satanische Verse vorlesen. Das ist der Text, der dem Autor eine Fatwa eingebracht hat. Das war von Ihrer Seite aus ganz klar eine Provokation und Sie haben das damals einen Integrationstest genannt. Zu welchem Fazit sind Sie denn da gekommen? Für wie integrationswillig beziehungsweise fähig halten Sie die Muslime in Deutschland?
    "Entdemokratisierung bei islamischen Gemeinschaften"
    Wallraff: Die Muslime gibt es nicht. Es gibt hier ganz unterschiedliche Strömungen. Es ist zu beobachten, dass doch bestimmte Religionsgemeinschaften, islamische, sich zurzeit entdemokratisieren und sich abhängig machen von politischen Interessen, die weit weg von Deutschland liegen. Und auch die Politik von Frau Merkel ist bedenklich, wenn sie hier eine Abhängigkeit zu einer entstehenden Islamokratur gerät.
    Seidel: Da sprechen Sie jetzt an auf den Fall Böhmermann, nehme ich an.
    Wallraff: Ich spreche jetzt auf den Fall Böhmermann an, den ich sehr differenziert sehe. Dass Kunst unter dem Gesichtspunkt der Kunstfreiheit zu beurteilen ist, wage ich zu bezweifeln, aber ich sehe, dass man diesen Moscheengemeinschaften sehr wohl einiges abverlangen kann, nämlich Unabhängigkeit und Toleranzgebot und letztlich auch Integrationsbereitschaft.
    Seidel: Kommen wir vielleicht trotzdem noch mal kurz zurück zur AfD und zu den aktuellen Forderungen, die da jetzt laut geworden sind. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, dann würden Sie ganz klar sagen, ja, der Islam gehört zu Deutschland, ja, der Islam an sich ist vereinbar mit dem Grundgesetz?
    "Mit dem Begriff Islamophobie wird jede Diskussion abgewürgt"
    Wallraff: Es kommt darauf an, welcher Islam. Es gibt keine heiligen Bücher, die unveränderlich sind. Wer den Koran als sakrosankt erklärt, auch andere sogenannte heilige Bücher, der leugnet nicht nur die historische Wahrheit, dass sie von Menschen niedergeschrieben und im Laufe der Jahrhunderte auch verändert wurden. Es fehlt die Aufklärung, es fehlt die Neuinterpretation auf unsere Zeit, und derjenige, der andere herabsetzt und Ungläubige als minderwertig ansieht, da muss man einhaken.
    Seidel: Trotzdem hat die AfD mit ihren Forderungen ja ganz offensichtlich Erfolg. Das haben die Landtagswahlen jetzt zuletzt gezeigt. Vielleicht müssen wir diese Frage, gehört der Islam zu Deutschland, heute abwandeln und fragen, gehört die Islamophobie inzwischen zu Deutschland.
    Wallraff: Der Begriff Islamophobie wird zum Teil als Totschlagargument benutzt, um jede Diskussion, auch die sachlichste abzuwürgen. Das finde ich auch nicht richtig. Ich finde, es ist ein Versäumnis der großen Parteien, sich letztlich daran vorbeizudrücken, zu mogeln, um hier nicht denen Argumente zu liefern. Jetzt haben wir die Argumente, weil eben so wenig das Ganze thematisiert wurde. Wir sollten auch das benennen und auch reklamieren, was im Namen des Islam auch an Verbrechen geschieht, an Intoleranz geschieht, an Verleugnung von Frauenrechten. Das muss diskutiert werden, aber nicht verhetzend, sondern auf Augenhöhe, und dann hat auch die AfD keine Chancen mehr, damit auf Stimmenfang zu gehen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.