Donnerstag, 18. April 2024

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H2O – die Formel für Konflikte

Während sich im Konferenzzentrum von Mexiko Stadt 1000 Experten aus aller Welt zum 4. Weltwasserforum treffen, demonstrieren vor dem Konferenzzentrum Tausende von Kleinbauern und Umweltaktivisten gegen die zunehmende Kommerzialisierung der Ressource Wasser. Und gegen den geplanten Staudamm von La Palota, der die Umsiedlung von 25.000 Kleinbauern erforderlich machen würde.

18.03.2006
    Elf Uhr morgens am Ufer des Rio Papagayo. Die Sonne sticht, von Minute zu Minute wird es wärmer. Eine Horde kleiner Jungen flüchtet sich ins kühle Nass. Einige Kühe stehen am Wasser, ein alter Mann legt mit seinem Holzkahn an. Wer nicht übersetzen will, bleibt im Schatten liegen, unter den Kokospalmen oder Mangobäumen, die das Land entlang des Flusses in ein grünes Paradies verwandeln.

    Seit fünf Monaten hat es hier im Süden des mexikanischen Bundesstaates Guerrero nicht mehr geregnet. Doch mit Trockenheit und Hitze haben die Menschen in der Gemeinde Aguas Calientes zu leben gelernt. Der Fluss hilft ihnen, die dürren Monate zu überstehen. Carmela Cevalles:

    "Wasser bedeutet für uns Leben. Schon mit acht Jahren habe ich hier gebadet. Früher haben wir uns hier immer gewaschen, das Trinkwasser geholt und den Mais gereinigt. Heute sorgt der Fluss vor allem für den guten Boden, auf dem wir alles anbauen: Mais, Bohnen, Kürbis, Chilli, Tomaten, Bananen, Papaya, Wassermelonen."

    Damit könnte nun bald Schluss sein. Einige Kilometer flussaufwärts soll das Wasserkraftwerk La Parota entstehen. Ein gigantisches Projekt: Über 17.000 Hektar Land sollen überschwemmt werden. Rund 25.000 Menschen müssten Haus und Hof verlassen. Vor drei Jahren kamen die Mitarbeiter der Nationalen Energiekommission aus Mexiko-Stadt, um über das Vorhaben zu informieren. Seither gibt es in Aguas Calientes kein anderes Thema mehr.

    Hernández: "Sie werden uns den Fluss austrocknen. Es wird nichts bleiben als ein Stück Wüste und ein Rinnsal, das noch nicht mal die Sandbank anfeuchtet. Die ganzen Pflanzenwerden vertrocknen."

    Facundo Hernández lebt in einer kleinen Gemeinde auf der anderen Seite des Rio Papagayo. Sein Mitstreiter Rafael Cortes kommt aus demselben Dorf.

    Cortes: "Wo sollen wir denn künftig säen? Wir sind Bauern, wir haben nicht gelernt, mit einem Computer umzugehen. Leider haben unsere Eltern kein Geld gehabt, um uns eine höhere Bildung zu finanzieren."

    Die beiden beteiligen sich an einer Bürgerinitiative gegen das Kraftwerk. Fünf Gehminuten vom Flussufer entfernt, im Ortskern von Aguas Calientes, haben die Staudammgegner ihren Treffpunkt eingerichtet.

    Es ist zugleich die Küche einer großen Familie. Junge Frauen kneten Teig, um Tortillafladen zu backen. Auf dem Boden stehen große Holztöpfe, in denen Mais gewässert wird.

    Hier treffen sich Vertreter aus 35 Gemeinden, die von dem geplanten Staudamm betroffen sind. Die Regierung spreche von Fortschritt. Aber für wen?, fragt man sich hier. Über 900 Megawatt Leistung – soviel Strom werde nur für den Tourismus im nahegelegenen Acapulco gebraucht. Und die versprochenen Arbeitsplätze? Ein Witz, meint Hernández:

    "Solange gebaut wird, werden sie die Arbeiter brauchen. Aber wenn das Kraftwerk fertig ist, wird man uns einfach auf die Straße setzen."

    Viel Arbeit steht an: juristische Klagen müssen formuliert und die Fahrt zum Wassertribunal in die Hauptstadt muss vorbereitet werden. Selbst Vertreter aus Dos Arroyos, Garapatas und Los Guajes sind gekommen. Diese Dörfer sollen komplett überschwemmt werden. Aber was passiert mit den Bewohnern? Felipe Flores aus Garapatas:

    "Sie haben uns 70 bis 90 Centavos pro Quadratmeter geboten. Aber damit verhöhnen sie uns doch nur. Wir haben unseren Boden nie zum Verkauf angeboten. Man kann schlecht etwas kaufen, was nicht verkauft wird."

    Ein großer Teil des Bodens ist Gemeindeland, das den Bauern zur Nutzung übergeben wurde. Die Regierung könnte es enteignen. Dennoch organisierte man Umfragen in den Dörfern. Rechtsanwalt Vidulfo Rosales vom nahegelegenen Menschenrechtszentrum Tlachinollan:

    "Die Regierung versucht so, den Staudamm zu legitimieren. Internationale Verträge klagen die Zustimmung der Bevölkerung bei solchen Projekten ein. Faktisch sind das aber keine repräsentativen Abstimmungen. Nur ein Teil der Bevölkerung darf mit entscheiden."

    Stimmrecht hat lediglich, wer ein Recht auf Entschädigung besitzt. Solche Ungereimtheiten machen das Zusammenleben zur Hölle. Eine Minderheit akzeptiert Entschädigungszahlungen, die anderen wollen ihr Land nicht verlassen. Es kommt zu Schlägereien im Alkoholrausch und zu Übergriffen auf der Straße. Drei Menschen sind schon ums Leben gekommen. Julian Cisneros aus Dos Arroyos:

    "Daran ist die Energiekommission und die Regierung schuld. Sie haben die Bevölkerung gespalten. Heute sind selbst Brüder oft geteilter Meinung. Wo es solchen Streit gibt, kann niemand gut zusammenleben."

    Für Cisneros ist der Weg nach Hause weit. Gute 40 Kilometer sind es von Aguas Calientes nach Dos Arroyos. Auf dieser Straße soll auch das Baumaterial für den Stausee transportiert werden. Doch wenige Meter vor den ersten Häusern des Dorfes stellt ein Transparent klar: "Durchfahrt verboten für alle Regierungsvertreter, die Nationale Energiekommission und andere Beauftragte, die das Volk verraten.” Steine und ein Baumstamm versperren den Weg. Am Straßenrand sitzen mehrere Frauen und Männer. Jedes Auto wird genau begutachtet.

    Tag und Nacht seien sie hier, sagt Otilia Castillo. Dann zeigt sie auf Macheten und Steinschleudern, die neben den Stühlen auf dem Boden liegen. Normalerweise jage man damit Tauben und Leguane, aber jetzt gehe es ums Ganze. Der Konflikt radikalisiert sich, erst unlängst gab es bei Protesten Auseinandersetzungen mit Verletzen.

    Doch zunächst stehen friedlichere Kämpfe an. Die Staudammgegner sind nach Mexiko-Stadt gereist. Sie nehmen an einer Demonstration gegen das dort tagende 4. Weltwasserforum teil. Für das Menschenrecht auf Wasser, gegen die Wasserprivatisierung und gegen den Bau von Staudämmen protestieren sie.

    Am kommenden Tag beschäftigt sich ein alternatives Wassertribunal mit La Parota und wird den Widerstand der Bauern und der Bevölkerung artikulieren. Mitorganisatorin Alicia Carriquiriborde von der Entwicklungsorganisation FIAN:

    "Für uns ist der Fall geradezu beispielhaft. Die Bauern werden gleich mehrfach betrogen: Sie werden um ihr Recht auf eigenen Boden gebracht, auf ihr Wasser und auf die Unversehrtheit ihrer Wohnung. Zudem verlaufen die Abstimmung in den Dörfern undemokratisch."

    Am Montag wird das alternative Wassertribunal ihr Urteil fällen. Es hat zwar keinerlei Entscheidungskompetenz, trotzdem setzen die Bauern auf dessen Schiedsspruch große Hoffnungen.