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H&M statt "bella figura"

Die Italiener müssen sparen und das tun sie vor allem am Outfit. Immer öfter heißt es deshalb lieber Wühltisch statt Designermode. Dort wo früher edle Boutiquen und Fachgeschäfte waren, finden sich längst sogenannte Temporary Outlets.

Von Stefan Troendle | 01.08.2012
    Es ist das Wort, das für mich für diese Krise steht, das Wort, das einem auffällt, wenn man durch die Einkaufsstraßen von Roms Innenstadt läuft, wenn auch erst auf den zweiten Blick: Temporary outlet. Dieser Schriftzug auf Schaufenstern steht für Läden, die Reste verramschen, Schuhe, Kleider, die Kollektion vom Vorjahr und Marken, die keiner kennt.

    Egal wo - immer mehr dieser Geschäfte sind zu sehen, und zwar dort wo früher edle Boutiquen und Fachgeschäfte waren. Es reichen zwei Schritte von der berühmten Via Condotti und man sieht sie. Die "temporary outlets" sind das sichtbarste Zeichen dafür, dass die Menschen sparen und zwar bei dem, was im Lande der "bella figura" noch bis vor Kurzem am Wichtigsten war: am Outfit. Und gespart wird zuerst bei der Qualität, sagt Laura Pomizi, die im Zentrum von Rom ein Fachgeschäft für Damenmode betreibt.
    "Na klar hat es einen Rückgang bei den Verkäufen gegeben, und wie! Und je länger das geht, desto schlimmer wird es. Besserung ist nicht in Sicht. Teurere Produkte kann man kaum noch verkaufen, vor allem Italiener kaufen kaum noch etwas. Die geben wenig aus und kaufen preiswertere Sachen."

    Zu bemerken ist das auch im Kindergarten. In dem, in den meine Tochter geht, trugen Klein-Giovanni oder Klein-Luigi vor zwei Jahren noch zum Beispiel weiße Murphy and Nye Jäckchen. Inzwischen sind auch Jeansjacken von Zara oder H&M zu sehen. Und die Italiener fahren kleinere Autos. Die S-U-V-Dichte in Rom hat deutlich abgenommen. Audi Q7, Porsche Cayenne und Landrover waren die Prestigesymbole schlechthin – inzwischen tut es auch wieder ein Fiat 500 oder ein Smart – den man nebenbei bemerkt auch besser parken kann. Abgesehen davon braucht der weniger Sprit – denn der ist einer der Hauptgründe dafür, dass alles teurer wird. Ein Euro 90 für Benzin ist leider ganz normal – und so kann man etwa zur Monatsmitte bemerken, dass der Verkehr in Rom deutlich abnimmt und die Leute – früher ein Unding - aus finanziellen Gründen mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren. Dass es bei vielen Familien vorne und hinten nicht mehr reicht, hat aber auch mit den höheren Steuern zu tun, sagt Silvia, eine Lehrerin, die gerade ihr zweites Kind bekommen hat:

    "Wir müssen uns einschränken, Auto nehmen oder nicht - wenn du einen Ausflug machen möchtest, machst du ihn vielleicht doch lieber nicht. Die Ferien. Die Kleidung. Bei allen Extras."

    Eine Tatsache, die auch Paolo Cicconi vom Vorstand des italienischen Einzelhandelsverbandes bestätigt. Er sagt:

    "Die Krise ist sehr stark zu spüren. Die ist leider das Ergebnis einer starken Rezession. Und in Sachen Konsum geht alles geht zurück. Gespart wird überall, bei allen monatlichen Ausgaben."

    In Zahlen kann das bisher nur schwer ausdrücken sagt Paolo Cicconi, aber Fakt ist: Immer mehr Läden machen zu, können sich die teuren Mieten nicht mehr leisten. Sehen kann man das auch, wenn man eines der großen Einkaufszentren außerhalb Roms besucht. In den weitläufigen Ladengalerien sind immer häufiger leer stehende Geschäfte mit dem Hinweis "prossima apertura" zu sehen. Das heißt: Wird demnächst geöffnet. Eigentlich müsste es heißen: Wurde gerade geschlossen. Sagen will mir dazu auf Anfrage keiner etwas, auch die Verkäuferinnen in den noch offenen Läden haben Angst, etwas ins Mikrofon zu sagen, sie sind froh, dass sie noch einen Job haben. Vor allem leidet die Qualität, sagt auch Fabio, Inhaber eines Fachgeschäfts für hochqualitativen Designermode, das seit 60 Jahren in Familienbesitz ist. Wer Qualität anbietet oder liebevoll gefertigte Einzelstücke, der wird angestaunt wie ein Exot. Die Menschen gehen lieber in die großen Ketten und kaufen Billigware. Und zwar auch wenn sie das gar nicht müssten.

    "Sagen wir mal es gibt zwei Kategorien von Kunden. Die, die kein Geld oder wegen der Krise weniger Möglichkeiten haben und die, die vorsichtig sind und kein Geld ausgeben wollen."

    Nur sagt Fabio, ist der Effekt leider derselbe. Er trägt dazu bei, dass die kleinen Läden allmählich verschwinden - und dass noch mehr "temporary outlets entstehen.

    Alle Beiträge der fünfteiligen Serie:

    Nahaufnahme - Reporteralltag in der Eurokrise
    Schuldenkrise, Eurokrise, Finanzkrise - Schlagworte, die die Nachrichten beherrschen. In "Europa heute" berichten Reporter und Reporterinnen darüber, wie "die Krise" Einzug in ihren Alltag gehalten, was sich dadurch verändert hat.