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Hacktivismus, ZensUrsula und der Fall Tauss

Seit 25 Jahren ruft der Chaos Computer Club am Ende eines jeden Jahres in Berlin zum Chaos Communication Congress. Längst hat sich der allwinterliche Kongress als Kirchentag der Hackergemeinde etabliert. Mehr Öffnung nach außen verspricht die erste "SigInt"-Konferenz in Köln.

Von Sven Töniges | 23.05.2009
    "SigInt", das sagt dem Hacker zweierlei: Zum einen steht der Ausdruck für Signal Intelligence, also nachrichtendienstliches Abhören. Zum anderen bedeutet er für Programmierer Signal Interrupt, der Befehl zur Unterbrechung eines Programms. Ein sinnhafter Name für eine Konferenz also, die sich mit Kontroll- und Überwachungstechniken beschäftigt. Kaum überraschend, dass die gerade zum Wahlkampfthema hochkochende Debatte um die Internetzensur auch den ersten Tag in Köln beherrschte. Noch, so ist in der Internetgemeinde zu hören, stehe es eins zu null für "ZensUrsula" – so der einschlägige Beiname für Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen. Das von ihrem Haus eingebrachte "Gesetz zur Bekämpfung der Kinderpornografie" sieht bekanntlich die Umleitung von inkriminierten Seiten zu Stopp-Schildern vor. Eine neue Infrastruktur für die Zensur des Internets aber auch für Denunziation, befürchtet Constanze Kurz vom Chaos Computer Club:

    "Wer zufällig auf so eine Stoppseite kommt, mit Absicht oder zufällig, dessen Daten können verwendet werden. Im Netz weiß man nicht immer, wo man hinklickt. Links können entweder durch Bilder getarnt sein oder Tiny-URLs, das heißt, man kann den Leuten Fallen stellen. Es ist eine andere Problematik, dass wir gesehen haben, dass in anderen Ländern diese Listen nicht geheim bleiben. Das ist für Leute, die wirklich nach diesem Kram suchen, wie eine Anleitung, die können sich da durch klicken."

    Für die Internetaktivisten sind die Stopp-Schilder überdies eine Verschwendung von Ressourcen. Stattdessen gelte es schlicht, die bereits bestehenden Gesetze konsequent anzuwenden, so Constanze Kurz:

    "Anders als das Familienministerium es ständig suggeriert, ist das Internet auch jetzt kein rechtsfreier Raum, im Gegenteil. Die Regeln, die wir haben, auch die rechtsstaatlichen Regeln gelten auch dort. Und genau diesen gesellschaftlichen Vertrag kündigt das Familienministerium auf, indem es eine nicht kontrollierbare geheime Sperrliste hinterlegt beim BKA."

    Inzwischen hat der Chaos Computer Club unter anderem mit Initiativen von Missbrauchsopfern einen "Arbeitskreis Zensur" gebildet, der den Widerstand gegen die geplanten Internet-Sperren orchestrieren soll. Ein politisch vermintes Gebiet, darüber sind sich die Hacktivisten im Klaren. Dazu sprach in Köln Jan Mönnikes, medienrechtlicher Berater der SPD Bundestagsfraktion – und Anwalt des Anfang März zurückgetretenen SPD-Bundestagsabgeordneten Jörg Tauss. Gegen den Innenexperten – und Kritiker der Zensurinitiative des Bundesfamilienministeriums – ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen Kinderpornografie-Verdachts.

    "Es ist natürlich immer schon so gewesen, dass alle kritischen Stimmen, die Kontrolle im Internet betreffen, die Webseiten-Sperren betreffen, skandalisiert worden sind, zu Unrecht skandalisiert worden sind, indem man eben gesagt hat, na ja, wer sich gegen Überwachung einsetzt, der hat ja wahrscheinlich etwas zu verbergen. Das ist ein falscher Weg, da muss eine offene Debatte, wie man Kinderpornografie im Internet bekämpfen kann, die muss möglich bleiben. Man muss wirksame Strategien vorschlagen dürfen, man muss aber auch sagen dürfen, wenn manche Dinge kontraproduktiv sind oder schlicht unbrauchbar."

    Zu den Merkwürdigkeiten des undurchsichtigen Fall Tauss gehört, dass die Presse bereits zur Stelle war, als die Staatsanwaltschaft die Räume des Abgeordneten zu durchsuchen begann. Und dies just am Tag, als die SPD-Fraktion sich über eine Position zur Zensurinitiative verständigen wollte. Auf der Kölner Konferenz wurde der Fall Tauss als Lehrstück sozialer Exekution durch neue Medien diskutiert. Eine "Strafverfolgung 2.0", die den mittelalterlicher Schandpfahl ersetze, so auch Jan Mönnikes:

    "Die Geschwindigkeit, mit der heute Medien arbeiten führt eben dazu, dass zum Beispiel einzelne Wort, die ein Staatsanwalt, der da privilegierte Quelle ist, falsch setzt, faktisch zu einer Art virtuellen Pranger unter den der Verdächtige gestellt wird."

    Bei so viel tagesaktueller Innenpolitik darf das gerüttelt Maß an Hacker-Pathos nicht zu kurz kommen. Zuständig dafür ist etwa der Washingtoner Digital-Visionär Nick Farr, der nach Köln gekommen ist, um laut über seine Idee eines digitalen Cloud Banking nachzudenken: Die Idee einer radikal dezentralisierten digitalen Volksbank, so etwas wie ein Kurzschluss von Genossenschaftsbank und sozialen Netzwerken. Das Ende des Internets sieht Nick Farr trotz weltweit immer neuer Zensur-Vorstößen jedenfalls nicht gekommen:

    "Das Internet ist die erste wirklich globale demokratisch verteilte Machtstruktur. Und keine Person, keine Regierung, keine Entität wird es kontrollieren oder blockieren, es wird immer Möglichkeiten geben, das zu umgehen. Und die Leute, die sich hier versammeln , sind, was wir die digitalen Freiheitskämpfer nennen, die für den freien Zugang einstehen und den Leuten bewusst machen, dass ihr freier Zugang ein gefährdetes Gut ist."