Mittwoch, 17. April 2024

Archiv

Günther Oettinger
Ein EU-Kommissar für alle Fettnäpfchen

Die umstrittene 'Schlitzaugen'-Rede hat der deutsche EU-Kommissar gerade überstanden, da sorgt er schon wieder für Empörung. Diesmal, weil er im Privatjet eines Russland-Lobbyisten nach Ungarn geflogen ist.

Von Kai Küstner | 16.11.2016
    EU-Kommissar Günther Oettinger
    EU-Kommissar Günther Oettinger (dpa / picture alliance / Patrick Seeger)
    Es hat fast etwas Tragisches: Günther Oettinger ist in Brüssel durchaus bekannt dafür, sich dank akribischen Akten-Fressens auch bei noch so komplizierten Themen schnell einen Durchblick verschaffen zu können. Selbst Gegner sprechen dem EU-Kommissar geistige Tiefe also nicht ab. Umso erstaunlicher, dass er wiederholt mit Äußerungen auffällt, von denen Kritiker sagen, dass sie sich ungefähr auf Stammtisch-Niveau bewegen, wenn nicht gar darunter.
    "Alle im Anzug, Einreiher dunkelblau. Alle Haare von links nach rechts mit schwarzer Schuhcreme gekämmt."
    "But 'Frei von der Leber', as we say in German"
    So schilderte Oettinger kürzlich den Besuch einer chinesischen Regierungs-Delegation in Brüssel. Und bezeichnete die Chinesen als "Schlitzohren und Schlitzaugen". Der Deutsche – immerhin Digitalkommissar – hatte nicht vorausgesehen, dass seine Rede vor Wirtschafts-Vertretern in Hamburg im Internet auftauchen könnte und fantasierte dann noch darüber, dass die "Homo-Ehe" in Deutschland Pflicht werden könnte. Eine knappe Woche später – die Entschuldigung:
    "It was not a speech read-out, but ‚Frei von der Leber‘, as we say in German."
    Er habe keine abgelesene Rede gehalten, rechtfertigte sich Oettinger. Dessen Chef, EU-Kommissions-Präsident Juncker, legte dem Schwaben nach dessen später Reue eine Art ‚Maulkorb‘ um: Künftig soll sich der Deutsche nur noch zu Themen äußern, die sein Aufgabengebiet betreffen. Es war nicht das erste Mal, dass Juncker sich über Einlassungen seines deutschen Kommissars aufregen musste – war Oettinger doch bekannt dafür, sich bereitwillig zu allen erdenklichen Themen zu äußern, die mit seinem Digital-Ressort nicht unmittelbar zusammenhingen.
    Trotzdem Respekt erworben in Brüssel
    "My message was to give a wake-up call to the German audience."
    Als einen "Weckruf für seine deutsche Zuhörerschaft" wollte Oettinger seine Rede von Hamburg verstanden wissen – damit die Bundesrepublik und die EU im globalen Wettbewerb nicht zurückfallen. Eins kann man dem Schwaben nicht absprechen: Er ist in seinen insgesamt gut sieben Jahren als EU-Kommissar zu einem eingefleischten Europäer geworden. Der Brüssel verteidigt, wo er nur kann. So wies er im Mai 2014 brüsk jede Kritik der Einzelstaaten zurück, die Kommission wolle zugunsten der Umwelt alles regulieren, bis hin zum Duschkopf:
    "Ich kündige an, dass ich ab Montag keinen Tag mehr bereit bin, wegen Glühbirnen oder Staubsaugern oder Duschköpfen die Kommission beleidigt zu sehen. Sonst geben wir den Auftrag an den Rat zurück – dann machen die ihren Mist alleine."
    Erfolgreich im Gasstreit vermittelt
    Respekt erwarb sich der Schwabe in Diensten der EU unter anderem damit, dass er als Energie-Kommissar ausdauernd und erfolgreich im Gasstreit zwischen der Ukraine und Russland vermittelte. Gleichzeitig vermochte Oettinger den Ruf nie abzuschütteln, in so ziemlich jedes Fettnäpfchen zu tapsen, das sich ihm in den Weg stellt. Blamiert hatte sich der Deutsche in Brüssel schon im Jahr 2011 mit seinem Vorschlag, man könnte doch die Flaggen von EU-Staaten, die zu viele Schulden machen, auf Halbmast setzen. Die Entrüstung war ähnlich groß wie die nach der sogenannten ‚Schlitzaugen-Rede‘.
    Nun sorgt für Kopfschütteln, dass Oettinger sich im Privat-Jet eines bekannten deutschen Russland-Lobbyisten nach Ungarn fliegen ließ. Aus dem sogenannten 'Kommissar für alle Fälle' droht nun endgültig ein 'Kommissar für alle Fettnäpfchen' zu werden.