Donnerstag, 25. April 2024

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Gurlitt-Kunstfund
Kunstfahnder: "Alle Seiten wahren ihr Gesicht"

Der Kunstsammler Cornelius Gurlitt hat sich mit dem Bund geeinigt. Werke, bei denen es sich um Raubkunst handelt, will er ihren früheren Besitzern zurückgegeben. Kunstfahnder Clemens Toussaint spricht im DLF von einer "salomonischen Lösung", die jedoch auch ihre Tücken habe.

Clemens Toussaint im Gespräch mit Christine Heuer | 08.04.2014
    Toussaint sagte im DLF-Interview, niemand verliere durch die Einigung sein Gesicht. Die Bundesregierung könne zeigen, dass sie ihre Aufgabe ernst nimmt, zu prüfen, ob es sich um Raubkunst handelt. Und der Sammler erkenne jetzt an, dass die Verantwortung dieses "kontaminierten Erbes" eine besondere sei.
    Nach Ansicht des Kunstfahnders hat die Einigung eine historische Dimension, wenn ihre Umsetzung gelingt. Die Ermittlungskommission stehe jedoch unter "enormem Druck": Aus Toussaints Sicht reichen zwölf Monate nicht aus, die Herkunftsgeschichte der Werke zu klären. "Das ist nach meinen Erfahrungen quasi unmöglich."

    Das Interview in voller Länge
    Einigung im Streit über Gurlitt-Kunstsammlung
    Christine Heuer: Überraschend ist sie schon einmal sicher, die Einigung im Streit über die Kunstsammlung von Cornelius Gurlitt. Der Münchner Kunstsammler lässt ein Jahr lang seine Bilder daraufhin untersuchen, ob sie Raubkunst sind. Bilder, bei denen das der Fall ist, will er den Erben zurückgeben, oder dem Staat zur treuhänderischen Verwahrung überlassen. Den Rest seiner Sammlung bekommt er dann zurück. Das hat Gurlitt mit dem Bund und dem Freistaat Bayern gestern in einem Vertrag geregelt.
    Wie soll, wie kann so etwas konkret ablaufen? Darüber spreche ich jetzt mit dem selbständigen Kunstfahnder Clemens Toussaint. Erst einmal guten Morgen, Herr Toussaint.
    Clemens Toussaint: Guten Morgen, Frau Heuer.
    "Bundesregierung kann zeigen, dass es ihr ernst ist"
    Heuer: Und dann möchte ich noch mal an Monika Grütters, gerade gehört, erinnern, die sagt, dieser Vertrag habe eine historische Dimension. Hat er das?
    Toussaint: Na ja, wenn es gelingt, das umzusetzen, hat er das in der Tat. Erst einmal hört es sich ja nach einer schönen Lösung an – schön besonders deswegen, weil alle Seiten ihr Gesicht wahren. Da ist auf der einen Seite die Bundesregierung, die besonders nach der Kritik aus dem Ausland dokumentieren kann, dass sie dieser Verantwortung noch gerecht werden will und diese Aufgabe ernst nimmt.
    Da ist auf der anderen Seite der Sammler und Eigentümer selbst, der zwar spät, aber immerhin doch anerkennt, dass die Verantwortung dieses kontaminierten Erbes eine besondere ist, und der am Ende dann wohl auch Dinge an die bestohlenen Eigentümer zurückgeben will.
    Und schließlich der Oberstaatsanwalt, der hier auch sein Gesicht wahrt, weil er doch mit der kompletten Beschlagnahme dieser Sammlung weit über sein Ermittlungsziel eigentlich hinausgeschossen ist. Insofern hört sich das erst mal nach einer quasi salomonischen Lösung an.
    "Auch aktiv nach den Nachfahren von Nazi-Opfern suchen"
    Heuer: Klingt gut, aber Sie haben auch gerade gesagt, der Vertrag hat dann diese historische Dimension und diese große Bedeutung, wenn er umgesetzt werden kann. Bezweifeln Sie das denn?
    Toussaint: Im Detail hat er natürlich Tücken. Wenn jetzt diese international besetzte Expertenkommission, neudeutsch Task Force, ein Jahr lang Zeit hat, die Herkunftsgeschichte dieser Kunstwerke zu ermitteln, dann steht sie natürlich unter enormem Ermittlungsdruck. Das ist nach meinen Erfahrungen quasi unmöglich, in zwölf Monaten so einen Job zu leisten. Aber wenn es ihr denn auch nur ansatzweise gelingt und wenn es vor allen Dingen gelingt, so wie ich das verstehen werde, eben nicht nur die Herkunftsgeschichte dieser Kunstwerke zu ermitteln, sondern auch aktiv nach den Nachfahren von Nazi-Opfern zu suchen, um mit diesen dann Lösungen zu finden, wobei noch vollkommen unklar ist, wer das dann im Einzelnen tun wird, ob das der Herr Gurlitt, seine Anwälte, der deutsche Staat oder wer auch immer dann der Verhandlungsführer ist.
    Wenn das gelingt, das wäre tatsächlich ein Paradigmenwechsel in der Provenienzforschung in Deutschland, denn es wäre dann tatsächlich so, dass man nach 70 Jahren zum ersten Mal aktiv nach Nachfahren sucht, ihnen die Hand ausstreckt und sagt, wir haben hier was und wir würden das gerne lösen.
    Nur die Frage ist, muss man dazu eine Privatsammlung haben, um das vorzuexerzieren? Frau Grütters sprach eben an, es könnte natürlich als Beispiel dienen, auch mit anderen Privatsammlungen umzugehen. Das ist richtig. Wir hatten ja vor einigen Jahren eine ähnliche Sammlung eines Kunsthändlers, der für Göring gearbeitet hat, in der Schweiz gefunden. Auch da war die Staatsanwaltschaft seinerzeit tätig. Viele solche Sammlungen gibt es noch. Gurlitt ist kein Einzelfall. Wenn der Staat sagt, wir sind dann der Treuhänder und wir übernehmen diese Aufklärungsfunktion für die Eigentümer, das ist natürlich ein interessantes Angebot, und ich kann hoffen, dass andere darauf zurückgreifen werden.
    "Kunstbestände in Deutschland überprüfen"
    Heuer: Dann bekommen Sie eigentlich Konkurrenz, Herr Toussaint. Arbeiten Sie selbst eigentlich für Erben aus der Gurlitt-Sammlung?
    Toussaint: Nein. Ich bin mit dem Fall nur am Rande befasst, weil natürlich diese Kunstwerke immer auch andere Sammlungsgeschichten tangieren. Aber ich möchte noch mal sagen, dass ich hoffe, dass jetzt hier nicht mit einer Privatsammlung quasi ein Bauernopfer gebracht wird, denn die eigentliche Aufgabe wäre es ja, mit demselben Ermittlungsdruck und vor allen Dingen auch mit derselben wirtschaftlichen Ausstattung einer international besetzten Expertengruppe sich den Dingen zu widmen, die der Staat ohnehin als Treuhänder besitzt, nämlich diese ganzen Kunstbestände, die die amerikanischen Kunstschutzoffiziere nach dem Zweiten Weltkrieg der Bundesrepublik Deutschland zu treuen Händen überlassen haben.
    Heuer: Und diese Bilder sind jetzt wo?
    Toussaint: Diese Kunstwerke befinden sich in der ganzen Republik verteilt in Museen. Deren Herkunftsgeschichte wird mehr oder weniger untersucht, aber das hat ein einziger Forscher gemacht. Und wenn man ein solches hochkarätig besetztes Team, in dem auch Mitglieder der Opferverbände sitzen, woraus dann auch sichergestellt würde, dass man tatsächlich auch Nachfahren finden kann, wenn ein solches Team sich dieser Aufgabe mal annimmt, so wie das beispielsweise jetzt die französische Regierung macht, die jetzt auch zum ersten Mal eine proaktive Provenienzforschung betreibt und sagt, wir können hier nicht einfach nur 70 Jahre sitzen und warten, dass sich jemand meldet, wir wollen das Thema jetzt auch mal irgendwie zu einem Ende bringen und deswegen haben wir auch eine Task Force zusammengestellt und suchen jetzt aktiv nach den Eigentümern, und wenn sie denn solche waren, bekommen sie diese Kunstwerke zurück.
    "Vor allem in bayerischen Sammlungen besteht Klärungsbedarf"
    Heuer: Was ist, Herr Toussaint, mit Raubkunst, deren Erben nicht oder noch nicht bekannt sind? Sei es, dass die sich in der Sammlung Gurlitt oder eben auch in deutschen Museen befinden?
    Toussaint: Wenn man die Geschichte nach dem Gleichheitsprinzip behandeln würde, dann müsste der Oberstaatsanwalt natürlich Hunderte von Kunstwerken in öffentlichen Sammlungen genauso sicherstellen, weil da Anfangsverdacht auf Raubkunst besteht, natürlich nicht in Verbindung mit einem Steuervergehen, aber das war ja ohnehin nur konstruiert, so wie ich das sehe. Vor allen Dingen in bayerischen Sammlungen findet sich da etliches, wo dringend Klärung geboten wäre, ob es sich tatsächlich um gestohlene Bilder handelt oder eben nicht.
    Heuer: Clemens Toussaint, selbstständiger Kunstfahnder. Ich habe mit ihm gesprochen über die Sammlung Gurlitt und den Vertrag, den Cornelius Gurlitt gestern mit der Bundesregierung und dem Freistaat Bayern geschlossen hat. Ich bedanke mich für das Gespräch, Herr Toussaint.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.