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Habermas, Fest und die "Rehabilitierung von Nazi-Denkern"

Ein Gerücht lässt die alten Fronten im Historikerstreit erneut sichtbar werden. Der Philosoph Jürgen Habermas sei in seiner Jugend ein strammer Nazi gewesen, so behauptete der im September verstorbene Publizist Joachim Fest in seinen Memoiren. Und er gründete diese These auf Spekulationen um ein angeblich belastendes Schriftstück, das Habermas von seinem Freund, dem Historiker Hans- Ulrich Wehler, zurückbekommen und aufgegessen haben soll. Wehler und Habermas sagen, hier habe ein Gerücht um eine harmlose Mahnung, weil Wehler einen Erste-Hilfe-Kurs geschwänzt habe, im Laufe der Jahre immer weitere Blüten getrieben. Und Joachim Fest habe das ganze wider besseres Wissen öffentlich gemacht, weil er Habermas die Kritik an seinem Verhalten im Historikerstreit nicht verziehen habe. Damals hatte Fest als Herausgeber der FAZ dem Historiker Ernst Nolte ein Forum gegeben. Und Habermas hatte Nolte vorgeworfen, die Nazi-Verbrechen zu verharmlosen. Nun hat sich auch Ernst Nolte geäußert.

Von Arno Orzessek | 12.11.2006
    Das geistige Deutschland verkürzt die Lektüre dicker Bücher von Fall zu Fall auf Sensation heischende Stellen - das hat der Streit um die Grass-Biographie hinlänglich bewiesen. Aber immerhin, es ging um Grass' faktische Mitgliedschaft in der Waffen-SS, deren Verschweigen dem angriffslustig-moralischen Mahner unstrittig schlecht anstand.

    In der 370-Seiten-Biographie "Ich nicht" des verstorbenen Joachim Fest dürfte die abstruse und künftig getilgte Geschichte vom verschlungenen Zettel randständig sein - aber schon wieder hat das geistige Deutschland Schaum vor dem Mund. Und zwar, seit Jürgen Busche in der Novemberausgabe des Magazins Cicero Jürgen Habermas als Zettelvertilger ausgemacht hat. Als einen, der das angebliche Beweisstück seiner jugendlichen NS-Verliebtheit einfach aufisst.

    Mit Schreiben vom 25. Oktober an Cicero-Chefredakteur Wolfram Weimer hat Habermas Busche wortwörtlich als "Denunziant" bezeichnet. Dabei sollte man im Auge haben, dass das Deutsche Strafgesetzbuch für Denunziation bis zu fünf Jahre Haft in Aussicht stellt - wenn nämlich der Denunzierte politischer Verfolgung ausgesetzt ist. Und Habermas schreibt tatsächlich, die Zettelgeschichte sei die "Fortsetzung einer politischen Hetze" aus den 70er und 80er Jahren - zumal von Seiten der Frankfurter Allgemeine Zeitung, deren Mit-Herausgeber Joachim Fest einst war.

    Habermas spricht indessen selbst dunkle Andeutungen aus - und weil Stellenlektüre groß in Mode ist, hat Rüdiger Safranski den entscheidenden Satz des Briefes gleich aufgespießt. Er lautet: "Fest hat mir offenbar die Kritik an jenen Vordenkern des NS-Regimes übel genommen, die er in seinem Blatt rehabilitieren ließ." Safranski nannte diese Bezichtigung eine moralische Keule. Jemanden in die Nähe des NS-Regimes zu rücken, sei das Schlimmste.

    Doch wer, bitte schön, sollen diese NS-Vordenker überhaupt sein, die Joachim Fest in der FAZ rehabilitieren ließ? Ernst Nolte, der Habermas-Widersacher im Historikerstreit 1986ff, glaubt nicht, dass Personen wie der NS-Philosoph Alfred Bäumler gemeint sein könnten, und sowieso nicht Alfred Rosenberg, Autor des "Mythos des Zwanzigsten Jahrhunderts", der nach den Nürnberger Kriegsprozessen hingerichtet wurde. Diese Spur führt ohne Stöbern im FAZ-Archiv ins Nichts - Ernst Nolte findet eine andere:

    " Aber zweifellos würde Habermas auch Gegenwartspersonen als Vordenker des Nationalsozialismus - vermute ich - bezeichnen, die eine in seinem Sinne falsche Auffassung über den Nationalsozialismus vertreten. Und mir scheint es also ganz außer Zweifel zu stehen, dass er diejenigen meint, die er in seinem berühmten Aufsatz über Eine Art Schadensabwicklung kritisiert hat und das sind gegenwärtige, damals noch vergleichsweise junge Historiker. "

    Der ZEIT-Artikel Eine Art Schadensabwicklung vom 11. Juli 1986, in dem Jürgen Habermas vor allem Ernst Nolte entgegentrat, dem damals regelmäßigen FAZ-Gastautor, gilt als Auslöser des Historikerstreits. Mit Nolte wurden vor allem die Historiker Andreas Hillgruber, Michael Stürmer und Klaus Hildebrand der Relativierung der deutschen Verbrecher im Nationalsozialismus bezichtigt.

    Habermas erinnert sich im Cicero-Brief an die Hetze, der er ausgesetzt war. Ernst Nolte erinnert sich daran - sein Stichwort ist "Suhrkamp-Kultur" -, wie der Historikerstreit damals für ihn ausgegangen ist.

    " Wenn man das Ausmaß der Wirkungsmöglichkeit ins Auge fasst, die nach einem solchen Streit entsteht, habe ich eine geradezu zerschmetternde Niederlage erlitten, denn ich wurde zu keiner Konferenz, zu keiner Diskussion, zu irgendetwas seit diesem Augenblick in Deutschland mehr eingeladen - völlig an den Rand gestellt, sozusagen eine Unperson geworden. Das ist eine sehr schlimme Niederlage. "

    Für Ernst Nolte ist nun Jürgen Habermas' Anspielung selbst eine Denunziation - nicht so sehr in der juristischen Perspektive, sondern der Rhetorik nach.

    " Denunziation ist die Aufstellung von Behauptungen, ohne Ross und Reiter zu nennen, also, ohne eine bestimmte Person hier zu kenneichnen und verantwortlich zu machen. Andeutung, Denunziation ist meist Andeutung. "

    Wenn indessen Ernst Nolte seine Niederlage in der deutschen Öffentlichkeit einräumt - sie ist nicht zu bestreiten -, verweist er auf seine Publikationsmöglichkeiten in Italien und
    widersteht er in der Sache nach wie vor.

    " Die Erwägung zum zumindest, nicht unbedingt die Überzeugung, dass der Nationalsozialismus, ebenfalls, wie so viele andere Phänomene, historisiert werden müsse, dass es nicht genüge, ständig diese Einschränkung des Blicks auf Deutschland vorzunehmen, sondern dass der Nationalsozialismus, wenn er überhaupt verstanden werden soll, auch im übernationalen Zusammenhang verstanden werden muss, das ist glaube ich bis zu einem gewissen Grade akzeptiert, obwohl die meisten Leute nicht wissen, da ein gewisser Herr Nolte vielleicht, wahrscheinlich, als erster in dieser Richtung Formulierungen vorgenommen hat."

    Wenn die unappetitliche Geschichte um den niemals verschlungenen Zettel irgendeine Relevanz außerhalb des Lächerlichen und Farcehaften haben soll - dann ist sie darin zu suchen, dass das Anliegen des Historikerstreits erneut in die Diskussion gerät, und das heißt, die Art und Weise, in der Deutschland seine NS-Geschichte schreibt. Soweit es Ernst Nolte betrifft, lässt er die Habermasssche Position - in der die schuldhafte Verstrickung der Deutschen und die Verdammung der Verbrechen betont werden - ohne weiteres zu.

    " Herr Habermas ist einer der Sprecher einer in Deutschland - und ich sage glücklicherweise - weit verbreiteten und auch richtigen Tendenz, der ich selbst ja keineswegs fern gestanden habe in meinen Anfängen: Nämlich den Nationalsozialismus und auch seine Verbindungen mit dem Rest der Gesellschaft sehr ernst zu nehmen. Und dasjenige, was er unter moralischen Gesichtspunkten getan, sehr ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu richten. "

    Andererseits bleibt Ernst Nolte bei seiner Kernthese. Und die lautet, dass der Nationalsozialismus nicht in seiner Totalität, aber in seinem Wesenskern ein Antikommunismus gewesen sei. Ernst Nolte

    " Wenn die soviel Bedenken und Widerspruch hervorruft, dann hängt das zum Teil damit zusammen, dass man sich sagt: Ja, Mensch, wenn das richtig ist, dann hatte ja entweder Adolf Hitler einen Teil des historischen Rechtes, das Dulles und Kennedy für sich in Anspruch nahmen, nämlich diesem Kommunismus entgegen zu treten, oder umgekehrt, diese Dulles und Kennedy sind genauso zu verurteilen, wie Hitler und Rosenberg zu verurteilen sind. Und deshalb rührte das einen ganz empfindlichen Punkt an. Das habe ich getan und ich muss mich dieser Sünde schuldig bekennen. "

    Ob der "empfindliche Punkt" so richtig dargestellt ist oder doch längst geklärt, darüber wäre zu streiten. Die Zettelgeschichte bleibt eine Farce unter großen Geistern.

    Ernst Nolte hat seine Position in einem Beitrag für dradio.de zusammengefasst:
    "Ich würde mich an der kuriosen Diskussion um den "verschluckten Zettel" schon aus Mangel an konkreten Kenntnissen nicht beteiligen. Die Frage kann ja nur sein, ob Jürgen Habermas und Hans-Ulrich Wehler als "gläubige Hitlerjungen" bezeichnet werden dürfen, die bis in das Jahr 1945 hinein ihren Glauben "an den Führer und den Endsieg" nicht aufgegeben hätten. Meines Wissens haben sie dieser Meinung nie ausdrücklich widersprochen, und ein Vorwurf gegen die damals kaum fünfzehnjährigen Jungen könnte nur dann daraus abgeleitet werden, wenn sie später trotzdem "antifaschistische" Präzedenzien für sich in Anspruch genommen hätten. Auch das haben sie meines Wissens nie getan.. Jürgen Habermas ist in seinem Brief an den Chefredakteur der Zeitschrift "Cicero" weder auf die weit verbreiteten Vermutungen noch auf die eigentliche Frage eingegangen.

    Er beklagt sich aber über die Erzählung Joachim Fests, die ohne Namensnennung von jenem "Zettel" handelt, und er erklärt sich zum Verfolgten, der wieder einmal zum Opfer einer Denunziation geworden sei, wie sie in Gestalt von "politischer Hetze" während der siebziger und achtziger Jahren von Seiten der FAZ gegen ihn und andere Mitglieder einer "unbequemen Generation von Intellektuellen" getrieben worden sei. Wer sich die Atmosphäre und die Realitäten jener beiden Dezennien präsent macht, wird über diese Inanspruchnahme des Verfolgtenstatus durch einen führenden Vertreter der herrschenden "Suhrkamp-Kultur" nur lächeln können. Aber Habermas formuliert einen Satz, der seinerseits "Ross und Reiter" nicht nennt und der eine Klärung erforderlich macht. Dieser Satz lautet :"Fest hat mir offenbar die Kritik an jenen Vordenkern des NS-Regimes übel genommen, die er in seinem Blatt rehabilitieren ließ." Wenn dieser Satz nicht eine "Denunziation" ist, dann sollte auf den Begriff verzichtet werden.

    Gewiss hat es ehemalige Vordenker des NS-Regimes gegeben, und die geistige Freiheit war in der Bundesrepublik jener Jahre stark genug, dass sie in der Regel ihre (meist erheblich veränderten) Auffassungen in Zeitschriften oder Zeitungen publizieren konnten. Aber meines Wissens war keiner von ihnen je ein Autor der FAZ, und keiner wurde in der FAZ "rehabilitiert". Habermas kann nur diejenigen meinen, die er in seinem Artikel "Eine Art Schadensabwicklung" vom 11. Juli 1986 in der "Zeit" mit scharfen Worten angriff, weil sie durch bestimmte Äußerungen einen bisher unstrittigen Konsensus hinsichtlich "unserer Bindung an den Westen" durch eine "deutsch-national eingefärbte Natophilosophie" gefährdeten. Wenn die Aufsätze und Artikel, welche den Ausgangspunkt des späteren "Historikerstreits" bildeten, in der Tat großes Aufsehen hervorriefen, dann geschah das gerade deshalb, weil bis dahin niemand auf den Gedanken gekommen war, die betreffenden Historiker seien einmal als "Vordenker des NS-Regimes" hervorgetreten. Schon der vergleichsweise respektvolle Ton der Attacke weist in diese Richtung.. Mit wirklichen "Vordenkern des NS-Regimes" wäre Habermas ganz anders umgesprungen.

    Die Habermassche Verteidigung der bis dahin herrschenden Grundauffassung über den Nationalsozialismus richtete sich in dieser Reihenfolge gegen vier Historiker : Michael Stürmer, Andreas Hillgruber, Klaus Hildebrand und Ernst Nolte. Michael Stürmer mache sich das neokonservative Weltbild Joachim Ritters und seiner Schule zu eigen, indem er eine "höhere Sinnstiftung" verlange, welche in früheren Zeiten unter den Zeichen von Nation und Patriotismus verwirklicht worden sei; Hillgruber habe sich einer "revisionistischen Operation seines Geschichtsbewusstseins" unterzogen, indem er Verständnis für die guten Motive der Angehörigen des deutschen Ostheeres bei ihrem Kampf um die Rettung der deutschen Zivilbevölkerung vor der Sowjetarmee in den letzten Monaten des Krieges gefordert habe; Klaus Hildebrand habe in der "Historischen Zeitschrift" ein Buch von Ernst Nolte positiv besprochen, und dieser selbst habe "die Nazi-Verbrechen" dadurch ihrer Singularität entkleidet, indem er sie als Antwort auf die früheren "bolschewistischen Vernichtungsdrohungen" verständlich zu machen versuche. Dass er deshalb zu einem Vordenker des NS-Regimes geworden sei, behauptet Habermas nicht, sondern er spricht von einer "skurrilen Hintergrundphilosophie" eines exzentrischen Geistes.

    Auf eine kurze Formel gebracht, handelte es sich bei dieser "skurrilen Hintergrundphilosophie" um nichts anderes als um die These, dass der Nationalsozialismus zwar nicht ausschließlich, aber zu einem großen Teile, eine Art des Antikommunismus gewesen sei und dass seine Geschichte in erster Linie im Zusammenhang der bürgerkriegsmäßigen und der militärischen Kämpfe von zwei militanten Ideologien gesehen werden müsse. Das bedeutete, dass die rein moralische Interpretation, die "das Böse" und "das Gute" einander konfrontiert sah und sich mit den Auffassungen der Sieger des Zweiten Weltkriegs vorbehaltlos identifizierte, zwar nicht schlechterdings falsch war, wohl aber mit dem Fortschreiten der Zeit immer unzureichender wurde. Wenn man über den Nationalsozialismus ernsthaft nachdenken wollte, musste die Frage aufgeworfen werden, wieso ein Regime, das an einer Welttendenz mindestens einen gewissen Anteil hatte, welche damals noch allgemein als "gut" oder "berechtigt" oder doch als "unvermeidlich" betrachtet wurde, so entsetzliche Folgen und insbesondere die Shoah, die Judenvernichtung, nach sich ziehen konnte. Jener FAZ-Artikel,. den Habermas so scharf kritisierte, war also nichts anderes als einer der Anfänge der heute überwiegend als unumgänglich betrachteten "Historisierung" des Nationalsozialismus, und er gehörte damit zu den frühesten Versuchen, den Nationalsozialismus nicht mehr bloß unter moralischen und auch historischen Gesichtspunkten zu verwerfen, sondern ihn in übergreifende Zusammenhänge einzuordnen und zum Gegenstand des Nachdenkens zu machen.

    Es sieht nicht so aus, als ob Jürgen Habermas und seine zahlreichen Anhänger das verstanden haben oder verstehen wollten. Aber wenn er immerhin den Versuch gemacht hätte, würde er sich auf eine so bequeme und dürftige Denunziation, wie sie in jenem Satz beschlossen liegt, sicherlich nicht eingelassen haben."