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Haitianische Journalisten im Kreuzfeuer

Die Situation für die Menschen in Haiti spitzt sich täglich immer weiter zu. Port-au-Prince ist von den Rebellentruppen umzingelt. In der 2,5 Millionen Metropole gibt es brennende Barrikaden, bewaffnete Regierungsanhänger patrouillieren durch die Straßen. Hunderte Reporter und Reporterinnen aus aller Welt haben seit Wochen live aus der Krisenregion berichtet. Es werden jedoch immer weniger. Ein Großteil der Journalisten haben inzwischen das Land verlassen: Eine Gruppe österreichischer und mexikanischer Journalisten wurde am Samstag per Militärhubschrauber aus Port-au-Prince evakuiert. Andere halten unverzagt aus - trotz der Gefahr. Dutzende Reporter sind zufällig oder gezielt in den letzten Tagen und Wochen Opfer von Gewalt geworden. Der Direktor des Sender "Radio Hispagnola", Pierre Eliesem, ist inzwischen auf dem Landwege in der Dominikanischen Republik eingetroffen – er musste aufgrund seiner schweren Schussverletzungen notoperiert werden. Die Gefahr, die Journalisten und der Meinungsfreiheit in Haiti droht, ist jedoch nicht neu. Angela Isphording und Hans-Ulrich Dillmann haben in Haiti selbst und in der Dominikanischen Republik mit ihren haitianischen Kollegen über diese Situation gesprochen.

Von Angela Isphording und Hans-Ulrich Dillmann | 01.03.2004
    "Aristide soll verschwinden", skandieren rhythmisch junge Männer. Erst sind es ein paar Hundert, dann ziehen knapp tausend Demonstranten des Oppositionsbündnisses Demokratische Plattform den Berghang hinunter Richtung Port-au-Prince. Dazwischen ein Heer von Reportern und Kameraleuten. Ausländische Pressevertreter können nach wie vor noch relativ gefahrlos in die von Rebellen besetzten Gebiete reisen und die Waffen der Aristide-Gegner werden dabei nur fürs Foto gezückt.

    Für die einheimischen Journalisten dagegen ist die Berichterstattung oft nur unter großer Gefahr möglich. Anfang Februar enthüllte ein Mitglied der haitianischen Geheimpolizei, er habe den Auftrag gehabt, mehrere regierungskritische Journalisten zum Schweigen zu bringen.

    Rothschild François, der Auslandsnachrichtenchef der Rundfunkstation "Radio Metropole", ist einer von denen, dessen Name auf der Todesliste stand. Der Oppositionsnahe Sender aus Port-au-Prince ist für seine umfassende und kritisch hinterfragende Berichterstattung bekannt. Derzeit lebt Rothschild François versteckt Deshalb musste das Gespräch vor wenigen Tagen telefonisch geführt werden.

    Gestern gab es eine Pressekonferenz mit Aristide-freundlichen Basisorganisationen. Sie beschuldigten fünf Radiosender, darunter Radio Metropole, mit den Rebellen zusammen zu arbeiten und beschimpften uns als "Radio-Terroristen". Sie kündigten eine Untersuchung gegen uns an. Falls diese nicht zur Schließung der Sender führe, würden sie das Volk auf uns hetzen.

    Dass es sich dabei nicht um eine leere Drohung handelt, weiß der 35 Jahre alte Rundfunkjournalist aus Erfahrung. Im Januar überfiel eine Gruppe von maskierten und bewaffneten Männern eine von mehreren Radios betriebene Sendestation. "Radio Kiskeya" und vier weitere Radios verstummten für zehn Tage.

    Für das kreol-sprachige "Radio Kiskeya" berichtete der Rundfunkreporter Henry Fleurimont aus Gonaïves. Dort begannen am 5. Februar ehemalige Gefolgsleute der so genannten Kannibalenarme den Aufstand gegen Staatschef Aristide. Als Fleurimont bereits im November 2002 über diese Kannibalenarmee kritisch berichtete, wurde er massiv bedroht. Mit Unterstützung von "Reporter ohne Grenzen" fanden er Aufnahme in der benachbarten Dominikanischen Republik:

    Die Regierung unterhält eine bewaffnete Truppe, die über viel Geld und Waffen verfügt, um die Bevölkerung zu terrorisieren. Sie sagten mir, "dass darfst du nicht schreiben, sonst müssen wir annehmen, dass du gegen die Regierung arbeitest.’" Ich antwortete darauf, "ich mache nur meine professionelle Arbeit als Journalist". Sie boten mir Geld. Als ich mich geweigert habe, gaben sie den Befehl, mich zu töten.

    Auch Jean Claude Matheo suchte Asyl in der Dominikanische Republik. Der junge Journalist war freier Mitarbeiter eines Radios in Petit Goâve. Seiner Meinung nach sind nicht nur die regierungskritischen Journalisten, sondern ist die objektive Berichterstattung in Gefahr.

    Im Augenblick gibt es zwei Arten von Journalisten: solche die für und solche, die gegen die Regierung sind. Der eine Teil darf seine Meinung frei äußern; für die anderen gibt es keine Meinungsfreiheit. Ich bin hier weil, ich Angst vor Verfolgung habe; ein Journalist wurde ermordet, wieder ein anderer ist nach Frankreich geflohen. Ich habe Probleme, weil ich ein Freund der Familie Lindor bin und selbst als Journalist arbeite.

    Der Aristide-kritische Rundfunkmoderator Brignol Lindor wurde am 3. Dezember 2001 von Lavalas-Anhängern ermordet. Die haitianische Journalistenvereinigung fordert seit Jahren vergeblich, die namentlich bekannten Mörder von Lindor vor Gericht zu stellten.
    Von der Gefahr für Leib und Leben lassen sich trotzdem viele haitianische Journalisten nicht abschrecken. Richard Widmaier ist Besitzer von "Radio Metropole".

    Ich kann nicht sagen, dass ich keine Angst hätte. Aber seit ich Besitzer dieses Radios bin, habe ich schon Einiges gesehen: den Abschied der Duvaliers, den Wechsel von 12 Regierungen … es hat immer wieder Schwierigkeiten gegeben und ist trotzdem weiter gegangen. Aber natürlich ist es beunruhigend wenn man nicht weiß was passieren wird.