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Guerilla-Kino in Leipzig

In Leipzig stehen viele Häuser leer und verfallen. Ein echtes Problem für die Stadt. Für andere dagegen ein Segen: Sie nutzen den Leerstand für ihre Zwecke. Eine Gruppe junger Menschen zeigt Kinofilme an verlassenen Orten. Ganz legal ist das natürlich nicht.

Von Lisa Rauschenberger | 05.09.2011
    Freitagabend. Es regnet. Kein Mensch auf der Straße. Erste Aufgabe – unerkannt bleiben als Agentin in geheimer Mission sozusagen. Zweite Aufgabe: Diese Straßenecke im Leipziger Norden finden. Dort gibt es mehr Informationen.

    An besagter Ecke wartet Manuel. Er trägt einen schwarzen Kapuzenpulli und sitzt auf einer kleinen Mauer.

    "Wir befinden uns hier in der Kasernenstadt Möckern, das ist in einem nördlichen Stadtteil von Leipzig und es ist ein sehr, sehr großes Kasernengelände, was zur Hälfte wieder genutzt wird mit Wohnungen, zur Hälfte, teilweise ist auch noch die Bundeswehr drinnen und ein großer Teil steht einfach leer."

    Hier wird heute Abend ein Film gezeigt. So viel stand zumindest in der E-Mail von Manuel. Keine weiteren Infos. Manuel deutet auf ein Loch im Zaun und grinst. Da geht es durch. Dann weiter auf einem schmalen Pfad zwischen Büschen und Bäumen entlang.

    Es ist dunkel und nass im Unterholz. Hinter der Biegung wartet Max - die nächste Kontaktperson.

    "Ihr geht jetzt einfach hier gerade aus weiter, hinter den großen Müllbergen einfach links und dann das Haus auf der rechten Seite, aber ich denke, ihr werdet da schon entgegen genommen."

    Frank war schon öfter beim Guerilla-Kino. Trotzdem ist er beeindruckt davon, wo er heute gelandet ist.

    "Ja, wir stehen jetzt gerade hinter einem Kasernengebäude auf jeden Fall. Man kann sehen, es sieht sehr verlassen aus, alle Scheiben sind raus und es hat schon eine gewisse gespenstische Atmosphäre."

    Der fast volle Mond am Himmel wirft sein mattes Licht auf die Gebäude. Die müssen früher mal ziemlich imposant gewesen sein, jetzt wuchern Büsche durch zerbrochene Fenster. Ruine reiht sich an Ruine, dazwischen liegen Schutthaufen. Vor einem Gebäude steht eine kleine Gruppe Menschen. Es geht eine steile Treppe hoch. Vorsichtig – denn da liegt jede Menge Geröll und Gerümpel. Dahinter befindet sich ein ausladender Saal. Die Wände sind mit Graffiti vollgesprayt, in der Mitte steht ein ausgebranntes Autowrack. Überall leuchten Teelichter. Solche Orte kennen zu lernen – das ist für Frank der Grund, warum er immer wieder zu den Veranstaltungen geht.

    "Ich habe immer wieder die Möglichkeit, Leipzig neu zu entdecken und gerade wenn ich so die alten verlassenen Gebäude sehe, ist es einfach die Abenteuerlust, die mich hierher treibt und auch gleichzeitig die Möglichkeit, einen coolen Film zu sehen und coole Leute zu treffen."

    Das Abenteuer, das Spiel mit den verlassenen Orten, die Überraschung der Zuschauer: Darum geht es den Machern des Guerilla-Kinos bei ihren Kurzzeitbesetzungen, nicht um eine politische Botschaft. Trotzdem gehört die gewisse Prise Anarchie natürlich dazu. Immerhin riskieren sie mit ihrem Projekt einiges, erzählt Manuel.

    "Es ist ganz einfach illegal. Zum einen begehen wir Hausfriedensbruch und zum anderen eigentlich auch Urheberrechtsverletzungen, weil wir Filme zeigen, ohne Gebühren dafür zu bezahlen."

    Das machen er und seine knapp zehn Mitstreiter schon seit rund fünf Jahren, fast jeden Monat. Die Zuschauer erfahren durch Mund-zu-Mund-Propaganda oder einen E-Mail-Verteiler von den Vorführungen. Ob in alten Fabriken, in Katakomben, verlassenen Wohnhäusern oder eben Kasernen – leer stehende Häuser gibt es in Leipzig genug.

    Im Kinosaal haben jetzt gut dreißig Personen vor der Leinwand Platz genommen. Sie sitzen auf Kisten, Decken, Zeitungen. Gleich werden sie einen polnischen Spielfilm sehen, so viel hat Manuel schon verraten. Davor zeigt er noch einen Kurzfilm über einen Soldaten, der unbedingt sterben will und es einfach nicht schafft. Wo könnte man so einen Film besser zeigen als in einer verlassenen Kaserne.