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Guntram Schneider: Leiharbeit neu regulieren

Der neue Arbeitsminister in Nordrhein-Westfalen, Guntram Schneider, will sich verstärkt dem Problem der prekären Beschäftigungsverhältnisse widmen. Seine Partei, die SPD, habe hier Fehler gemacht und werde daraus nun lernen.

07.08.2010
    Jürgen Zurheide: Am Arbeitsmarkt bricht ja Jubel aus in Deutschland, viele reden schon vom deutschen Jobwunder. Die Arbeitslosenzahlen sinken, es gibt eine Million offene Stellen, das wurde gestern noch einmal gemeldet. Und selbst der Lehrstellenmarkt boomt so sehr, dass die Industrie schon sagt, ja wir brauchen Zuwanderer, aus den umliegenden Ländern können junge Menschen nach Deutschland kommen! Ist die Lage denn wirklich so toll oder gibt es noch die ein oder andere Wolke am Horizont? Darüber wollen wir reden mit Guntram Schneider, dem neuen Arbeits- und Sozialminister aus Nordrhein-Westfalen, guten Morgen, Herr Schneider!

    Guntram Schneider: Guten Morgen, Herr Zurheide!

    Zurheide: Herr Schneider, Lehrstellenzahlen wirklich ausreichend – ist das auch Ihr Befund?

    Schneider: Die Situation in Nordrhein-Westfalen ist durchwachsen. Wir haben derzeitig – so die Arbeitsagenturen – noch etwa 37.000 unversorgte junge Menschen. Diesen 37.000 Unversorgten stehen 22.000 unbesetzte Stellen gegenüber. Die Situation ist regional sehr unterschiedlich. Wir haben Bereiche, zum Beispiel der Großraum Düsseldorf, der ist gekennzeichnet durch eine Fastversorgung. Dem gegenüber gibt es aber andere Regionen im Lande, wo immer noch auf drei Ausbildungsplatzsuchende eine Lehrstelle kommt. Also von einer Versorgung auf breiter Ebene oder gar vom Blasen von Siegesfanfaren kann überhaupt keine Rede sein. Wir müssen weiterhin alle Kräfte mobilisieren, um in diesem Jahr eine vernünftige Entwicklung hinzubekommen.

    Zurheide: Außerdem gibt es ja noch viele, die aus den vergangenen Jahren in irgendwelchen Warteschleifen sind, und wir alle wissen, die jungen Menschen, die am Anfang keinen richtigen Einstieg ins Arbeitsleben bekommen, die sind dann im Zweifel für ihr ganzes Leben gehandicapt, wenn nicht gar Sozialhilfeempfänger. Was machen Sie mit denen?

    Schneider: So ist das. Wir haben noch etwa 25.000 junge Menschen in sogenannten Warteschleifen. Die müssen eigentlich zu den Bewerberinnen und Bewerbern hinzugezählt werden und wir wollen in diesem Jahr, wenn absehbar ist, wie die tatsächliche Entwicklung aussieht – das wird so im Oktober, Anfang November sein –, wiederum Maßnahmen auf den Weg bringen seitens der Politik, seitens der Wirtschaft, um den Unversorgten ein Angebot zu machen. Das Beste ist natürlich die Integration in das duale Ausbildungssystem, aber ich befürchte, dass dies auch in diesem Jahr nicht für alle, die ausbildungswillig sind und –fähig sind, möglich sein wird.

    Zurheide: Dann gibt es eine Million offene Stellen – auch das haben wir gehört – insgesamt am Arbeitsmarkt in Deutschland jetzt. Da bricht ja regelrecht Jubelstimmung aus. Oder sagen Sie, na ja, es gibt zwar diese offenen Stellen, aber vielleicht ist die Qualität der Arbeit nicht immer so, wie Sie sich das als Arbeitsminister wünschen. Welchen Befund haben Sie da?

    Schneider: Ja, das ist auch eine widersprüchliche Entwicklung. Wir sind froh darüber, dass insbesondere die Exportwirtschaft in den letzten Wochen und Monaten doch erheblich angezogen hat, und hier sind auch offene Stellen. Allerdings die Qualität mancher offenen Stelle gibt doch Fragen auf: Etwa die Hälfte der gemeldeten offenen Stellen befinden sich in der Leiharbeit und Sie müssen wissen, ein Leiharbeitnehmer verdient zwischen 30 und 40 Prozent weniger als ein Festangestellter. Und hinzu kommt noch die immer größer werdende Anzahl befristeter Arbeitsverhältnisse. Auch diese sind prekär. Das heißt, es geht ja nicht um Arbeit gleich welcher Art, sondern um gute Arbeit. Und hier ist noch vieles seitens der Politik und der Unternehmen zu erledigen.

    Zurheide: Nun hat Ihre Partei, die SPD, diese Entwicklung ja maßgeblich mit beeinflusst unter dem Stichwort Hartz und anderes. Welche Fehler haben Sie gemacht, wenn inzwischen – und so sagen die Arbeitsmarktforscher das – jede vierte Stelle prekär ist, auch in Deutschland, und wir damit fast auf US-amerikanischem Niveau liegen?

    Schneider: Es ist völlig richtig, die SPD hat hier in der Vergangenheit Fehler gemacht. Die SPD ist aber auch die Partei, die aus eigenen Fehlern lernt. Und wir haben zum Beispiel die feste Absicht, die Leiharbeit neu zu regulieren insbesondere, was die Durchsetzung des Grundsatzes "gleiches Geld für gleichwertige Arbeit" anbelangt. Wir wollen den krakenhaft um sich greifenden und immer größer werdenden Niedriglohnsektor eindämmen über einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn …

    Zurheide: … einen allgemeinen oder einen differenzierten nach Branchen? Wofür plädieren Sie?

    Schneider: Wir sind für einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn und wir werden weiterhin dafür eintreten. Wenn man in den Branchen geltende Tarifverträge in den unteren Einkommensgruppen für allgemeinverbindlich erklärt und über diesen Weg praktisch Mindestlöhne schafft, ist das die zweitbeste Lösung. Denken Sie an den großen Bereich in der Wirtschaft, in dem überhaupt keine Tarifverträge mehr existieren oder ganz schlechte, zum Beispiel abgeschlossen durch Vereinigungen, die sich Gewerkschaften nennen, aber keine sind. Die fängt man nur ein über einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn und ich darf daran erinnern: In 21 Ländern der Europäischen Union gibt es Mindestlöhne - natürlich in unterschiedlicher Höhe, je nach Leistungsfähigkeit der jeweiligen Volkswirtschaft.

    Zurheide: Jetzt haben wir gerade über auch prekäre Beschäftigung gesprochen. Jede vierte Stelle – ich hab es erwähnt – ist inzwischen in diesem Sektor. Was können Sie als Landesarbeitsminister tun oder bleibt Ihnen am Ende nur, zu appellieren an Berlin?

    Schneider: Also, wir haben hier in den meisten Bereichen keine unmittelbare Gesetzgebungskompetenz als Land. Aber wir haben, um Schlimmeres zu verhindern, im Bundesrat eine Mehrheit, die doch Gesetzgebungsaktivitäten des Bundes außer Kraft setzen kann. Wir wollen allerdings nicht blockieren, sondern wir wollen gestalten und zwar auf breiter Ebene. Deshalb gehe ich davon aus, dass zum Beispiel der Fraktionsvorsitzende der CDU im Landtag von Nordrhein-Westfalen, Herr Laumann, mein Vorgänger, jetzt über die Regulierung der Leiharbeit genau so denkt wie vorher. Und da müssten wir eigentlich zusammenkommen können. Ich setze in diesen Fällen auch auf Ratio und die Einsicht in die Notwendigkeit. Niemand sollte sich angesichts der schwierigen Situation seiner Verantwortung entziehen.

    Zurheide: Kommen wir noch mal kurz zu einem anderen Thema: Es gibt inzwischen viele Reiche, wir haben es in dieser Sendung ganz am Anfang schon mal thematisiert, die viel Geld spenden. Wie wirkt das auf Sie, ist das eine frohe Botschaft oder sagen Sie, na ja, da gibt es auch einen Wermutstropfen?

    Schneider: Also, zunächst einmal kann man dies nur unterstützen. Diese Entwicklung, die ja auch in Deutschland Platz greift über einige Initiativen, zeigt ja, dass auch bei den Begüterten soziale Kompetenz nicht gänzlich verloren gegangen ist. Allerdings – und dies muss man immer wieder betonen –: Spenden ist das eine; eine ordentliche, dem sozialen Ausgleich verpflichtete Steuergesetzgebung ist das andere. Und die benötigen wir dringend, wenn wir die Gesellschaft zusammenhalten wollen. Ich darf daran erinnern, nur eine Zahl, Herr Zurheide: Derzeitig besitzen zehn Prozent der Menschen in Deutschland 60 Prozent der Geldvermögen und 40 Prozent der Menschen in Deutschland besitzen gar nichts. Das kann nicht so weiter gehen, das ist sozialer Sprengstoff. Und hier muss man durch eine wirkungsvolle Steuergesetzgebung eingreifen, auch um Zukunftsaufgaben wie zum Beispiel die Bildung finanzieren zu können.

    Zurheide: Das war der nordrhein-westfälische Arbeitsminister Guntram Schneider. Herr Schneider, ich bedanke mich für das Gespräch, danke schön!

    Schneider: Bitte schön!