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Gut gemeint - schlecht gemacht
Grünflächenämter kämpfen gegen Weihnachtsbäume aus dem Topf

Rund 30 Millionen Weihnachtsbäume wurden dieses Jahr in Deutschland verkauft – darunter so viele Öko-Bäume und Tannen im Topf wie noch nie. Doch die Topftanne mit Wurzelballen ist nicht unbedingt ein Beitrag zum Umweltschutz.

Von Jens Rosbach | 27.12.2019
Ein junger Mann trägt am 08.12.2016 in Hamburg einen verpackten Weihnachtsbaum auf den Schultern. (Gestellte Szene)
Den Weihnachtsbaum mit Wurzelballen darf man im eigenen Garten einpflanzen - auf städtischen Grünflächen hat er aber nichts verloren (picture alliance / dpa / Christin Klose)
Sonnenschein, Kinderlachen und der Duft frisch geschlagenen Holzes. Der Berliner Weihnachtsbaumverkäufer Stefan Kossack macht bis Heiligabend guten Umsatz. Doch kurz vor Schluss gehen ihm die Bäume mit Wurzelballen aus. Kossack – 41 Jahre alt, blaues Basecap und grünes Cape – spricht von einem Trend zur Topftanne: "Die Topfbäume werden von Jahr zu Jahr mehr, weil die Leute schon auch so ein bisschen auch was Gutes tun wollen, den Baum nicht einfach – in Anführungszeichen – wegwerfen. Der Nachhaltigkeitsgedanke spielt da schon eine Rolle, das wird immer wichtiger."
Der Verkäufer weiß: Viele umweltbewusste Kunden wollen nach den Feiertagen keinen vertrockneten Baum auf die Straße werfen, sondern einen frischen, grünen hinterm Haus weiterleben lassen. "Das ist ein Problem, wenn man ihn dann einpflanzen will, wenn man keinen eigenen Garten hat. Ich weiß, viele Kunden verschenken den dann weiter an Bekannte oder Familie, die ein Grundstück haben. Weil, wie gesagt, im Park oder einfach so im Wald ist grundsätzlich keine gute Idee."
Enttäuschung statt Aufforstung
Jörg Marquardt hat es ausprobiert mit der nicht so guten Idee. Der 56-Jährige steht in Berlin-Kreuzberg, am Spreewaldplatz, vor einem Hochbeet. Es ist zehn mal drei Meter groß und wirkt – mit seinen kahlen Sträuchern, abgebrochenen Zweigen und leeren Schnapsflaschen - trostlos. Hier hat Marquardt, im vergangenen Januar, einen benutzten Weihnachtsbaum mit Wurzeln eingesetzt, mit viel Liebe. "Ja, wie man halt so einen Baum einpflanzt: Also dass man ein schönes Loch macht, dann setzt man ihn rein und guckt, dass die Wurzeln nicht abgeknickt werden. Und gießt ihn dann an."
Der Berliner, von Beruf Agrarökonom, wohnt direkt gegenüber, in einer WG. "Dann haben wir ihn ungefähr noch drei, vier Mal gegossen – und dann war der Baum irgendwann nicht mehr da." Jörg Marquardt vermutet, dass das Grünflächenamt seines Bezirks die Tanne wieder rausgerissen hat aus dem heruntergekommenen Hochbeet. "Ja, das ist natürlich eine Krux: Vielleicht haben sie mehr Kapazitäten, Bäume rauszuziehen wie die Flächen zu pflegen."
Gefahr durch wild gepflanzte Tannen
"Also wenn wir solche Bäume finden, dann werden die fachgerecht entsorgt, sie landen in der Regel bei der Stadtreinigung und werden der thermischen Verwertung zugeführt, sie werden verbrannt", sagt Christian Berg im Rathaus des Nachbarbezirks Berlin-Neukölln. Er ist Pressesprecher und erklärt, die Grünflächenämter der Stadt legten großen Wert auf Parkpflege, Natur- und Klimaschutz – dennoch seien sie gezwungen, illegal gepflanzte Bäume wieder zu entfernen. "Eine Gefahr ist natürlich, dass die Bäume nicht halten, weil der Boden dafür nicht geeignet ist und natürlich umkippen. Das ist natürlich ein Problem, das die Verkehrssicherheit in Grünanlagen angeht. Ein anderes Problem ist einfach, dass in einer Grünanlage nicht willkürlich alle möglichen Bäume gepflanzt werden. Sondern die Pflanzen müssen sich miteinander vertragen, sonst machen die sich gegenseitig Konkurrenz. Und deswegen kann man nicht willkürlich Weihnachtsbäume dort verpflanzen."
Die meistverkauften Weihnachtsbäume, die Nordmanntannen, seien auch kein einheimisches Gewächs und sehr empfindlich, betont Bezirkssprecher Berg: "Dann ist es auch sehr unwahrscheinlich, dass – wenn ich im Januar einen Baum nicht mal fachgerecht verpflanze – der den Winter überlebt."
Weihnachtsbäume müssen sich akklimatisieren
Umwelt-Verbände sehen das ähnlich. So empfiehlt der Bund für Umwelt und Naturschutz allen Baumkäufern, die keinen eigenen Garten haben, eher eine geschlagene Tanne mit Bio-Siegel als eine Tanne mit Wurzelballen. Wer jedoch ein eigenes Grundstück habe, so BUND-Expertin Corinna Hölzel, sollte eine einheimische Rotfichte oder Kiefer im Topf besorgen -und jedes Jahr wiederverwenden: "Der Weihnachtsbaum sollte, wenn er den Übergang von draußen, im Freien, zu drinnen, in der Wohnung, sollte er eine Übergangsfrist haben so zwei, drei Tage, in hellen, aber frostfreien kühlen Räumen stehen. Also im Wintergarten, im Treppenhaus, in der Garage. Damit er sich langsam an die wärmeren Temperaturen gewöhnen kann. Und zurück genau das Gleiche wieder: Wenn er vom Zimmer kommt, sollte er nochmal übergangsweise zwei, drei Tage im frostfreien Kühleren stehen, damit er nicht diesen Schock bekommt gleich von ganz Heiß auf ganz Kalt."
Die Naturschützerin bilanziert: Wer seinen Tannenbaum mit Wurzeln wirklich liebt, sollte sich bald wieder von ihm trennen: "So zwischen Weihnachten und Silvester, das ist okay, aber länger nicht. Also der Baum sollte spätestens zu Silvester wieder raus."