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Gute Bedingungen

Wenn von erneuerbaren Energien die Rede ist, dann wird oft von der Sonnen-, der Wasser- oder der Windkraft geredet. Weniger im Gespräch ist die Erdwärme, die sogenannte Geothermie. In Ungarn hingegen ist das völlig anders.

Von Jan-Uwe Stahr | 31.03.2010
    Über 1000 Liter Wasser pro Minute rauschen aus dem Bohrloch am Rande der südwest-ungarischen Kleinstadt Szentlörinc. Es kommt aus einer Tiefe von rund 1700 Metern und ist 80 Grad heiß – genug, um damit 900 Wohnungen per Fernwärmenetz zu beheizen und es anschließend zurück in die Erde zu pumpen, wo es sich erneut erhitzen kann. Szentlörinc kann sich jetzt weitgehend unabhängig machen von den immer teuerer werdenden Erdgas-Importen aus Russland.

    Nicht nur im Südwesten Ungarns sondern im gesamten Karpatenbecken sind die Voraussetzungen optimal für die geothermische Energiegewinnung: Die Erdkruste ist dünner als anderswo in Europa und in ihr lagern gigantische Wasserreservoirs, die durch das Erdinnere aufgeheizt werden. Nun soll das Geothermie-Projekt in Szentlörinc den Auftakt geben, für eine Energiewende, sagt György Horuczi. Der Entwicklungs-Chef von "Pannergy" ist dabei, Ungarns einstmals größten Kunststoff-Hersteller zum führenden Anbieter von grüner Energie zu etablieren. Und versucht, immer mehr Städte und Gemeinden für die Geothermie-Erschließung zu gewinnen.

    "In Ungarn haben wir bereits Verträge mit 31 Kommunen und in Kürze werden zehn weitere dazu kommen."

    In öffentlich-privater Kooperation sollen die Heißwasser-Vorkommen per Tiefenbohrung angezapft werden. Auch große Städte wie das 174.000 Einwohner zählende Miskolc wollen mitmachen. Das Interesse der Kommunen an den erneuerbaren Energiequellen sei riesengroß, sagt Horuczi.

    "Es ist einfach unglaublich. Aber die Kommunen haben überall die gleichen Sorgen: Arbeitslosigkeit, soziale Probleme, immer weiter steigende Kosten bei der öffentlichen Heizungsversorgung."

    Die Geothermie könnte nicht nur die Heizkosten senken und die Energiesicherheit erhöhen, so die Hoffnung, sondern auch die lokale Wirtschaft stärken und wettbewerbsfähige neue Arbeitsplätze schaffen. Zum Beispiel durch den ganzjährigen Gemüse-Anbau in geothermisch beheizten Gewächshäusern,

    "Wenn wir sehen, dass fast das ganze Jahr über zehn Millionen Ungarn mit spanischen Tomaten versorgt werden. Dieser weite Transport von Gemüse ist doch Energieverschwendung und alles andere als nachhaltig. Und auf der anderen Seite haben wir hier die Geothermie, also die Energie, wir haben die unbeschäftigten Leute, wir haben die Arbeitskraft und den Markt von zehn Millionen Verbrauchern- also da sollten wir doch besser unsere Versorgung unserer Städte und Regionen in die eigenen Hände nehmen. Auf der Basis der Geothermie."

    Preislich stabile Energiekosten, wie die erneuerbare Energie aus der Tiefe sie garantiere, sei auch ein interessanter Standortfaktor für neue Gewerbe- und Industriebetriebe. Kaum zu glauben, dass die ökonomischen Potenziale der Geothermie in Ungarn bisher kaum genutzt wurden. Der Grund dafür, so György Horuczi, sei die mächtige Lobby der ausländischen Energiekonzerne, sie beherrschen Ungarns Gasmarkt und hätten die bisherige Regierung aus Sozialisten und Liberalen von einer Energiewende abgehalten.

    "In den letzten Jahren haben wir diese Erfahrung immer wieder gemacht: Wir wollten mit der Regierung kooperieren. Aber die Regierung wollte nicht mit uns kooperieren. Deshalb haben wir die Kontakte direkt zu den Kommunen gesucht."

    Nicht nur zum Beheizen von Wohnblocks und öffentlichen Gebäuden ist die CO2-freie geothermische Energie interessant, sondern auch für die Stromerzeugung. Wasser, das die dafür notwendigen Temperatur über 100 Grad Celsius hat, gibt es vielerorts schon in 2000 Metern Tiefe. Doch die Geothermie alleine reiche nicht aus, um die Stromversorgung des Landes überregional zu sichern. Hinzu kommt, dass Ungarn bisher unbeirrt auf den Ausbau der Atomenergie setzt.

    Also konzentriert man sich bei Pannergy vorerst vor allem auf die geothermische Wärmeversorgung in einzelnen Regionen. Eine nationale Koordination und Unterstützung von der Regierung in Budapest könnte diese Entwicklung aber noch erheblich vereinfachen und beschleunigen.