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Gutes Gespür

Würgeschlangen vergiften ihre Opfer nicht, sondern erdrücken sie, auch wenn das sehr anstrengend ist. Um nicht unnötig Kraft zu vergeuden, orientieren sie sich offenbar am Herzschlag ihres Fangs, wie Forscher aus den USA zeigen konnten.

Von Katrin Zöfel | 18.01.2012
    Schlangen sind seltsame Produkte der Evolution. Sie stammen von Vorfahren ab, die wie heutige Echsen Vorder- und Hinterbeine hatten. Und doch nahmen sie den Weg hin zur einfachen Form, scheinbar rückwärts in der Evolution Richtung Wurm. In den hundert Millionen Jahren seitdem lernten Schlangen, wie man sich auch ohne Extremitäten in der Welt durchsetzt.

    "Das ist es, was mich an Schlangen so fasziniert: Sie haben keine Beine. Alles was sie tun, müssen sie ohne Beine hinbekommen, die Fortbewegung, die Paarung, und das Beutemachen. Und trotzdem kommen sie in der Natur zurecht. Wie machen sie das?"

    Das fragt Scott Boback, Forscher am Dickinson College in Carlisle. Evolutionär betrachtet hielten sich Schlangen zunächst an einfache Beute, kleine ungefährliche Tiere. Später lernten sie größere Brocken zu verschlingen und zu verdauen, bis zu anderthalbmal so schwer wie sie selbst. Das hieß: Nur noch ein paar Mal im Jahre Beute suchen, fangen und fressen. Doch so große Beute mussten die Tiere erst einmal überwältigen. Ihr Trick: Sie erdrücken ihre Opfer - langsam aber sicher.

    "Wir interessieren uns dafür, wie genau Schlangen ihre Beute erdrücken. Und die spannende Frage: Woher weiß eine Schlange, wann sie wieder loslassen kann."

    Scott Boback und einige seiner Studenten ließen deshalb in seinem Labor junge Boas immer wieder Beute machen. Als Beutetier nutzten sie tote Ratten, in deren Brustkorb sie - durch die Rattenkehle hindurch - zwei dünne Röhren einführten. Die eine Röhre war verbunden mit einem Druckmessgerät, so konnten sie genau mitverfolgen, wie stark die Schlange zudrückte. An der zweiten Röhre befestigten sie einen winzigen Ballon.

    "Dieser Ballon war mit Wasser gefüllt und über die Röhre war er mit einer Pumpe verbunden. Diese Pumpe pumpte Wasser in den Ballon rein und wieder raus. Damit simulierten wir das schlagende Herz in der Ratte."

    Damit sich die Ratte für die Schlange tatsächlich wie eine interessante, lebende Beute anfühlte, heizte Boback die Rattenkörper außerdem behutsam auf Lebendtemperatur hoch.

    "Ich werde den Anblick nie vergessen, wie wir die erste Ratte mit diesem simulierten Herz der Schlange angeboten haben. Die Boa biss zu, legte ihre Schlingen um die Ratte und drückte und drückte. Wir ließen das falsche Herz immer weiter laufen. Und tatsächlich die Schlange passte ihre Schlingen zwar immer wieder ein wenig an, aber sie presste und drückte einfach immer weiter. Sie hatte also offenbar den Eindruck, sie müsse weiter versuchen, die Ratte zu töten."

    Im Schnitt mühten sich die Schlangen 20 Minuten lang vergebens ab. Dann waren sie erschöpft. Boback testete dann, was die Schlangen mit Ratten machen, deren falsches Herz gar nicht schlägt, und was passiert, wenn er die Pumpe nach einiger Zeit einfach abschaltete.

    "Die Schlangen drücken auch bei den Ratten ganz ohne das schlagende Herz erst einmal zu, aber nicht so fest und sie lassen viel schneller wieder los. Wenn wir die Pumpe erst einmal laufen ließen und dann abstellten, passten die Boas auch daran ihre Verhalten an, kurz nachdem der gefälschte Pulsschlag erlischt, lockt die Schlange ihren Griff. Wir glauben deshalb, dass die Schlangen den Herzschlag erfühlen können, und so feststellen, ob ihre Beute tot ist."

    Aus Sicht der Schlangen ist es sinnvoll nur so lange kräftig zuzudrücken wie unbedingt nötig. Dass sie sich dabei auf den Herzschlag konzentrieren und nicht etwa auf die Atmung, erklärt sich womöglich daher, dass viele ihrer Beutetiere Amphibien sind. Amphibien können nämlich anders als Säugetiere auch dann überleben - und dem Räuber wieder entkommen -, wenn sie lange am Atmen gehindert wurden. Dem Schlangenbiologen Harry Greene von der Cornell University jedenfalls gefällt die neue Studie.

    "Ich finde sie wirklich spannend. Das Ergebnis leuchtet auf Anhieb ein, aber bisher hat das noch niemand wirklich nachweisen können. Ich würde jetzt gerne sofort testen, was passiert, wenn man dasselbe mit ein paar anderen Schlangenarten ausprobiert."