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"Guido Westerwelle ist unter Druck besonders stark"

Viele FDP-Mitglieder machen den Vorsitzenden Guido Westerwelle für das anhaltende Tief ihrer Partei verantwortlich. Jorgo Chatzimarkakis sitzt für die FDP im Europäischen Parlament und betont, Westerwelle habe die FDP zu den größten Erfolgen aller Zeiten gebracht.

Jorgo Chatzimarkakis im Gespräch mit Gerd Breker | 03.01.2011
    Gerd Breker: Kurz vor dem Dreikönigstreffen der FDP wollen führende Liberale die Debatte um Parteichef Guido Westerwelle beenden. FDP-Fraktionschefin Birgit Homburger schließt offenen Streit über einen Wechsel an der Parteispitze aus, es werde keine Personaldebatten geben. Das sagte sie der "Passauer Neuen Presse". Der FDP-Fraktionsvorsitzende in Baden-Württemberg, Hans-Ulrich Rülke, hält vor dem Dreikönigstreffen der Liberalen das Krisenmanagement der Parteispitze für diskussionswürdig. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hatte ein deutliches Aufbruchsignal für das Wahljahr 2011 gefordert und indirekt Generalsekretär Lindner als Nachfolger von Westerwelle ins Gespräch gebracht. Die Liberalen waren zuletzt in Umfragen auf bis zu drei Prozent abgestürzt, viele FDP-Mitglieder und auch die Parteibasis machen Westerwelle für das anhaltende Stimmungstief verantwortlich. Und am Telefon bin ich nun verbunden mit Jorgo Chatzimarkakis, für die FDP Mitglied im Europäischen Parlament. Guten Tag, Herr Chatzimarkakis!

    Jorgo Chatzimarkakis: Guten Tag, Herr Breker!

    Breker: In Baden-Württemberg, einem Stammland der FDP, bei fünf Prozent, ansonsten im Umfragetief auf drei Prozent, das kann auch Sie im fernen Brüssel nicht unberührt lassen!

    Chatzimarkakis: Zumal ich ja auch im Bundesvorstand, schon seit mehr ein Jahrzehnt im Bundesvorstand der FDP sitze und auch in der Grundsatzkommission, nein, das lässt einen nicht unberührt und wir haben uns viele Gedanken gemacht, warum es nicht gelungen ist, die Erwartungshaltung, die wir ja mit einem sehr guten Wahlergebnis geweckt haben, warum es nicht gelungen ist diese Erwartungshaltung irgendwie zu verwirklichen. Da liegen die großen Fehler. Wir alle wissen heute, dass gerade in der Anfangszeit Fehler gemacht wurden, die dazu geführt haben, dass wir jetzt da stehen, wo wir stehen. Und wir müssen das drehen, und man kann es drehen.

    Breker: Und enttäuscht in ihrer Erwartungshaltung sind nicht nur die Wähler, sondern auch die Parteibasis, auch da herrscht Unruhe, auch das hat Sie erreicht?

    Chatzimarkakis: Ja, ich glaube, man hat überschätzt, dass die CDU sozusagen der natürliche Partner auf Bundesebene ist. Da sind sehr viele Gemeinheiten passiert am Anfang, mit denen man gar nicht gerechnet hat, das heißt, Erfolge der FDP wurden entweder nicht zugelassen oder schlechtgeredet. Das ist ein Grund, aber man muss auch bei sich selber anfangen: Natürlich war man am Anfang, nach so langer Zeit in der Opposition auf Bundesebene ein wenig, ich würde mal sagen machtbesoffen. Und dann, Macht, die besoffen macht, bringt auch Fehler mit sich. Und das muss aber jetzt überwunden sein. Ich glaube, die Personaldebatte, die jetzt auch wirklich beendet sein sollte, war aber ein Schuss vor den Bug. Sie war ein Schuss vor den Bug insofern als man jetzt weiß, wir müssen uns wieder auf Inhalte konzentrieren. Nicht so sehr auf Personen, wer macht eigentlich was, sondern wer macht was richtig? Und darauf müssen wir uns jetzt konzentrieren. – Ich glaube, es wird auch gelingen!

    Breker: Die Personaldebatte, Herr Chatzimarkakis, hat ja vor dem Hintergrund, dass wir in einem sogenannten Superwahljahr stehen mit sieben Landtagswahlen, eigentlich insofern keinen Sinn, weil: Wer wechselt die Pferde angesichts dieser Termine? Vor allen Dingen die an der Spitze?

    Chatzimarkakis: Ja, das ist natürlich immer ein schönes Ventil, dass man gegen die da oben wettern kann. Ich glaube, das hilft nicht weiter. Man muss wirklich auch sehen, dass Guido Westerwelle, der Bundesvorsitzende der FDP nun doch schon seit fast mehr als zehn Jahren – und ich bin ein früher Wegbegleiter von Guido Westerwelle bei den Jungen Liberalen schon gewesen, ich habe diesen Aufstieg erlebt –, er ist tatsächlich derjenige, der uns zu den größten Erfolgen aller Zeiten gebracht hat, er hat uns auch in die Landesparlamente und in die Landesregierung zurückgebracht. Und das dann in einem Superwahljahr infrage zu stellen, zu wechseln, das ist schon ein bisschen verrückt. Und deswegen wird es auch so nicht kommen. Gleichwohl ist es richtig, dass man über die Managementfehler durchaus spricht. Und das haben wir getan, und manchmal ist ein reinigendes Gewitter auch von der Basis ausgehend eine gute Sache. Und genau da befindet sich die Partei. Das reinigende Gewitter haben wir hinter uns und jetzt warten wir bei dem Dreikönigstreffen auf eine sehr, sehr gute Rede, einen sehr guten Auftritt unseres Bundesvorsitzenden.

    Breker: In der er dann auch Fehler eingestehen muss. Denn ist es nicht ein offensichtlicher Fehler gewesen, dass man ein einfacheres und gerechteres Steuersystem verspricht, mehr Netto vom Brutto verspricht – und dann wird Finanzminister ein Unionsmensch?

    Chatzimarkakis: Ja ich glaube, Politik besteht zum einen daraus, Erwartungen irgendwie zu organisieren – das ist ein bisschen schwergefallen, das gebe ich zu. Aber das andere ist auch: Politik hat viel mit dem richtigen Zeitpunkt zu tun. Und der richtige Zeitpunkt für die Maßnahmen, die die FDP versprochen hat oder angekündigt hat, war offenbar durch die Wirtschafts- und Finanzkrise kurz nach der Wahl noch gar nicht gekommen. Das heißt, das Thema ist zwar jetzt zunächst einmal nicht mehr so virulent, aber nicht ganz ad acta gelegt. Also da wird die FDP sicherlich noch mal drauf zurückkommen. Aber sie muss eben auch zeigen, dass sie nicht nur für Steuersenkung steht, sondern die FDP ist ja eine große Partei, eine Partei mit einer großen Tradition, sie steht auch für Europa zum Beispiel. Da ist es nicht gelungen zu erklären, warum wir den Euro retten müssen. Das ist einfach nicht gelungen und das muss jetzt im neuen Jahr gelingen. Die FDP ist die Partei, die sehr früh in den 60er-Jahren und in den 70er-Jahren für das Mitmachprinzip stand. Ich erinnere an Ralf Dahrendorf mit Rudi Dutschke, der damals diskutierte, und wir stehen jetzt in einer Zeit, in der die Menschen wieder mitmachen wollen, wo wir neue Mechanismen finden müssen, wie wir dieses Ventil, mitmachen zu wollen in der Demokratie, zur politischen Aktion bringen. Da könnten uns die neuen Informationstechnologien helfen, wir stellen die Bundesjustizministerin, die in dem Thema sehr gut unterwegs ist und sehr viele neue Ideen auch entwickelt hat und auch schon verwirklicht hat. Also ich glaube für die FDP besteht ein großes Feld hier aktiv zu sein, und sie wird jetzt auch diesen Vorstoß machen.

    Breker: Hat Ihr Parteikollege Walter Döring recht, hat die FDP teilweise zumindest die falschen Ministerien sich in Berlin ausgesucht? Hätte Guido Westerwelle statt Außenminister vielleicht Finanzminister werden müssen?

    Chatzimarkakis: Man kann aus vielen Ämtern was Gutes machen und erreichen. Ich glaube, dass die, tatsächlich die Erwartungshaltung die war, dass die FDP das Finanzministerium übernimmt, aber es war eben nicht möglich. Es war nicht möglich und da haben wir vielleicht auch auf ein zu gutes Verhältnis auf die Union gesetzt. Die Union hat es nun mal nicht zugelassen und ich freue mich andererseits über die Entwicklung, die ich jetzt sehe zum Beispiel im BMZ, im Bundesentwicklungsministerium, wo Reformen, die 30 Jahre anstanden, jetzt gemacht werden, oder aber dass der Außenminister sich jetzt sehr aktiv uns sehr aktuell zu allen Fragen der Außenpolitik sehr detailliert und auch liberal äußert. Ob es Weißrussland war jetzt in letzter Zeit, ob es die Irakfrage war, der festgehaltenen Journalisten, ob es der Angriff auf Christen war in Ägypten: Überall da ist ja eine Aktivität da. Also ich glaube, Liberale sind auch auf anderen Ämtern, in anderen Ämtern und in anderen Ministerien gefragt und sie machen dort glaube ich einen sehr, sehr guten Job.

    Breker: Herr Chatzimarkakis, glauben Sie, wenn Guido Westerwelle auf dem Dreikönigstreffen eine mitreißende Rede, sozusagen die Rede seines Lebens hält, dass dann alles wieder gut ist?

    Chatzimarkakis: Na ja Guido Westerwelle ist unter Druck besonders stark. Das hat er in der Vergangenheit bewiesen, das ist nicht das erste Mal, dass er unter Druck steht. Und immer hat er es geschafft, die Sache noch mal zu drehen. Und er ist ein Meister der guten, der geschliffenen Rede, und deswegen glaube ich, er wird die Rede seines Lebens halten, er wird diese Wende der FDP bringen. Und wissen Sie, wir haben ja nicht nur Guido Westerwelle. Guido Westerwelle wird das sehr gut machen, aber ich freue mich auch zum Beispiel auf Christian Lindner. Ich sehe da auch gar keinen Gegensatz, die beiden arbeiten zusammen, Christian Lindner hat schon beim letzten Dreikönigstreffen überraschend bewiesen, dass er wirklich auch ein Großmeister der politischen Rede ist. Sehen Sie, in der Grundsatzkommission macht es plötzlich wieder Spaß, für Liberalismus zu arbeiten, in dieser liberalen Partei zu arbeiten. – Und ich gebe zu, das war lange Zeit nicht der Fall. Jetzt macht es große Freude und das ist ein Verdienst von Christian Lindner. Und ich erwarte von beiden eigentlich ein mächtiges Signal, und Guido Westerwelle wird die Personaldebatte durch seine Rede wirklich im Keime ersticken.

    Breker: Im Deutschlandfunk war das die Meinung von Jorgo Chatzimarkakis. Er ist für die FDP im Europaparlament. Danke für dieses Gespräch!

    Chatzimarkakis: Danke Ihnen, Herr Breker!