Dienstag, 19. März 2024

Archiv

Händel-Haus Halle
Grafiksammlung rund um Händel digital verfügbar

Das Händel-Haus in Halle besitzt rund 1.700 Grafiken, die im Kontext zum Barock-Komponisten Georg Friedrich Händel stehen. Nun wurde diese umfangreiche Sammlung digitalisiert und mit Metadaten versehen, sodass Wissenschaftler und interessierte Nutzer auf diese kostenlos zugreifen können.

Von Claus Fischer | 30.11.2020
Das Händel-Haus in Halle, ein Steinhaus mit gelb-braunem Anstrich, bei blauem Himmel von außen fotografiert.
Das Händel-Haus in Halle an der Saale ist das Geburtshaus von Georg Friedrich Händel und seit rund 90 Jahren ein Museum. (picture alliance/dpa - imageBROKER)
Stephanie Wiesel, Kunsthistorikerin und derzeit Mitarbeiterin der Stiftung Händelhaus, geht an ihrem Computer auf die Internetseite der Einrichtung.
Wiesel: "Da befindet sich dann rechts oben die Lupe, um zu suchen. Ich habe jetzt zum Beispiel einmal ‚Instrumentenspieler‘ eingegeben und da ploppt dann genau ein Ergebnis auf. Wenn man dann da drauf klickt, wird einem das komplette Objekt gezeigt, nicht nur ein Bildausschnitt, sondern das komplette Blatt mit Bildunterschriften und die Rückseite sieht man dann auch noch."
Händel und der Brummtopf
Mithilfe der Maus kann man das Blatt schrittweise vergrößern und sogar Unebenheiten im Papier und Einschlüsse erkennen, die Auflösung ist hervorragend. Der Kupferstich zeigt eine Straßenszene aus der Zeit von Georg Friedrich Händel, wahrscheinlich im deutschen Sprachraum.
Wiesel: "Eine ältere Dame, die sich über eine Tür nach draußen lehnt, zu einem kleinen Jungen, ein Instrumentenspieler in dem Fall, das steht dann in der Bildunterschrift drin und in dem Fall hält er hier einen ‚Rommelpott‘, auch ‚Brummtopf‘ genannt."
Es handelt sich ein altes Volksinstrument aus der Trommelfamilie. Auf einem Tontopf ist ein Leder befestigt, daran in der Mitte wiederum ein Holzstab. Wenn man mit einem feuchten Tuch an dem Stab reibt, wird der in Schwingung versetzt und die übertragen sich auf den Topf.
Man darf annehmen, dass Georg Friedrich Händel in seiner Jugend in Halle, auf seinen Wanderjahren in Italien und später auf den Straßen Londons viele solcher Brummtöpfe gehört hat. Insofern verrät das Bild etwas über die Lebenswirklichkeit des Komponisten, sagt Stefanie Wiesel, und klickt mit der Computermaus in den Text mit Hintergründen zum Exponat.
"Wir haben hier erstmal den Urheber, das ist Johann Georg Wille, dann steht auch gleich daneben, von wann bis wann er gelebt hat, nämlich von 1715 bis 1808."
Kopf des Händel-Denkmals in Halle/Saale.
Halle ist die Geburtsstadt Georg Friedrich Händels. Bis heute erinnert ein Denkmal auf dem Marktplatz an den Komponisten. (imago / Steffen Schellhorn)
Rund 1.700 Grafiken aus dem 18. Jahrhundert
Die Grafik mit dem Brummtopfspieler schlummerte bislang im Depot des Museums im Händelhaus, erzählt dessen Leiter Clemens Birnbaum, ebenso wie viele weitere sehenswerte und – was Händels Umwelt betrifft - aufschlussreiche Blätter.
Birnbaum: "Orte, wo Händel war, Stadtabbildungen, Menschen in den Städten, die im Kontext zu Händel in den Städten waren, das ist schon ein Fundus von rund 1.700 Grafiken, die aus dem 18. Jahrhundert stammen, also grob gesagt von 1700 bis 1750. Dann gibt es natürlich auch rezeptionsgeschichtlich spätere Darstellungen, auch ein paar frühere, keine Frage, aber das ist doch der Schwerpunkt, um den es geht."
Begonnen hat alles im Jahr 1937, als die Stadt Halle Händels Geburtshaus kaufte, um darin das Museum einzurichten.
Birnbaum: "Da aber die Familie Händel schon seit Jahrhunderten nicht mehr in diesem Haus gelebt hat, und somit gar kein Hausstand war, das Haus ständig umgebaut war, ging es darum, eine Sammlung auch aufzubauen. In dem Zusammenhang sind nicht nur die vielen Musikinstrumente von der Stadt Halle damals angekauft worden, sondern auch die ersten Gemälde, die ersten Grafiken."
Trotz des Zweiten Weltkriegs und der Lage in der abgeschotteten DDR konnten die Direktoren des Museums die Sammlung stetig erweitern und, so Clemens Birnbaum, etliche heute überaus wertvolle Blätter ankaufen.
Birnbaum: "Wie ein relativ seltener Kupferstich von Georg Philipp Telemann, dem wirklich vielleicht einzigen Komponistenfreund."
Das Foto zeigt eine Karikatur, auf der zwei Kastraten mit fülligen Leibern und nd überlangen Gliedmaßen auf der Opernbühne darstellt. Zwischen ist eine Sängerin abgebildet, die klein wirkt.
Anlässlich der Aufführung der Oper "Flavio" im Jahr 1723 diese Karikatur (Stiftung Händel-Haus Halle )
Bühnenszene aus Händels Oper Flavio
Ebenso bedeutend sind zahlreiche Grafiken der Londoner Kupferstecher William Hogarth und John Vanderbank. Von ihm stammt ein Blatt aus dem Jahr 1723, eine Bühnenszene aus Händels Oper Flavio in der Urbesetzung. Zu sehen sind die beiden Kastraten Senesino und Gaetano Berenstadt, beide aus Leibeskräften singend, dazwischen kniet die Sopranistin Francesca Cuzzoni.
Die Szene aus "Flavio" ist mit Sicherheit das international bekannteste Blatt aus der Grafiksammlung des Händelhauses in Halle. Es war auch bereits mehrfach in Ausstellungen rund um den Globus zu sehen, betont Clemens Birnbaum. Er ist sich sicher, dass durch die Digitalisierung die Nachfrage von Museen nach weiteren Blättern als Leihgaben für Ausstellungen zunehmen wird, was dem Händel-Haus natürlich Einnahmen generiert.
Schon deshalb ist er dem Kultusministerium vom Land Sachsen-Anhalt dankbar, dass die Digitalisierung im Rahmen eines Förderprogramms unter dem Titel "Digital Heritage" möglich war.
Birnbaum: "Da hatten wir uns beworben, und auch den Zuschlag dafür bekommen. Das Gute an dem Programm ist – und das ist auch das, worauf ich die Politik immer hingewiesen habe: Es geht nicht darum, nur etwas auf den Kopierer zu legen und dann stellt man es ins Netz hinein. Das Wichtigste ist das Erfassen und auch die Metadaten, um damit wirklich arbeiten zu können."
Weltweite Händelforschung kann von den digitalen Datensätzen profitieren
So wird in Zukunft auch die weltweite Händelforschung von der Aktion profitieren können. Rund zehn Monate hat Stephanie Wiesel gebraucht, um den Bestand der rund 1.700 Grafiken zu digitalisieren, Hintergründe zu recherchieren und die wissenschaftlichen Begleittexte mit allen Informationen zu den Exponaten zu verfassen. Dabei musste sie gelegentlich echte Detektivarbeit leisten. Ein Beispiel: die Identifikation von Porträts adliger Damen und Herren.
Wiesel: "Das war dann schon teilweise sehr schwierig, weil da zum Beispiel dann drunter stand, das ist Gustav der So-und-so-vielte, aber teilweise stimmte das nicht und teilweise musste man dermaßen tief in die Geschichte reinzugehen, um sagen zu können: Das ist jetzt der König oder der Fürst."
Eine weitere Herausforderung waren handschriftliche Texte, die sich gelegentlich auf den Blättern befinden:
Wiesel: "Teilweise kleine Gedichte, teilweise kleine Widmungen und dergleichen, die dann auch was mit der Grafik wiederum zu tun hatten, was man eben auch wieder in eine Datenbank online reinstellen kann, das eventuell Leute interessieren könnte."
Museum in Corona-Zeiten
Damit, so das Fazit von Händel-Haus-Chef Clemens Birnbaum, erreicht man, nicht nur wissenschaftlich tätige Nutzer, sondern auch potenzielle Museumsbesucher:
Birnbaum: "Gerade in Zeiten von Corona, wo wir als Museen schließen müssen, ist es eine andere Möglichkeit, sich die Objekte mit Suchfunktionen anzusehen. Und man zum Teil sogar noch mehr Informationen erhält, als man sie nur in der Ausstellung mit einer kleinen Exponat-Tafel bekommt."
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)