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Gysis Rückzug
"Er war das Gesicht unserer Fraktion"

Der scheidende Fraktionschef der Linkspartei, Gregor Gysi, werde nicht einfach zu ersetzen sein, sagte die Linken-Politikerin Martina Renner im DLF. Für die geplante Doppelspitze der Fraktion ist auch Renner selbst im Gespräch. Sie bezeichnete sich als Konsens-orientiert. Eine Regierungsbeteiligung im Bund bleibe auch ohne Gysi eine Option, betonte Renner.

Martina Renner im Gespräch mit Bettina Klein | 08.06.2015
    Die Obfrau der Linksfraktion im NSA-Untersuchungsausschuss, Martina Renner.
    Die Obfrau der Linksfraktion im NSA-Untersuchungsausschuss, Martina Renner. (dpa / picture-alliance / Daniel Naupold)
    Bettina Klein: Gregor Gysi tritt nicht mehr als Fraktionschef der Linkspartei im Deutschen Bundestag an im Oktober, wenn die neuen Wahlen stattfinden. Das hat er gestern beim Parteitag in Bielefeld erklärt. Und nun herrscht Rätselraten auch in der Partei selbst, wie es denn weitergehen soll.
    Am Telefon begrüße ich Martina Renner, seit knapp zwei Jahren Mitglied der Bundestagsfraktion und Mitglied im thüringischen Landesverband. Guten Morgen, Frau Renner.
    Martina Renner: Guten Morgen, Frau Klein.
    Klein: Nach dem gestrigen Tag die Eine Million Euro Frage auch an Sie: Wie geht es weiter an der Spitze der Fraktion?
    Renner: Sie haben ja eben unsere Parteivorsitzende Katja Kipping gehört. Der geschäftsführende Parteivorstand wird im Juni einen Vorschlag unterbreiten und die Fraktion wird dann im Herbst einen neuen Fraktionsvorstand wählen. Die Entscheidung von Gregor Gysi ist natürlich für uns schon sehr bedeutend, das muss ich sagen, weil er war das Gesicht unserer Fraktion.Er war über unsere Wähler und Sympathisanten hinaus geschätzt für seinen Wortwitz und sein Charisma und wir verlieren natürlich damit auch für die Fraktion jemand, der sich sehr strategisch und auch immer wieder irgendwie orientiert hat. Es wird schwer werden, natürlich da entsprechend einen Personalvorschlag zu finden, der diese ganzen Funktionen ausüben kann.
    Gysi ist nicht einfach zu ersetzen
    Klein: Niemand reicht an Gysis Qualitäten ran, das verstehen wir richtig?
    Renner: Nein, auf keinen Fall. Jemand, der so lange und so profiliert in der Öffentlichkeit, aber auch im Bundestag stand, ist nicht so einfach zu ersetzen. Das ist doch klar.
    Klein: Reden wir mal über die Spekulationen, die ja schon lange im Raum stehen, Frau Renner. Es wird vermutet, dass es eine Art Doppelspitze geben könnte mit Dietmar Bartsch und Sahra Wagenknecht, die beide jeweils die verschiedenen Flügel in der Partei repräsentieren. Frau Wagenknecht hat bereits gesagt, dass sie nicht antreten wird. Gehen Sie davon aus, dass sie einen Rückzieher von ihrem Rückzug machen wird?
    Renner: Erst mal gehe ich davon aus, dass es eine Doppelspitze geben wird, weil das ist Beschlusslage unseres Parteitages. Und ob jetzt Frau Wagenknecht von ihrem Rückzug wieder zurücktritt, das ist allein ihre Entscheidung. Sie hat ja sich wohl gestern dahingehend vernehmen lassen, dass sie die nächsten Tage sich dazu äußert. Es gibt Signale auch aus ihrem Umfeld, die sagen, sie steht dann doch für eine solche Lösung, also eine Lösung, die beide Strömungen oder beide wichtigen Strömungen repräsentiert, bereit. Das wird man aber dann erst wissen, wenn Frau Wagenknecht sich dazu geäußert hat.
    Klein: Ist sie denn auch unersetzbar, oder gäbe es auch eine andere vielleicht weibliche Führungsfigur an der Seite von Herrn Bartsch?
    Renner: Bisher gab es keinerlei Überlegungen, ein anderes Tandem mit Herrn Bartsch zu bilden. Sie wissen, dass es durchaus auch in der Fraktion, aber auch im Parteivorstand durchaus andere Überlegungen für eine Doppelspitze gab. Da ist ja dann auch der Name meines Kollegen Jan van Aken und mein Name genannt worden. Aber eine Lösung Bartsch plus eine Frau, die ja dann die Voraussetzung erfüllen müsste, aus einem westlichen Landesverband und Repräsentantin des linkeren Flügels, da war bisher überhaupt zu keiner Person so eine Überlegung im Raum.
    Klein: Sie haben Herrn Jan van Aken und Ihren Namen gerade noch mal ins Spiel gebracht. Das heißt, Sie beide warten jetzt ab, was Dietmar Bartsch sagt und was Sahra Wagenknecht sagt, oder wie?
    Renner: Ja, genau, und vor dem Hintergrund kann ja auch erst der geschäftsführende Parteivorstand entscheiden. Wichtig ist integrativ für die Fraktion zu sein.
    Klein: Wenn Sie das wirklich anstreben, Frau Renner, weshalb gehen Sie dann nicht mehr in die Offensive?
    Renner: Ich sage mal, wir streben nicht - ich kann, ich glaube, auch für meinen Kollegen Jan van Aken sprechen -, wir streben nicht dieses Amt an, sondern unsere Namen sind dann genannt worden, als Frau Wagenknecht von dieser eigentlich verabredeten Doppelspitze Bartsch-Wagenknecht zurückgetreten ist, weil es dann natürlich (und das ist durchaus berechtigt) Überlegungen gab von denen, die sich auch perspektivisch auf den Herbst vorbereiten müssen, wie man dann in Zukunft die Fraktion führen kann. Und die Überlegung zu sagen, wir nehmen dann zwei Politiker, Politikerinnen, die eher weniger strömungsorientiert sind, die vielleicht auch, ich sage mal, mehr konsensuell in der Fraktion wirken, die finde ich dann nicht ganz abwegig.
    Klein: Das heißt, Sie würden sich selbst und Herrn van Aken als mehr konsensuell und weniger strömungsorientiert bezeichnen? Das verstehen wir richtig?
    Renner: Ja! Wir sind beide nicht Mitglied einer Strömung und wir sind auch nicht sehr profiliert in den innerfraktionellen Auseinandersetzungen.
    Klein: Das heißt, Sie würden durchaus sich zutrauen, besser die bisherigen Flügel dort zu vereinen und auch befriedend auf die Fraktion einzuwirken?
    Renner: Das weiß man nicht. Es kann auch befriedend auf die Flügel wirken, wenn beide in einer Spitze repräsentiert sind. Das kann ja auch ein Modell sein, das trägt, weil es die Flügel dahingehend vereint, dass man beide in der Führung abgebildet sieht. Beides könnte ein mögliches Modell sein, integrativ in die Fraktion zu wirken. Entweder kann man beide Flügel abbilden, oder man sucht zwei Personen, die nicht in diesem auch manchmal ausgetragenen Flügelstreit prominent sind.
    Klein: Frau Renner, was die Öffentlichkeit interessiert, das ist die Frage eines möglichen Regierungsbündnisses unter Beteiligung der Linkspartei auf Bundesebene. Gregor Gysi bekanntermaßen hat sich immer dafür ausgesprochen. Er hat auch gestern noch mal an die Partei appelliert, dabei zu bleiben, das auch anzustreben. Jetzt hört man aus der SPD zum Beispiel, mit dem Abgang von Gysi, mit dem bevorstehenden, ist das Thema eigentlich vom Tisch. Wie sehen Sie das?
    Wir schließen Regierungsoption nie aus
    Renner: Das ist überhaupt nicht vom Tisch und Gregor Gysi hat das gesagt, was auch andere gesagt haben auf dem Parteitag. Natürlich muss man, wenn man gesellschaftliche Veränderungen will, auch immer die Regierungsfrage stellen, aber für uns wird das immer anhand von Inhalten durchbuchstabiert werden müssen. Diese Option ist offen, auch nach dem Abgang von Gregor Gysi, weil natürlich, wenn Sie zum Beispiel nach Thüringen gucken, ich komme aus diesem Landesverband, wir stellen dort den Ministerpräsidenten. Dass es in der Partei starke Stimmen dafür gibt, von vornherein nicht eine Regierungsoption auszuschließen, ist auffällig. Wir haben viel mehr das Problem im Augenblick, dass mit Blick insbesondere auf die SPD im Bund - nehmen Sie die letzten Wochen: Entscheidung zu Vorratsdatenspeicherung, zum Streikrecht und zu TTIP und Ähnliches mehr - wir einfach sagen, die Schnittmengen sind im Augenblick nicht da, um zum Beispiel so forciert wie in Thüringen so ein Projekt angehen zu können.
    Klein: Und auf Bundesebene käme noch ein weiterer Themenkomplex dazu, der auf Landesebene ausgespart ist, und das ist die Außenpolitik, und manche fragen sich auch, mit wem die Linkspartei eigentlich zusammen koalieren möchte auf Bundesebene, wenn sie für einen NATO-Austritt oder zumindest für ein Ende der Verpflichtungen dort ist, denn das wird weder mit SPD, noch mit Grünen zu machen sein.
    Linke nicht für NATO-Austritt
    Renner: Ich glaube, da muss man mal ein bisschen, ich sage mal, die Spitze brechen. Wir sind nicht für einen NATO-Austritt, sondern wir sind für ein Ende der Beteiligung der Bundeswehr an Auslandseinsätzen und haben ja auch in der Frage eine große Mehrheit der Bevölkerung und bei vielen Dingen hinter uns. Ich glaube, dass es durchaus auch in der SPD (und ich bin auch oft im Gespräch mit Kolleginnen und Kollegen dort) sehr rationale Überlegungen gibt, sich einfach mal anzusehen, wie die letzten Auslandseinsätze gelaufen sind, ob das, mit was man zum Beispiel in diese Konflikte gegangen ist, wie die Versprechungen, was zur Stabilisierung in der Region beitragen soll zur Herbeiführung demokratischer Verhältnisse, ob das eingetreten ist oder ob es nicht eher so ist, dass diese sehr aggressive Interventionspolitik an vielen Stellen auch die Situation verschärft hat, und ich glaube, da gibt es sehr viele Kritiker und Kritikerinnen selbst in der SPD, die mittlerweile sagen, wir müssen uns diese Außenpolitik einmal ansehen, ob wir sie als Sozialdemokraten noch weiter so tragen wollen. Ich denke, da gibt es durchaus auch sehr kühle Reflexionen in der SPD, dass man zu diesen Auslandseinsätzen eine andere Option ziehen könnte.
    Klein: Einer der Streitpunkte, die die Linkspartei auf Bundesebene mit künftigen potenziellen Koalitionspartnern wird klären müssen - das war bei uns heute Morgen im Interview Martina Renner, Abgeordnete der Fraktion, zum bevorstehenden Rückzug von Gregor Gysi an der Fraktionsspitze. Ich danke Ihnen für das Gespräch, Frau Renner.
    Renner: Ich danke Ihnen auch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.