Donnerstag, 28. März 2024

Archiv


György Ligeti in Bremen

"Le Grand Macabre" - das ist die Oper, die herauskam, als György Ligeti mal etwas Skurriles, Groteskes und Gefährliches komponieren wollte. In der Inszenierung der Oper in Bremen wirkt das Werk jetzt nicht mehr so gefährlich.

Von Christoph Schmitz | 22.09.2007
    Man fühlt sich ein wenig an Wolfgang Schäubles Terrorwarnung und -beschwichtigung erinnert: Die schmutzige Bombe kommt, aber wir sollten uns die Zeit bis dahin nicht verderben lassen. In Ligetis Oper "Le Grand Macabre" singen am Ende alle, der Tod kommt, "doch nicht heut, und wenn er kommt, dann ist's soweit... Lebt wohl so lang in Heiterkeit!" Das ist kein wirklicher Trost, wenn man bedenkt, dass die Menschheit in der Oper an ihrem Untergang gerade so vorbeigeschlittert ist. Der große Sensemann Nekrotzar, der große Macabre also, hatte einen Kometen herbeibeschworen, um dem absurden und grotesken Treiben im surrealen "Breughelland" ein Ende zu setzten. Die Frau des Astrologen trieb es mit ihrem Mann sadomasochistisch, der verfressene Fürst Go-Go musste sich von seinen dämlichen Ministern malträtieren lassen, und Nekrotzar selbst spannte den versoffenen Weinabschmecker Piet vom Fass und den devoten Astrologen Astradamors als Gäule vor seinen Vernichtungskarren. Diese ganze alptraumartige Breughel-, Hieronymus Bosch-, Jarry- und Becket-Welt hat die neue Bremer Inszenierung kräftig gezähmt. Und das ist weder ein Trost, noch hilft sie dem Zuschauer weiter. Was man in Bremen gestern Abend sah, war harmlos und bedeutungsarm. Tatjana Gürbaca hat den Mummenschanz in einen sterilen weißen Raum aus Kunststoffplatten verlegt. Der wird nur von einer riesigen Glühbirne mit Kunstlicht beleuchtet. Die Fensterfront lässt sich nicht öffnen. Draußen ist es immer dunkel. Und die Figuren im Kasten sind Leute von heute in Büroanzügen und Freizeitklamotten. Was sie einander antun, scheint sie gar nicht zu quälen. Marionettenhaft und pantomimisch treiben sie ihre Mätzchen. Sogar das Liebespaar Amanda und Amando, dem Ligetis Musik sinnliche, tiefe, jenseitige Klänge verliehen hat, lebt nur noch seinem kleinen lesbischen Sex. Was will uns Gürbaca damit sagen? dass die Grotesken von Breughelland längst unter uns sind? Aber um unsere Wirklichkeit mit ihrer Tyrannei des Individualismus, ihrer Pornografisierung der Gefühle und ihrer metaphysischen Verödung steht es doch viel schlimmer. Oder wollte die Regisseurin zeigen, dass wir alle durch mediale Katastrophenmeldungen einer Hysterie verfallen sind? Ihr Todbringer Nekrotzar verwandelt sich tatsächlich zu einem die Apokalypse verkündenden Medienstar. Was übrigens zu dem klaustrophobisch anmutenden Miniraum der Handlung nicht richtig passt. Meint Tatjana Gürbaca also, wir sollen uns über Klimakatastrophe, Terrorismus und demographischen Kollaps nicht so aufregen, weil es doch nur verlogene Einflüsterungen der Presse sind? Das kann sie nicht im Ernst meinen, obwohl ihr Opernschluss darauf hinausläuft.

    Die Tiefe der Angst vor der Vernichtung und die heilende Kraft der Liebe liegt allein in der Hand der Musik. Der Dirigent Daniel Montané entlockte der äußerst komplexen Partitur diese existenziellen Momente, ohne den musikalischen Schabernack abzuschwächen. Und er ließ immer wieder fein herausgearbeitet die musikalischen Traditionslinien von Monteverdi über Beethoven bis zu Ligetis früheren Werken erklingen. Auch die Sänger meisterten ihre höchst anspruchsvollen Partien leicht und natürlich und spielten mit der Lust echter Mimen. Allen voran Fredrika Brillembourg als Frau des Astrologen, Mescalina, und Matthias Koch als Fürst Go-Go und Markus Marquardt als Nekrotzar. Das tröstete ein wenig über die Schwächen der Inszenierung hinweg. Allerdings muss man der Regisseurin zugestehen, dass schon Peter Sellars mit seiner Salzburger politischen Macabre-Deutung und Barrie Kosky mit seiner Berliner Klamauk-Arbeit an diesem Stück schon gescheitert sind. Sogar Ligeti selbst hatte sich von seiner Arbeit distanziert, die zumindest als Libretto früh gealtert zu sein scheint.