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"Gute-Kita-Gesetz"
"Versprechungen, die möglicherweise nicht eingehalten werden können"

Die vom Bund versprochenen 5,5 Milliarden Euro für Kitas seien ein positives Signal, so Uwe Lübking vom Deutschen Städte- und Gemeindebund im Dlf. Allerdings reiche diese Summe nicht aus, um in Zukunft die Betriebskosten der Kitas zu decken. Und nach wie vor fehle es an Personal.

Uwe Lübking im Gespräch mit Martin Zagatta | 18.10.2018
    Uwe Lübking, Beigeordneter des Deutschen Städte- und Gemeindebundes
    Das Geld für die Kitas darf nicht in den Länderhaushalten verpuffen, so Uwe Lübking (dpa / Soeren Stache)
    Martin Zagatta: Was bringt das "Gute Kita"-Gesetz in der Praxis? Das kann ich jetzt Uwe Lübking fragen vom Deutschen Städte- und Gemeindebund. Hallo, Herr Lübking!
    Uwe Lübking: Herr Zagatta, ich grüße Sie.
    Zagatta: Herr Lübking, 5,5 Milliarden mehr für die Kitas. Ich nehme an, Sie sind begeistert.
    Lübking: Auf jeden Fall ist es zumindest erst mal ein positives Signal, dass der Bund auch hier aktiv wird, sich um die Qualität in der Kinder-Tagesbetreuung kümmern will und mit knapp 5,5 Milliarden hier Geld in die Hand nehmen will. Aber es stellen sich natürlich auch einige Fragen. Zum einen: Was passiert nach 2022? Wenn man das Geld in die Personaloffensive steckt, das heißt, die Personalschlüssel verbessert, wird das automatisch zu höheren Kosten führen, in den Kitas, für die Kommunen, und die müssen auch nach 2022 weiterfinanziert werden.
    Es stellt sich die Frage: Wenn wir insbesondere am Personal arbeiten wollen, mehr Personal einstellen wollen, wie gewinnen wir dieses Personal überhaupt? Jetzt hören wir schon von vielen Kommunen, dass es ihnen gar nicht gelingt, Erzieherinnen und Erzieher zu finden. Also gibt es hier auch möglicherweise Versprechungen, die gar nicht eingehalten werden können.
    Zagatta: Das wäre ja durch höhere Löhne unter Umständen zu machen. – Gehen Sie denn davon aus – das haben wir jetzt in dem Beitrag gerade gehört, dass es da Zweifel gibt -, dass das Geld dann bei Ihnen ankommt, dass die Länder das tatsächlich weitergeben? Wie sind da Ihre Erfahrungen oder Ihre Erwartungen beim Deutschen Städte- und Gemeindebund?
    Lübking: Auch da haben Sie vollkommen recht. Das muss noch klarer geregelt werden. Wir hätten es am liebsten, wenn es nicht über Umsatzsteuer-Anteile an die Länder ginge, sondern wenn ganz konkrete Vereinbarungen getroffen werden mit den Ländern, wo auch genau vermerkt ist, wie viel Geld fließt für welche Qualitätsverbesserung, dass das entsprechend nachgeprüft werden kann. Und natürlich muss sichergestellt sein, dass das Geld dann auch tatsächlich bei den Kommunen ankommt und nicht irgendwo in den Länderhaushalten verpufft.
    "Sicherstellen, dass das Geld nicht in den Länderhaushalten verpufft"
    Zagatta: Da haben Sie Zweifel?
    Lübking: Da haben wir Zweifel. Wir haben da schon unsere Erfahrungen gemacht, ob das jetzt die Integrationspolitik ist, oder auch andere Beispiele, wo Mittel des Bundes, die mit guter Absicht an die Kommunen gegeben werden sollten, dann nicht eins zu eins angekommen sind. Das muss sichergestellt werden, weil sonst bleiben ja die Kommunen auf diesen Kosten sitzen. Genauso muss sichergestellt werden, dass das, was die Länder mit dem Bund vereinbaren, was will das Land denn an Qualitätsverbesserung machen, dass das auch mit den Kommunen in dem jeweiligen Land abgestimmt wird, damit man gemeinsam schauen kann, wo wollen wir denn hier bei der Qualität ansetzen und wo ist hier der tatsächliche Bedarf.
    Zagatta: Jetzt haben wir in der Vergangenheit schon gehört, dass die Kitas in Deutschland vielerorts unter akuter Finanznot leiden, weil Trägern wie Kirchen, wie Kommunen oder Wohlfahrtsverbänden das Geld auszugehen droht. Da heißt es oder da hieß es auch in der Vergangenheit, die Städte und die Gemeinden, die sollten einspringen. Können Sie das?
    Lübking: Weitgehend wird es kommunal finanziert. 75 Prozent der Kosten der Kitas werden von Kommunen und Ländern übernommen. Und wenn Sie mal sehen, dass die öffentlichen Ausgaben für Kinder-Tagesbetreuung von 2010 – da haben wir noch 16 Milliarden ausgegeben – jetzt aktuell werden wir wahrscheinlich irgendwo bei 28 Milliarden Euro liegen. Dann sieht man, dass hier die Kommunen massiv investiert haben und auch noch investieren müssen.
    Denn es ist ja noch nicht so, dass der Ausbaubedarf für die Kinder schon gedeckt ist. Wir haben höhere Zuzüge, wir haben mehr Geburten, wir haben Wanderungsbewegungen, die Aufnahme der Kinder der Geflüchteten, die zu uns gekommen sind. Alles das fordert ein Mehr an Plätzen. Es gibt Berechnungen des Deutschen Jugendinstituts, wenn man bis hin zu dem Mehrbedarf ganztags für Grundschulkinder rechnet, dass wir bis 2025 noch 1,2 Millionen zusätzliche Plätze bauen müssen. Das zeigt, welche enorme Aufgabe hier noch auch auf die Kommunen zukommt, dieses schultern zu können.
    Zagatta: Sind da diese 5,5 Milliarden auch nur einigermaßen ausreichend?
    Lübking: Nein, sie sind nicht ausreichend. Allein wenn ich mir vorstelle, wir wollten in die Qualität so reingehen, dass wir die besten Personalschlüssel anwenden würden, bräuchten wir mit Sicherheit acht Milliarden. Wir haben mal ausgerechnet, wenn wir jetzt diese Plätze, die ich geschildert habe, tatsächlich einrichten, werden wir zusätzliche Betriebskosten noch einmal von 18 Milliarden Euro haben. Hier reden wir von ganz anderen Größenordnungen.
    Zagatta: Wie ist es dann? Auf der einen Seite: Der Bund gibt jetzt mehr Geld. Auf der anderen Seite ist in dem Gesetz ja jetzt auch festgelegt, dass die Eltern oder viele der Eltern weniger zahlen. Bleibt da überhaupt viel übrig, oder ist das eine Milchmädchenrechnung?
    Lübking: Wir sehen die Diskussion über die Beitragsfreiheit sehr kritisch. Es ist sicherlich richtig zu überlegen, wie kann ich die Beiträge so staffeln, dass Menschen mit einem geringen Einkommen hier nicht belastet werden. Aber die Möglichkeiten gibt es bereits jetzt im Gesetz, auch die Möglichkeit, dass ich über die sogenannte wirtschaftliche Jugendhilfe, wenn ich nicht leistungsfähig bin, die Kosten auch erstattet bekomme, dass die entsprechend übernommen werden.
    Aber die Beitragsfreiheit kann nicht das vorrangige Ziel sein, wenn ich noch in Qualität investieren muss. Und es ist ja erstaunlich: Auch in Berlin haben wir relativ schlechte Personalschlüssel, aber hier wird dann die Beitragsfreiheit eingeführt. Ich glaube, dass den Kindern und Eltern mehr geholfen würde, wenn das Geld in die Qualität investiert würde.
    "Die Länder dürfen nicht aus der Verantwortung genommen werden"
    Zagatta: Berlin macht das; das haben Sie gesagt. Andere Bundesländer machen es auch; andere wollen nicht mitziehen. Ist das für Eltern dann auch Glückssache, gerade wenn man mehr Kinder hat, in welcher Stadt oder in welchem Bundesland man wohnt?
    Lübking: Das ist sicherlich im Augenblick so. Aber das ist Sache der Länder. Das muss man hier sowieso noch einmal betonen. Die Länder dürfen hier nicht aus der Verantwortung genommen werden. Sie sind für die Qualität verantwortlich. Deshalb kann es auch kein Bundesqualitätsgesetz geben. Das ist nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz eine ausdrückliche Aufgabe der Länder, dies zu tun, und das können sie dann auch. Wenn die Länder sich entscheiden, wir nehmen die Beitragsfreiheit als eine Maßnahme, dann können sie dies tun. Das ist dann für die Kommunen aber auch ein sicherer Weg, weil dann die Kommunen mit den Ländern darüber reden können, wer ihnen die entgehenden Einnahmen erstattet. Dann sind nämlich die Länder in der Pflicht.
    Wir müssen jetzt auch noch mal auf dieses "Gute Kita"-Gesetz zurückkommen. Wir müssen auch sehen, dass die Länder das Geld des Bundes nicht dafür nutzen, ihre Aufgaben damit zu finanzieren, sondern das Geld sollte zusätzlich in die Qualitätsverbesserung gehen.
    Zagatta: Gilt das auch für die Kommunen? Sie heben ja ihre Steuern auch kräftig an und müssten eigentlich das Geld haben. Die Wirtschaft floriert, man nimmt mehr ein. Es müsste doch eigentlich Geld da sein für solche Aufgaben?
    Lübking: Deshalb wird ja auch investiert. Aber das Geld ist auch kommunal nicht flächendeckend überall vorhanden. Die Heterogenität nimmt auch hier zu. Wir haben sicherlich viele Kommunen, die gute Einnahmen haben, aber wir haben auch noch ziemlich viele Kommunen, die in der Haushaltssicherung sind und die diese Einnahmen nicht tätigen können. Hier sind Bund und Länder auch gefordert, diese Heterogenität zu beseitigen, weil hier geht es um Bildungschancen von Kindern und das darf nicht vom Geldbeutel einer Kommune abhängig sein.
    Zagatta: Herr Lübking, als der Rechtsanspruch auf Kitabetreuung eingeführt wurde, da hatten Sie, da hatte der Städte- und Gemeindebund auch große Befürchtungen, dass das möglicherweise eine große Klagewelle gibt. Hat sich das mittlerweile erledigt?
    Lübking: Nein. Die große Klagewelle ist Gott sei Dank ausgeblieben. Wir haben einzelne Klagen nach wie vor. Aber wenn man die Elternproteste etwa hier auch in Berlin gesehen hat, dann weiß man, es gibt in einzelnen Regionen immer noch einen großen Nachholbedarf bei der Schaffung von Plätzen. Wir erleben es ja, dass die Menschen in die Ballungszentren ziehen. Dort werden auch mehr Kinder geboren und da muss der Bedarf abgedeckt werden. Und dann liegt es nicht immer nur an der Finanzkraft der Kommunen.
    Mir haben auch schon Städte etwa im süddeutschen Raum berichtet, dass sie Kitas gebaut haben, alles ist fertig, aber jetzt haben sie schlichtweg nicht die Erzieherinnen und Erzieher, trotz der doch massiven Gehaltssteigerungen, die wir für den Bereich zumindest der Kommunen in den letzten Jahren hier hatten. Es zahlen ja auch nicht alle Träger gleich.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.