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Gute Stimmung trotz trüber Aussichten

Wolfgang Herrndorfs Erzählungen in "Diesseits des Van-Allen-Gürtels" spielen in unterschiedlichen sozialen Milieus, verschiedenen Gegenden und zu unterschiedlichen Zeiten, aber am Ende doch stets mitten in unserer Gegenwart. Die Geschichten über alltägliche Dramen werden erträglich durch die Komik, die der Autor noch den übelsten Situationen abgewinnt.

Von Martin Lüdke | 17.04.2007
    Der Mann ist gut. Er kann erzählen. Und er erzählt auch, Geschichten, deutsche Geschichten. Schon sein Debüt war spektakulär. Leider haben es nur wenige bemerkt. "In Plüschgewittern", 2002 bei Zweitausendeins erschienen und heute noch lieferbar, das erste Buch des gelernten Malers Wolfgang Herrndorf, ist ein Roman aus der Mitte Berlins und dem Zentrum einer verlorenen Generation. Herrndorf hat an der Kunsthochschule Nürnberg studiert, danach einige Zeit für die "Titanic" gezeichnet, auch Buchumschläge für den Haffmans Verlag entwickelt und dann angefangen zu schreiben.

    Sein Held, ein Endzwanziger, bewegt sich im Stillstand, aber mit zunehmender Beschleunigung. Wie in den besten Geschichten Judith Hermanns, etwa der Titelgeschichte von "Sommerhaus, später", trifft auch Wolfgang Herrndorf, wenn nicht den Geist der Zeit, dann doch das Bewusstsein (s)einer Generation. Vor allem die Dialoge seiner Figuren transportieren wie nebenher eine besondere Stimmung, das spezifische Lebensgefühl seiner Altersgenossen, allerdings nicht das der Anwälte, Investmentbanker und Unternehmensberater, sondern der Generation Praktikum: Typen, die keine Arbeit haben, aber immer auf der Suche sind. Nach abgeschlossenen Studium und zusätzlichen Qualifikationen hoffen sie auf ein Volontariat.

    Sie werden älter, aber es wird nichts aus ihnen. Ihre soziale Position ist die Schwelle, immer einen Joint zur Hand, immer Bier im Auto. Keine Aussichten, nirgendwo. Ihre Grundeinstellung zum Leben ist, notgedrungen, kontemplativ. Sie hängen durch, weil man sie hängen lässt. Doch sie haben trotzdem ihren Spaß und zum Teil sogar gute Einfälle.

    Herrndorf gehört zu einem Kreis von Leuten, die sich, ernsthaft spielerisch Z.I.A. nennen, Zentrale Intelligenz Agentur, im Internet eine "Riesenmaschine" (www.riesenmaschine.de) betreiben, viel Wind, auch im Leerlauf, machen, aber nicht wirklich erklären können, worin ihre Tätigkeit eigentlich besteht und wovon sie leben. "Zentrale Intelligenz Agentur - Analyse und Design kultureller Phänomene. Wir sind da, wo der Zement konkret wird, wo sich Milhouse und Luhmann guten Tag sagen."

    Herrndorfs Heldin, eine junge Frau namens Heidi, hält "das" für "erkennbar sinnlos, aber letztlich auch nicht sinnloser als alles andere, was man in den letzten Jahren so gesehen hatte". Wolfgang Herrndorf selbst wird von der ZIA als IM, das heißt Informeller Mitarbeiter, geführt Er besteht aber darauf, dass sich seine Mitarbeit auf diesen Eintrag beschränkt. Und er sagt auch, er lebe vom Schreiben. Mag sein. Sicher beschreibt er sein Leben. Man spürt, beim Lesen, wie hinter dem coolen Ton noch etwas von der Angst nachzittert, der sich Tonlage verdankt.

    Die neuen Erzählungen, deutlich breiter als der Roman angelegt, spielen in unterschiedlichen sozialen Milieus, verschiedenen Gegenden und zu unterschiedlichen Zeiten, aber am Ende doch stets mitten in unserer Gegenwart. Die letzte Geschichte des Bandes, "Zentrale Intelligenz Agentur", beschreibt die Gründungsveranstaltung dieser Vereinigung, buchstäblich einen Fest-Akt. In einem vergammelten Schloss der Mark Brandenburg irgendwo hinter Wettin mitten in einem menschenleeren Dorf trifft sich eine Szene, die jeder kennt, der sich im Literaturbetrieb auch nur etwas auskennt. Die Geschichte scheint sehr simpel gestrickt, als Satire auf unseren Medien-Zirkus. Als "Deko" gedacht, war die "aktuelle Stanze" vom Literaturinstitut in Leipzig, das heißt ein ganzer Jahrgang langhaariger, schreibender Mädchen eingeladen, dazu hatten sich viele der Figuren eingefunden, die sich zwischen Open-Mike und Klagenfurt tummeln. Was hier scheinbar eins zu eins berichtet wird, immer dicht an der Oberfläche solcher Unternehmungen entlang, erweist sich aber, bei näherem Blick, als treffende Beschreibung eines Kulturbetriebs, der genau nach diesem Muster gestrickt ist.

    Einige von Herrndorfs Geschichten zeigen auch eine sichtbare Nähe zu Ingo Schulze, der in seinen neuen Erzählungen, ebenfalls bewusst kunstlos, beansprucht, wirklich die Wirklichkeit zu beschreiben. Wie Schulze knüpft auch er ein dünnes Netz, in dem seine Figuren Halt finden. Es hat etwas Zufälliges, wie sie durch das Geschehen wandern. Der Held der einen wird zur Randfigur einer anderen Geschichte. Franco, ein Kunststudent, der aus dem "Weg des Soldaten" auch deshalb in Erinnerung bleibt, weil er für das Röntgenbild eines verschluckten Zinnsoldaten ("Das Militär auf dem Weg zum Arsch") einen Kunstpreis gewonnen hat, tritt später noch einmal auf. Er tanzt mit Christine, der Gastgeberin eines Festes, zu dem ihr Freund nicht kommt, weil er, wie wir aus der Titelgeschichte erfahren, auf dem Balkon einer gerade frei gewordenen Nachbar-Wohnung versackt ist. Mit einer Flasche Martini, die er für das Fest gekauft hatte, und einer halben Flasche Sherry, die er aus seiner Wohnung nachholt, um auch den Sherry noch gemeinsam mit einem 13-jährigen Jungen auszutrinken. Die beiden Figuren, der Mann und der Junge, trinken, rauchen, reden, und der Ältere zerstört dem Jüngeren bewusst alle Hoffnungen, einmal Kosmonaut zu werden. Er behauptet, mit Hinweis auf den Van-Allen-Gürtel, einer Zone hoch radioaktiver Strahlung, dass bemannte Raumfahrt unmöglich und auch die Mondlandung nur eine Hollywood-Inszenierung gewesen sei. Hin und wieder versucht er vergeblich, seine Freundin telefonisch zu erreichen. Auf seinem Anrufbeantworter wiederum fragt sie verzweifelt, wo er denn bleibe. Das Ergebnis ist für alle Beteiligten trostlos. Die Art, wie es beschrieben wird, unsentimental, pointiert, mit treffenden Dialogen, dagegen faszinierend.

    Herrndorf zeigt sich hier als nüchterner Romantiker. Er kennt sich aus in der Kunstgeschichte. Es finden sich viele direkte und mehr noch versteckte Verweise. Am Ende dieser Erzählung, als wäre es in einem Bild von Caspar David Friedrich, wirft der Mond sein fahles Licht über die trübe Szene. Die Tragödie ist zu Ende, das alltägliche Drama geht weiter.

    Herrndorfs Geschichten werden erträglich durch die Komik, die er noch den übelsten Situationen abgewinnt. Seine Menschen, irgendwie einsam, irgendwo verloren, treffen oft zufällig und oft auch nur kurz aufeinander. Sie reden aneinander vorbei, trinken miteinander, spielen, zum Beispiel zusammen Tischtennis, und driften dann, folgenlos, wieder auseinander. Sie haben, als Ahnung stößt es auf, irgendwie Angst, sind elementar verunsichert. Aber nichts passiert. Es sind oft rätselhafte Geschichten, gerade weil nichts passiert. Es gibt kein verborgenes Geheimnis. Nur trübe Aussichten und eine gute Stimmung. Fazit: ein dolles Buch.

    Wolfgang Herrndorf: Diesseits des Van-Allen-Gürtels. Erzählungen
    Eichborn Verlag, Frankfurt am Main, 2007
    188 Seiten
    17,90 Euro